Forum "Unbemannte Systeme": Die Rüstungsspirale nimmt Fahrt auf

Das schwächste Glied bei autonomen Waffensystemen ist der Mensch, der über deren Einsatz entscheidet. Als moralische Instanz scheint er bald wegzufallen.

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Forum "Unbemannte Systeme": Die Rüstungsspirale nimmt Fahrt auf

Unsichtbar und autonom: die chinesische Kampfdrohne Sky Hawk.

(Bild: New China TV (Screenshot))

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Es war wie der Kampf zwischen David und Goliath: Vor knapp einem halben Jahr, am 19. Dezember 2018, kam der Flugbetrieb auf dem Londoner Flughafen Gatwick für 36 Stunden zum Erliegen. Etwa 1000 Flüge fielen aus, 150.000 Passagiere waren betroffen. Der Grund: Die großen Maschinen mussten am Boden bleiben, weil im Sicherheitsbereich des Flughafens eine kleine Drohne gesichtet worden war.

Bernd Kögel, Geschäftsführer der Studiengesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik, verwies auf dieses Ereignis, um zu unterstreichen, wie beim heutigen Stand der Drohnentechnologie mit geringem Aufwand großer Schaden verursacht werden kann – und um zum siebten Forum "Unbemannte Systeme" nach Bonn einzuladen. Die einst als "Unmanned Vehicles" gestartete Veranstaltungsreihe will mit dem neuen Titel wohl auch unterstreichen, dass es nicht nur um jeweilige Plattformen in der Luft, zu Wasser oder am Boden geht, sondern diese immer in ein System eingebunden sind.

Diese Systeme werden zudem immer komplexer. Kögel zeigte zum Auftakt des Forums einen Ausschnitt aus dem Film "Slaughterbots", der von der Kampagne gegen Killerroboter produziert wurde. Darin identifizieren Minidrohnen, die in eine Handfläche passen, per Gesichtserkennung ihre Opfer und töten sie, indem sie ihnen mithilfe von 3 Gramm Sprengstoff eine Kugel in den Kopf feuern. Ganze Schwärme davon könnten über einer Stadt abgeworfen werden und sie in kürzester Zeit von den "Bösen" befreien, verspricht ein namenloser Firmenvertreter in dem Film.

Das solle zum einen die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen unterstreichen, so Kögel. Zum anderen zeige es aber auch die Dringlichkeit, moralische Fragen zu erörtern und internationale Regeln zum Umgang mit dieser Technik zu vereinbaren. Letzteres unterstützte Wolfgang Rudischhauser von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, der eine präventive Rüstungskontrolle für dringend geboten hielt. Der bevorstehende Rüstungswettlauf würde viele Staaten, einschließlich Deutschland, überfordern. Es gebe daher ein "massives Interesse, neuen Bedrohungen auf regulatorischem Weg entgegenzutreten". Auf Nachfrage räumte Rudischhauser ein, dass wir es uns nicht erlauben könnten, allein auf diplomatische Abkommen zu warten. Doch er warnte auch: "Wenn wir es nicht schaffen, werden wir auf der Verliererseite stehen."

Am Stand von Airbus verdeutlicht diese Installation das angestrebte zukünftige Luftkampfsystem: Unten fliegen unbemannte Drohnen, in der Mitte fungiert ein bemannter Eurofighter als Kommandozentrale und darüber liefert das hoch fliegende Solarflugzeug Zephyr Aufklärungsdaten und dient als Kommunikationsrelais.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Trotz dieser wenig ermutigenden Aussichten, werden weiterhin Anstrengungen unternommen, beim Wettrüsten mitzuhalten. Es gehe darum, die "militärische Wertschöpfungskette effizienter zu gestalten", erklärte Michael Lauster vom Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen (INT). Damit bezog er sich auf die als "Sensor-to-Shooter" bezeichnete Zeitspanne zwischen der Identifikation eines Ziels und seiner Bekämpfung. Um sie zu verkürzen werde immer mehr Intelligenz "bis ganz nach vorn in die Sensorik" verlagert.

