Zahlen, bitte! Pi ist ungerade - oder die Reihen des berühmten Herrn Leibniz

Klar, π ist eine transzendente reelle Zahl mit unendlich vielen Dezimalstellen, weder gerade noch ungerade. Also was hat sie mit den ungeraden Zahlen zu tun?

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Zahlen, bitte! Pi ist ungerade -- oder die Reihen des berühmten Herrn Leibniz
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Von
  • Andreas Stiller
Inhaltsverzeichnis

Mit „Numero deus impare gaudet“ – Gott erfreut sich an den ungeraden Zahlen – so hat Gottfried Wilhelm Leibniz seine berühmte, nach ihm benannte Reihe für π/4 (=0,78539816339744830961566084581988 ...) verziert. Dieser Satz stammt von Vergil, etwa aus der Zeit um 40 vor Christus, niedergelegt in der 8. Ekloge Vers 76. Dort hat Vergil vor allem die magische Zahl 3 (ist ja auch nur 5 Prozent von π weg) verherrlicht. Später haben unter anderem Dante, Shakespeare und auch Casanova diese Erkenntnis aufgegriffen und recht unterschiedliche Schlüsse daraus gezogen – und eben auch Leibniz.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Gott erfreut sich an den ungeraden Zahlen steht neben der alternierenden Reihe zu pi/4 aus dem Aufsatz von Leibniz in der Acra Eruditorum 1682

(Bild: Acta Eruditorum )

Zur Erstausgabe der im Februar 1682 herausgekommenen wissenschaftlichen Zeitschrift Acta Eruditorum stellte Gothofredo Guilemo Leibnito unter dem Titel „De Vera Proportione Circuli ad Quadratum circumscriptum in Numeris rationalis“ seine alternierende Reihe vor (Vom wahren Verhältnis des Kreises zum umschreibenden Quadrat in rationalen Zahlen):

1 - 1/3 + 1/5 - 1/7 + 1/9 - 1/11 ...

also die Reihe der alternierenden Kehrwerte der ungeraden Zahlen, daher die Freude Gottes.

Dass diese Reihe zu π/4 konvergiert, hat er darin zwar beschrieben (und auf π mit damals immerhin 35 bekannten Dezimalstellen hingewiesen – eine enorme Fleißarbeit von Ludolphus Coloniensesoder mit bürgerlichem Namen Ludolf van Ceulen) –, aber nicht bewiesen. Dass sie überhaupt konvergiert machte er zunächst auch nur plausibel, konnte es im weiteren Verlauf dann recht einfach beweisen. Wenn auch nicht, wie oft behauptet, mithilfe des nach ihm benannten Kriteriums für den Grenzwert von alternierenden Reihen, nach dem eine alternierende Reihe – also eine mit dauerndem Vorzeichenwechsel zwischen den Gliedern – konvergiert, wenn die Folge der absoluten Glieder monoton fallend ist.

Vielmehr hat Leibniz jeweils zwei aufeinander folgende Glieder zu der dann nicht mehr alternierenden Reihe

2*(1/3+1/35+1/99+1/195 ... )

zusammengefasst . Und er zeigte, dass diese eine Teilreihe einer anderen ist, deren Grenzwert er (hier lobt sich Leibniz mit „was bemerkenswert ist“ selbst) mit einem einfachen Trick ausrechnen konnte, nämlich die Summe der Kehrwerte von (n+1)(n+3).

1/3+1/8+1/15+1/24+1/35+1/48+ ... +1/99+ ... +1/195+ ...  = 3/4.

Hier sieht man, dass diese Summe alle obigen Glieder und ein paar mehr enthält; wenn sie konvergiert, dann konvergiert die andere erst recht (Vergleichskriterium).

Den genannten Grenzwert zu beweisen, verbleibt als Übungsaufgabe für den geneigten Leser. Der kann dann mit ähnlicher Methode vielleicht auch gleich mal den Grenzwert der Reihe der alternierenden Kehrwerte der von Gott offenbar weniger geliebten geraden Zahlen ermitteln, also von

1-1/2+1/4-1/6+1/8- ... = ?

Mit der Veröffentlichung von mathematischen Erkenntnissen und insbesondere Beweisen war man zu jener Zeit äußerst vorsichtig. Zuhauf gab es Streitereien über Urheberrechte, manche hielten daher grundsätzlich weitergehende Informationen und Beweise zurück, etwa auch der Hobby-Mathematiker Fermat, der hauptberuflich als Richter arbeitete. Hätte dessen Sohn nicht erkannt, welche Juwelen in den Randbemerkungen von Fermat zum Buch Arithmetica von Diophantos versteckt waren und sie nach Fermats Tod veröffentlich, der mathematischen Nachwelt wäre viel entgangen. Nur den angedeuteten Beweis der großen Fermatschen Vermutung hatte er leider nicht gefunden, der ja bekanntlich in dem Buch zu wenig Platz als Randbemerkung gehabt hat.

