Facebook & Co. brauchen eine öffentlich-rechtliche Organisation

In Zeiten, in denen ein einzelner blauhaariger YouTuber mit seiner Kritik an der Klimapolitik ein größeres Medienecho erzeugt als 26.000 Wissenschaftler vor ihm, ist etwas faul im System.

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Kommentar: Öffentlich-rechtliche Organisation für Facebook & Co.?

(Bild: Carsten Rehder/dpa)

Lesezeit: 4 Min.

Bei Social Scoring denkt jeder gleich an China. Doch auch im Rest der Welt hat sich längst ein Social-Scoring-System etabliert, das unsere Handlungen bestimmt: Es sind die Klicks, Likes und Follower auf den großen Social-Media-Plattformen. Sie belohnen nicht die wichtigsten Erkenntnisse, sondern das, was am meisten auffällt: Mal sind es Beiträge progressiver Klimaschützer, allzu häufig aber Posts von Selbstdarstellern, Populisten und Trollen.

Ein Kommentar von Hartmut Gieselmann

Redakteur Hartmut Gieselmann, Jahrgang 1971, ist seit 2001 bei c't. Er leitet das Ressort Anwendungen, Datenschutz & Internet und bearbeitet unter anderem aktuelle Themen rund um die Bereiche Medizin-IT, Netzpolitik und Datenschutz.

Um diese Leute im Zaum zu halten, schlagen Konservative wie Wolfgang Schäuble eine Klarnamenpflicht für Foren und soziale Netzwerke vor. Seine Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer fordert sogar neue Kontrollen für Meinungsäußerungen im Netz.

Beides sind reaktionäre Versuche, etwas auf nationaler Ebene einzudämmen, das längst zu einem globalen Phänomen geworden ist: YouTube, Facebook und Twitter sind zentral gesteuerte Monopolplattformen (jede in ihrem Bereich), die allein nach privatwirtschaftlichen Interessen agieren. Eine Profitmaximierung geht bei ihnen einher mit einer Maximierung der Aufmerksamkeit.

Deshalb werden sie ihre Algorithmen stets darauf optimieren, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzeugen – egal mit welchem Inhalt. Künstler und schlaue Leute fallen mit kreativen und konstruktiven Beiträgen auf. Den Talentfreien und Dummen bleibt jedoch nur die destruktive Pöbelei – egal, ob anonym, pseudonym oder unter ihrem Geburtsnamen. Daran wird sich so lange nichts ändern, wie der Wert eines Menschen an der Zahl seiner Follower gemessen wird.

Um diesen Mechanismus zu zerstören, muss man an der Struktur der großen Plattformen ansetzen. Weil sie sich jeder demokratischen Kontrolle entziehen, entscheiden weiterhin nur eine Handvoll Firmenchefs darüber, nach welchen Idealen die globale Gesellschaft künftig streben wird.

Wie man dieses System aufbrechen kann, zeigt ein Blick ins 20. Jahrhundert. In der ersten Hälfte entstanden mit Radio und Fernsehen neue Technologien, mit denen man die Meinung ganzer Bevölkerungsgruppen wie nie zuvor beeinflussen konnte. Was solche Massenmedien unter der Kontrolle einzelner anrichten können, zeigte sich im Nationalsozialismus. Dieser Rückfall in die Barbarei wurde von Soziologen und Philosophen wie Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ jedoch erst im Nachhinein analysiert und durchschaut; verhindern konnten sie Auschwitz nicht.

Immerhin lernten die Gründer der Bundesrepublik, dass man die Kontrolle über die Massenmedien nicht in die Hände Einzelner geben darf. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird deshalb dezentral organisiert. Die Ausrichtung bestimmen nicht einzelne Personen, sondern Gremien, die sich aus vielen Teilen der Gesellschaft zusammensetzen – darunter Vereine, Gewerkschaften, Kirchen und Parteien. Das zwar nicht perfekte, aber gut funktionierende System hat maßgeblich zur demokratischen Kultur der Bundesrepublik beigetragen – im Unterschied etwa zu Italien oder den USA, wo kein öffentlich-rechtlicher Rundfunk existiert.

Was Radio und Fernsehen als bewusstseinsbestimmende Massenmedien im 20. Jahrhundert waren, sind die sozialen Plattformen im 21. Jahrhundert. Und genauso wie der Rundfunk benötigen auch die Monopolplattformen eine Organisation und Kontrolle nach dem Vorbild der öffentlich-rechtlichen Sender, wie es etwa Leonhard Dobusch, Professor für Organisation und Lernen an der Uni Innsbruck in der aktuellen Juni-Ausgabe der Technology Review vorschlägt.

Die Gremien sollten jedoch nicht direkt über Inhalte entscheiden, sondern darüber, wie Algorithmen Beiträge künftig einstufen und verbreiten. In Zusammenarbeit mit Soziologen müsste an Stelle der Likes und Follower ein neues Bewertungssystem entstehen, das nicht auf Aufmerksamkeits- und Profitmaximierung ausgerichtet ist, sondern konstruktive Beiträge nach oben spült und Teilnehmer belohnt, die respektvoll mit ihrem Gegenüber umgehen. Erste Ansätze, wie so etwas aussehen kann, liefert etwa Mihai Alisie mit einem auf der Ethereum-Blockchain basierenden Sozialnetzwerk namens Akasha. Solange wir vom Aufmerksamkeitsfetisch nicht abrücken, werden Klimawandel und Rechtspopulismus nicht zu stoppen sein.

Dieser Artikel stammt aus c't 13/2019

Korrektur und Ergänzung 24.6.2019: In der ersten Fassung stand, dass Landesmedienanstalten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk organisieren würden. Diese sind jedoch für die privaten Sender zuständig. Der Hinweis wurde deshalb entfernt.

In den USA existiert der Public Broadcasting Service (PBC). Er ist jedoch anders organisiert als der öffentlich-rechtliche Rundfunk hierzulande und konnte bei weitem nicht dessen Bedeutung erlangen. (hag)