Zahlen, bitte! US-Drohnen – Sechs Millionen Flugstunden, Tausende Todesopfer

Vor 25 Jahren absolvierte die Predator-Drohne ihren Jungfernflug, wenig später sollte sie die US-Kriegsführung revolutionieren.

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Zahlen, bitte! US-Drohnen – Sechs Millionen Flugstunden, Tausende Todesopfer
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Im Juli 1994 hatte mit der Predator A beziehungsweise MQ-1 Predator jene Drohne ihren Jungfernflug, die schon bald das "Gesicht des Krieges" verändern sollte, wie es US-General Mark Welsh von der US Air Force 25 Jahre später ausdrücken würde. Mehr als 320 Exemplare dieses ersten erfolgreichen unbemannten militärischen Flugzeugs hat Hersteller General Atomics Aeronautical Systems in diesen Jahren ausgeliefert – größtenteils an die US-Streitkräfte, aber auch an Italien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Fast 141.000 Missionen haben diese Drohnen geflogen mit insgesamt mehr als zwei Millionen Flugstunden – über 90 Prozent davon als Unterstützung in Kampfeinsätzen.

Während derartige Zahlen aber mit Stolz zu Meilensteinen öffentlich gemacht und gefeiert werden, kommt die Öffentlichkeit an andere viel schwieriger oder überhaupt nicht heran. Denn auch wenn die Predator ("Raubvogel") zuerst als unbewaffnete Aufklärungsdrohne konzipiert und eingesetzt wurde, waren die Anschläge vom 11. September 2001 Anlass für Hersteller und US-Militär, die Drohne zu bewaffnen. Zuerst in Afghanistan, dann auch in anderen Ländern machten die MQ-1 und ihre Nachfolger dann ferngesteuert Jagd auf mutmaßliche Terroristen und traf dabei auch immer wieder Zivilisten. Das alles geschieht weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie viele Opfer diese Drohnenkriege gefordert haben, ist deshalb höchstens zu schätzen.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

General Atomics' Drohnen kommen inzwischen auf fast sechs Millionen Flugstunden. Für das Militär waren die Drohnen ein Geschenk, von dem "die USA und ihre Alliierten in einer Weise profitiert haben, wie es noch zur Jahrtausendwende nicht absehbar war". So sieht es zumindest James Roche, der als damaliger Chef der US Air Force maßgeblich Verantwortung für die Bewaffnung der MQ-1 trug. General David Goldfein erklärte das im Januar so: "Wir mussten ein Vorhaben umsetzen, um den Gegner besser zu verstehen und ihre Köpfe unten zu halten, damit sie keinen komplexen Angriff durchführen konnten." Gleichzeitig mussten sich keine US-Soldaten Gefahr begeben, sie konnten stattdessen vorm Monitor aus Krieg führen.

Die US-Kampfdrohne MQ-1 Predator

Von Militärs und der politisch verantwortlichen Führung wurde derweil immer wieder der Eindruck erweckt, dass die Drohnenangriffe quasi mit chirurgischer Präzision durchgeführt und zielgenau nur Terroristen treffen würden. In der Praxis sieht das aber allzu oft anders aus und die Liste der scharfen Kritiker der Drohnenkriege ist lang. Sie befürchten etwa, dass dieses falsche Bild dafür sorgt, dass die USA endlos im Krieg bleiben, weil ohne US-amerikanische Kriegsopfer keine öffentliche Debatte entsteht. Andere sprechen von einer "Todesstrafe ohne Gerichtsverfahren". In Deutschland waren die Drohnenkriege immer mal wieder Thema, vor allem weil die US-Militärbasis Ramstein für die Drohnenflüge als Relais genutzt wird.

Während die Drohnen und die damit zusammenhängenden Kriege im Schatten in den verantwortlichen Staaten höchstens selten diskutiert werden, bestimmen sie in den Zielgebieten teilweise den Alltag. Welche Folgen sie dort haben, versuchen mehrere Organisationen seit Jahren zumindest quantitativ zusammenzutragen, während Medien immer wieder die verheerenden Konsequenzen in den Blick nehmen. Datenbanken zu vier Schauplätzen, an denen US-amerikanische Drohnen Angriffe fliegen, stellt etwa das Bureau of Investigative Journalism in London zusammen. Wegen der schlechten Datenlage werden Drohnenangriffe hier aber nur für Pakistan gesondert aufgeführt. Quelle sind oft schwer zu verifizierende Berichte von vor Ort.

Der US-amerikanische Think Tank New America sammelt für seine Bilanz nur unabhängig bestätigte Daten zu US-Drohnenangriffen. In Pakistan wurden demnach 414 gezählt, die große Mehrzahl (353) davon unter Barack Obama. Im Jemen kommt New America auf 285, mehr als ein Drittel davon bereits unter Donald Trump. Unter dem Republikaner sei aber die Transparenz bezüglich der Attacken noch einmal eingeschränkt worden, was die Zählung erschwere. In Somalia hat New America 169 Drohnenangriffe gezählt, allein 128 davon unter Donald Trump. Noch unübersichtlicher ist die Lage demnach in Libyen, wo ganz verschiedene Kriegsparteien Luftangriffe ausführen.

Im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, in Somalia und dem Jemen hat New America dabei insgesamt 868 US-Drohnenangriffe ausgemacht, bei denen zwischen 5000 und fast 7000 Menschen getötet wurden. Davon seien zwischen 385 und 505 Zivilisten gewesen. Angesichts der Schwierigkeiten, diese Zahlen zusammenzutragen, dürften die wahren Opferzahlen höher liegen. Das Bureau of Investigative Journalism, das die Drohnenangriffe nicht von anderen US-Luftangriffen trennt und teilweise auch verdeckte Militäroperationen mitzählt, führt noch gesondert auf, dass zwischen 253 und 397 Kinder Opfer der weitgehend geheimen US-Kriege seit 2004 wurden. Die aktuellen Angriffe in Afghanistan, Pakistan und Somalia fanden demnach im Juli statt, im Jemen ist der jüngste vom 24. Juni. (mho)