Gottfried Wilhelm Leibniz um 1695, ein Porträt von Christoph Bernhard Francke

(Bild: Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig )

So blieb auch Leibniz bei der Veröffentlichung seiner Reihe recht vage und ärgerte sich dann, als zwei Jahre später ein gewisser Jaques Ozanam sie einfach veröffentlichte, ohne ihn als Quelle zu nennen. Feinheiten über sein Konvergenzkriterium wollte Leibniz aber nicht öffentlich herausrücken, selbst als einige Jahre später sein Bruder Johann ihn aufforderte: "Du würdest eine für die Öffentlichkeit nützliche und willkommene Aufgabe erledigen, wenn Du den Traktat herausgäbst, den Du darüber verfasst hast." Umfassend wurden alle zur "Quadratura" zugehörigen Theoreme und Scholia (erläuternde Bemerkungen) aber erst zu Leibnizens 300. Todestag von Eberhard Knobloch (siehe Literaturempfehlung) zusammengefasst.

Der berühmteste Plagiatsstreit sollte aber noch folgen, nämlich der zwischen Newton und Leibniz. über das Infinitesimalkalkül. Leibniz kannte zudem „seine“ alternierende Reihe, wie sich aus zahlreichen Briefen schließen lässt, wohl schon 1673, also 9 Jahre vor der Veröffentlichung. Aber vor ihm war sie bereits dem Schotten James Gregory bekannt (und im 15. Jahrhundert indischen Mathematikern und wer weiß, ob das nicht die Mayas alles schon jahrhundertelang vorher wussten). Gregory jedenfalls war auch die Taylor-Entwicklung lange Zeit vor Brook Taylors Veröffentlichung im Jahre 1715 vertraut, mit der sich aus arctan(1) unmittelbar die Leibniz-Reihe ergibt). Gregory lieferte sich auch mit dem holländischen Wissenschaftler Huygens einen langen Plagiatsstreit.

Dieser Christiaan Huygens spielte auch in Leibnizens mathematischem Werdegang eine wichtige Rolle, denn er war einer der bedeutendsten Astronomen, Mathematiker und Physiker jener Zeit. Da er zudem ein Gründungsmitglied der französischen Académie Royale de Science in Paris war, hoffte Leibniz, über ihn Zugang zu und möglichst auch einen gut bezahlten Posten bei der Académie zu bekommen. Während des Studiums hatte sich Leibniz schon immer für Mathematik – wahrscheinlich mehr als für Jura – interessiert, vor allem für die Kombinatorik. Aber für Juristen gabs weit mehr Arbeitsplätze und Karrieremöglichkeiten, etwa für Leibniz in Mainz.

Christiaan Huygens, einer der bedeutendsten Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts, nahm sich in Paris Leibniz gütlich an, obwohl dieser sich ein wenig lächerlich machte, weil er nicht einmal genau wusste, wie ein Schwerpunkt definiert ist.

(Bild: Haags Historisch Museum)

Um nach Paris zu kommen, hatte sich Leibniz einen diplomatischen Schachzug ausgedacht mit einem Geheimauftrag des befreundeten Mainzer Freiherrn von Boyneburg. Statt wie es sich abzeichnete, einen Krieg gegen Holland zu beginnen, sollte der französische Sonnenkönig doch lieber Ägypten erobern, die Türken zurückschlagen und dort einen Kanal bauen. Das hat nicht so geklappt, jedenfalls nicht sofort. Erst Napoleon hat das dann 100 Jahre später vollzogen.

Aber hauptsächlich wollte Leibniz ja ohnehin zur Académie und bastelte auf der Kutschfahrt an seinen Folgen und Reihen, um bei seinem Besuch bei Huygens was im Gepäck zu haben – vor allem seine Erkenntnisse zu Differenzreihen als Vorläufer zu „seinem“ Kriterium zur Konvergenz alternierender Reihen.

Und dann gab es da ja noch sein "Hobby" die Rechenmaschine, nur war die noch nicht ganz funktionsfähig. Huygens, der im Herbst 1672 intensiv an seinem berühmten Grundlagenwerk über die Pendeluhr „Horologium Oscillatorium“ arbeitete, empfing ihn freundlich, verstand aber nicht so ganz, was das mit den Reihen, so auf sich hat. So entschloss er sich, Leibniz auf die Probe zu stellen und stellte ihm eine Aufgabe, nämlich den Grenzwert einer Reihe zu bestimmen, an der er selbst einige Jahre zuvor herumgebastelt hat: Die Summation der reziproken Dreieckszahlen (das sind 3, 6, 10, 15 ... n*(n+1)/2) :

1+1/3+1/6+1/10+1/15 ... = 2

Mit dem Ergebnis und einem eleganten Beweis (noch eine Hausaufgabe) konnte Leibniz schon kurze Zeit später aufwarten und bei Huygens wertvolle Punkte sammeln – für den Job bei der Académie hats dennoch nicht gereicht. Auch später nicht in London, nicht in Kopenhagen und auch nicht in Wien.

So musste Leibniz schließlich 1676 das Angebot annehmen, in die Provinz nach Hannover zu gehen. Der Briefanschluss "in alle Welt" – für die Jüngeren: das Internet in jener Zeit – klappte aber sogar von dort aus. Insgesamt hat Leibniz an 1300 Empfänger rund 20.000 Briefe handgeschrieben -- und alle handkopiert! Das soll ihm mal einer nachmachen ...

Leibnizens gesamter erhaltener Nachlass von rund 50.000 Stück (über 100.000 Blätter) inklusive des Originals seiner Rechenmaschine – im Deutschen Museum in München ist lediglich eine Kopie – befindet sich in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB) in Hannover. Dort wird er weiterhin ausgewertet und digital aufbereitet.

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(as)