Digitales Filmfestival: Die Hauptschlagader der Berlinale ist aus Glas

Nach dem Festival ist vor dem Festival: Vom umstrittenen Berlinale-Leiter Dieter Kosslick bleibt auf jeden Fall die Digtalisierung des Filmfestivals.

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Digitales Filmfestival: Die Hauptschlagader der Berlinale ist aus Glas

Bei der Berlinale ist hochkomplexe IT im Einsatz.

(Bild: heise online/vbr)

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Wenn die Bären vergeben sind, das Publikum die letzten Vorstellungen gesehen hat und der rote Teppich eingerollt ist, gehen bei der Berlinale wieder die Lichter aus. Aber nur in den Kinos: So ein Filmfestival ist ein Ganzjahresbetrieb. Mit etwas reduzierter Mannschaft geht es für das Berlinale-Team auch nach dem letzten Vorhang weiter. Das gilt auch für das digitale Herzstück des Festivals: das Film Office am Potsdamer Platz.

Über die Schreibtische – oder besser: durch die Computer – des Filmbüros gehen alle Filme des Festivals. Hier landen zahlreichen Einreichungen an, die ausgewählten Festivalbeiträge und die Beiträge für die Vorführungen des Europäischen Filmmarkts. Das Allermeiste davon kommt schon digital; nur in Ausnahmefällen wird auf der Berlinale noch echter Film vorgeführt. Im Film Office wird der digitale Filmbestand gesichtet, bearbeitet und an die Vorführkinos verteilt.

So ein Spielfilm im gängigen DCP-Format hat etwa 100 bis 150 Gigabyte, schätzt der Leiter des Film Office, André Stever. Es gibt aber auch Pakete, die bringen es auf 400 Gigabyte. Die lagern aber nicht im Film Office, sondern in einem Rechenzentrum von Colt Technologies im Westteil der Stadt. Als langjähriger Technikpartner vernetzt Colt das ganze Festival: Das Film Office und die insgesamt 60 Spielstätten sind mit 10-Gbit/s-Leitungen an das Berliner Glasfasernetz und das Rechenzentrum von Colt angebunden.

Berlinale auf Glas (12 Bilder)

Unter diesen – speziell gesicherten – Betonplatten am Potsdamer Platz verbirgt sich die Hauptschlagader der Berlinale.
(Bild: heise online/vbr)

Colt ist seit 1997 in Berlin. "Die Stadt spielt eine wichtige Rolle für uns", sagt Deutschlandchef Süleyman Karaman, und das nicht nur für die laufende Osterweiterung des Netzes. Die Berlinale ist seit zehn Jahren ein wichtiger Kunde des Netzbetreibers – einer mit besonderen Anforderungen. In der Spitzenzeit rund um das Festivals wird besonders viel Bandbreite benötigt: Die Filme für insgesamt rund 2500 Vorführungen müssen alle rechtzeitig im richtigen Kinosaal landen. Die jeweils benötigte Bandbreite kann die Berlinale individuell einstellen.

Die Verbindungen zwischen Filmbüro, Rechenzentrum und den Spielstätten sind nun auch verschlüsselt. Dafür kommt Hardware des Münchner Anbieters Adva zum Einsatz, mit der die Daten auf der Bitübertragungsschicht (Layer 1) verschlüsselt wird. Die Verschlüsselung wirkt sich nicht auf die Performance aus, sagt Colt Solutions Architect Dirk Erdmann. Die zusätzliche Latenz bewege sich im Mikrosekundenbereich und sei damit "nicht meßbar, also nicht relevant".

Das kommt dem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis der Filmbranche entgegen: Gerade wenn es um internationale Produktionen der großen Studios geht, die ihre Weltpremiere auf der Berlinale feiern sollen, gilt höchste Sicherheitsstufe. Seit etwa fünf Jahren können die Produktionen ihre Berlinale-Filme auch selbst ins Rechenzentrum hochladen, wo sie dann von den Mitarbeitern des Filmbüros weiterverarbeitet werden. Dafür stehen Clipster-Maschinen im Colt-Rechenzentrum, auf denen die Einreichungen gerendert werden.

Inzwischen ist die technische Landschaft des Filmfestivals homogener geworden. Die meisten Filme werden als DCP eingereicht. Manchmal kommen die Filme frisch aus dem Schnitt und liegen dann in ProRes vor, einem Apple-Format für das Schnittsystem Final Cut. Ältere Videoformate wie HDCAM oder Betacam kommen nur noch in Ausnahmefällen vor. "Alle Filme werden im Filmbüro getestet und auf die Bedingungen der jeweiligen Vorstellungen angepasst", erklärt Stever. Zelluloid ist inzwischen die Ausnahme. Nur noch in einigen Festivalsälen ist eine analoge Vorführmaschine fest eingebaut.

Vor fünfzehn Jahren war das noch anders. Der kanadische Spielfilm "La face cachée de la lune", der auf der Berlinale 2004 im Panorama lief, war der erste digital projizierte Festivalfilm: Der auf Sonys Videoformat HDCAM vorliegende Film wurde im Zoopalast gezeigt, der damals schon mit Barco-Digitalprojektoren ausgestattet war. Damit begann für das Filmfestival eine Dekade des Umbruchs – und der Einreichungen in exotischen Videoformaten, die im Filmbüro in eine vorführtaugliche Form gebracht werden müssen.

Die Festplatten wurden am Anfang des digitalen Zeitalters wie zuvor die Filmrollen von Boten zu den verschiedenen Spielstätten gefahren – heutzutage wird nur noch etwa ein Fünftel der Filme auf Festplatte angeliefert. In den Sälen standen Projektoren verschiedener Hersteller. "In den ersten Jahren war es nicht garantiert, dass ein DCP auf allen Servertypen läuft", erinnert sich Stever.

Dazu kam das Problem mit den Schlüsseln: Die damals per Festplatte angelieferten DCP lassen sich nur mit separat gelieferten Schlüsseln abspielen, die den Film nur für eine bestimmte Vorstellung freigeben. Das erschwerte Kompatibilitätstest oder kurzfristige Saalwechsel, denn für jedes Mal musste ein Schlüssel vom Studio oder Verleiher angefordert werden.

Heutzutage läuft das alles über Glasfaser. Seit 2009 übernimmt das Filmbüro die zentrale Ausspielung der Filme an die Vorführungsstätten. Das Festival hat das Vertrauen der Filmbranche gewonnen und darf die benötigten Schlüssel selbst generieren. Die Software für die Verwaltung der Schlüssel und DCPs (CineFMS) ist inzwischen Open Source und wird vom Berlinale-Team selbst weiterentwickelt. (vbr)