Kontraste beherrschen: Fotografieren im Untergrund

Schattenspiel: Städte bieten unterirdisch spannende Motive. Wie Sie in den Untergrund kommen und was Sie beim Fotografieren beachten müssen, verrät Hans Sterr.

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Kontraste beherrschen: Fotografieren im Untergrund

Die SW-Umsetzung hebt Strukturen und Linien hervor. Weil ein leichter Schärfeverlauf gewünscht war, wurde eine größere Blende gewählt. Die Aufnahme entstand wegen eines ungünstigen Standpunkts für das Stativ aus der Hand, deshalb wurden die ISO angehoben und die Verschlusszeit verkürzt. Canon EOS 5D Mark IV I 35mm I f/7.1 I 1/5s I ISO 1600 I SW-Umsetzung mit Silver Efex Pro 2

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hans Sterr
Inhaltsverzeichnis

Wer an Kanalisation denkt, dem fällt zunächst schlicht die Abwasserentsorgung ein – ein vermeintlich anrüchiges Thema. Die etwas älteren Semester haben vielleicht noch "Der dritte Mann" und seine berühmte Verfolgungsjagd nach Harry Lime im Wiener Untergrund im Sinn. In diesem Film ist sehr deutlich zu beobachten, was die Kanalisation für Kameraleute und Fotografen interessant macht: wenig, dafür spezielles Licht, die Kontraste, die Licht-Schatten-Spiele, die visuellen Fluchtpunkte, die ausgeprägten Strukturen. Für Fotografen sind das mehr als genug Gründe, sich mit der Kamera auf die Spuren von Harry Lime zu begeben…

Führungen durch die Kanalisation gibt es mittlerweile in vielen Städten, so zum Beispiel in Hamburg, Köln oder anderswo. Dieser Artikel bezieht sich auf München, wo Führungen über die Volkshochschule oder direkt bei der Stadtentwässerung gebucht werden können.

Anders als gedacht, ist es in den Teilen des Untergrunds, die für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, weder besonders dreckig noch ist die Geruchsbelästigung hoch. Es riecht etwas muffig-modrig und man sollte eher unempfindliche Kleidung und festes Schuhwerk tragen, aber sonst ist das Ganze eher unproblematisch. Die Temperatur beträgt durchgängig etwa sechs bis zehn Grad.

Zentrale Anforderung für das Fotografieren im Untergrund ist eine weitwinkelige Brennweite. Der Autor empfiehlt mindestens 24 Millimeter (KB-Äquivalent) oder weiter, wobei sich ab und an auch eine etwas längere Brennweite anbieten kann. Zweite Anforderung ist ein stabiles Stativ: Längere Belichtungszeiten sind schon deshalb notwendig, weil die Ausleuchtung nur recht spärlich ist und man durchgängig mit verfügbarem Licht ("Available Light") fotografiert. Alternativ muss man mit hohen ISO-Zahlen zu Werke gehen, was die Bildqualität beeinträchtigt. In München ist das Blitzen streng untersagt: Im Untergrund können sich entzündliche Gase bilden, für die schon ein elektrischer "Funke" genügen könnte (man wird deshalb auch immer von einem städtischen Angestellten mit Gasprüfgerät begleitet).

Ansonsten ist jede Art von Kamera möglich, wobei wegen der besseren ISO-Performance Spiegelreflex- oder Systemkameras mit Wechselobjektiven zu bevorzugen sind.

Fotografieren im Untergrund mit Hans Sterr (10 Bilder)

Im Regenrückhaltebecken im Münchner Hirschgarten. Das eigentlich nur wenige Licht wird durch die Langzeitbelichtung verstärkt. Eine kleine Blende sorgt für die Sterne um die Lichtquellen. Die durch die Objektiv-Verzerrung eigentlich stark stürzenden Säulen wurden mit der Perspektivkorrektur von Lightroom ausgeglichen.

Canon EOS 5D Mark IV I 28 mm I f/16 I 30 s I ISO 100 (Bild: Hans Sterr)

Vor welche fotografischen Herausforderungen Sie ein Untergrund-Shooting stellt, hängt natürlich von Größe und Art der besuchten Anlage ab. Im speziellen wird man sich fotografisch um diese Themen kümmern:

  • Vermeiden und/oder Beheben stürzender Linien: In den riesigen Galerien der Regenrückhaltebecken ist es ohne Spezialobjektive (Tilt/Shift) nicht möglich, die durch die Verwendung von (Ultra-)Weitwinkelobjektiven verursachten stürzenden Linien zu vermeiden. Fotografen müssen sich hier mit "Workarounds" während und nach der Aufnahme behelfen.
  • Grafische Fotografie / Bildgestaltung mit Strukturen und Linien: Die klaren und schnörkellosen Strukturen der Architektur zwingen zu einer ebenso klaren Bildsprache, bieten dafür umgekehrt aber vielfältige Möglichkeiten zum Spiel mit ebendiesen Strukturen: Schon ein Schritt links oder rechts, ein höherer oder tieferer Standpunkt verändern Darstellung und Bildaussage.
  • Schwarz-Weiß-Umsetzungen: Eben wegen der starken Strukturen und dem klaren Licht-Schatten-Kontrast eigenen sich die Motive sehr gut für eine Umsetzung ohne Farben. "Schwarz-Weiß-Denken" ist hier also ausnahmsweise sehr erwünscht.
  • Fotografieren mit verfügbarem Licht: "Available Light": Weil keine zusätzlichen Lichtquellen wie Blitze zur Verfügung stehen, ist man ausschließlich auf das in der Anlage verfügbare (und fast durchgehend spärliche) Licht angewiesen. Das allerdings eröffnet auch eine Spielwiese der Fantasie – weshalb kaum zwei Fotografen mit demselben Foto aus dem Untergrund kommen.

Wer an einer Führung im Untergrund teilnimmt, eröffnet sich so einen Blick auf eine wenig bekannte Welt. Es sei aber auch darauf hingewiesen, dass bei "normalen" Führungen der Fokus auf den Erläuterungen zu Funktion und Geschichte der Anlagen liegt und es meist nur wenig Platz, Zeit und Möglichkeiten für die ausgiebige Fotografie gibt.

In eigener Sache: Einen reinen Fotoworkshop bietet der Autor am 14. Mai im Regenrückhaltebecken unter dem Hirschgarten in München an. (ssi)