Dabei werde der Mensch, der über den Einsatz einer Waffe entscheiden soll, hinsichtlich der Schnelligkeit bald zum schwächsten Glied. Lauster gab daher zu bedenken: „Wir müssen über die These, dass Systeme ohne Eingriff des Menschen nichts zu dürfen, nachdenken." Zwar unterstützte er die Forderung, ethische Fragen im Vorfeld zu klären, äußerte aber auch die Befürchtung: "Hoffentlich zwingt uns niemand, in vollautomatische Systeme einzusteigen."

So offen ist bei den DWT-Foren zur Militärrobotik bislang noch nicht formuliert worden, dass die Dynamik des Wettrüstens auf die – angeblich von niemandem gewollten – autonomen Waffensysteme hinauslaufen kann. Die Rüstungsspirale können aber auch solche Befürchtungen offenbar nicht stoppen. Es sei klar, dass die zukünftigen Systeme für den Luft- und Bodenkampf unbemannte Elemente enthalten müssten, sagte Mario Gebauer vom Bundesministerium der Verteidigung. Rupert Ficker-Reißing vom Kommando Luftwaffe unterstrich das mit den Worten: "Es ist keine Frage, ob sondern wie diese Systeme zum Einsatz gebracht werden können." Die Autarkie müsse weiter nach vorn wandern, die Doktrin den neuen Technologien in einem iterativen Prozess angepasst werden. Es ginge darum, das Beste aus den beiden Welten – bemanntes und unbemanntes Fliegen – zu kombinieren.

Auch hier fehlte nicht der Hinweis auf potenzielle Gegner wie Russland oder China, die mit Okhotnik-B und Sky Hawk bereits an entsprechenden Systemen arbeiten. In Europa wird das zukünftige Zusammenwirken von bemannten und unbemannten Kampfflugzeugen im Team in deutsch-französischer Kooperation unter dem Titel FCAS (Future Combat Air System) entwickelt.

Analog dazu gibt es für den Bodenkampf das ebenfalls deutsch-französische Projekt MGCS (Main Ground Combat System). Die durch Künstliche Intelligenz (KI) bewirkten Herausforderungen für das Heer würden mit dem Begriff "Hyperwar" zusammengefasst, erläuterte Thomas Manfred Doll vom Amt für Heeresentwicklung. Dazu zählten die Automatisierung von Prozessen auf dem Gefechtsfeld, eine höhere Dynamik und kürzere Entscheidungszyklen. KI werde bei der Erfassung und Identifikation von Zielen ebenso eine zunehmende Rolle spielen wie bei der Luftraumkoordination, der Feuerverteilung und der Lagebeurteilung. Letzteres sei allerdings die "Königsklasse" und liege noch weit in der Zukunft.

Bis zum Jahr 2040 ginge es darum, neue Waffensysteme und Wirkmittel mit hoher Autonomie zu entwickeln und bestehende Systeme zu (teil-) autonomen Systemen weiterzuentwickeln. Seine Aussage, dass der Einsatz tödlicher autonomer Waffensysteme gegen Objekte zulässig sei, stieß auf Widerspruch, worauf Doll einräumte, sich auf eine Definition solcher Systeme gestützt zu haben, die nur intern im Verteidigungsministerium verwendet werde.

"Natürlich müssen wir uns wehren gegen tödliche autonome Waffensysteme", sagte Wolfgang Koch vom Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE) – was wiederum nur mit eigenen autonomen Waffensystemen gelingen kann. Die damit zusammenhängenden rechtlichen Fragen seien noch unbeantwortet. Als einen Hoffnungsschimmer verwies er darauf, dass das Rüstungsvorhaben FCAS das erste technologische Großprojekt sei, das von Anfang an durch einen Ethikrat begleitet werde. Ob der aber in der Lage sein wird, das Wettrüsten aufzuhalten oder auch nur abzuschwächen, darf bezweifelt werden. (olb)