Auch mit Einsteins Hilfe: NASA lässt Machbarkeit einer interstellaren Mission prüfen

Eine Sonnenfinsternis vor 100 Jahren bestätigte die Relativitätstheorie. Dieses Jahr könnte ein Himmelsschauspiel ambitionierten Missionsplanern helfen.

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Konferenz EPSC-DPS: Wie die Sonne mehr über Planeten verrät

(Bild: eso.org)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Vor genau 100 Jahren wurde durch Beobachtungen einer Sonnenfinsternis die erste empirische Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie erbracht. Der Blick zur Sonne bietet nun im Jubiläumsjahr erneut eine Gelegenheit, Einsteins Vorhersagen zu überprüfen – aber auch, um Weltraummissionen in die entgegengesetzte Richtung vorzubereiten. Das wurde auf dem EPSC-DPS Joint Meeting in Genf deutlich, auf dem 1600 Astronomen über ihre Forschungen zu Planeten innerhalb und außerhalb unseres Sonnensystems berichten. Sie zeigen, wie aktuell Einsteins Theorien weiterhin sind.

So ist eine astronomische Anomalie, die durch die Allgemeine Relativitätstheorie erklärt werden kann, die Bewegung des Planeten Merkur, dessen sonnennächster Punkt mit jeder Umkreisung ein Stück um die Sonne wandert – allerdings um 43 Bogensekunden pro Jahrhundert mehr, als von der Newtonschen Mechanik erwartet. Diese Differenz lässt sich durch Einsteins neues Verständnis von Raum und Zeit erklären. Am 11. November gibt es nun eine Gelegenheit, diesen Effekt noch einmal zu überprüfen: Dann wird Merkur vor der Sonne vorbei wandern, ein Ereignis das besonders genaue Messungen ermöglicht, wie Jay Pasachoff (Williams College) auf der Genfer Tagung hervorhob.

Solche Planetendurchgänge vor der Sonne erlauben auch, deren Durchmesser präzise zu bestimmen. Das wiederum dürfte auch für Forscher von Interesse sein, die ihren Blick in die entgegengesetzte Richtung lenken. So hat die US-Weltraumbehörde NASA das Applied Physics Laboratory (APL) der Johns Hopkins University beauftragt, die Machbarkeit einer interstellaren Weltraummission zu untersuchen.

Ralph McNutt, der die Studie leitet, machte bei deren Vorstellung zunächst klar, dass es dabei nicht um eine Mission zu Alpha Centauri, dem nächsten Sternsystem, gehe, sondern lediglich um den ersten Schritt auf dem Weg zu den Sternen. Gedacht ist an eine Raumsonde, die in 50 Jahren etwa 1000 Astronomische Einheiten zurücklegen soll. Eine Astronomische Einheit entspricht dem mittleren Abstand der Erde von der Sonne von etwa 150 Millionen Kilometer, es geht also um eine Entfernung von 150 Milliarden Kilometer oder ungefähr vier Lichttage (Alpha Centauri ist 4,3 Lichtjahre entfernt).

Um die dafür nötige Geschwindigkeit zu erreichen, favorisiert McNutt ein Manöver, das bereits der deutsche Raumfahrtpionier Hermann Oberth vorgeschlagen hat: Einen Vorbeiflug an der Sonne in sehr geringem Abstand von drei bis vier Sonnenradien, bei dem zugleich der Antrieb gezündet wird. Auf diese Weise ließe sich eine Sonde auf 40 km/s beschleunigen, vermutet McNutt. Allerdings sei ein umso größerer Hitzeschild erforderlich, je näher die Sonde der Sonne kommt, was wiederum deren Masse erhöht. Das letzte Wort ist hier also noch nicht gesprochen.

Erwägungen zur Massenbilanz sind auch ein Grund, warum McNutt von einem Sonnensegel als Antrieb wenig hält. Es gäbe bislang kein Material, das leicht und zugleich stabil genug sei, um ein Umklappen des Segels wie bei einem Regenschirm im Wind zu verhindern. Das Problem sei ähnlich wie bei einem Weltraumfahrstuhl, der ein 36.000 Kilometer langes Kabel benötigt. "Wenn wir in der Lage sind, so ein Kabel zu bauen, können wir auch über ein Sonnensegel reden", sagte McNutt.

Eine interstellare Sonde, die ohne ein klares Ziel auf den Weg gebracht wird, mag zunächst ungewöhnlich erscheinen. Sie könne aber viele neue Erkenntnisse bringen, sagte Robert F. Wimmer-Schweingruber (Universität Kiel). Neben physikalischer Grundlagenforschung, insbesondere zur Plasmaphysik, würde sie zum besseren Verständnis der Heliosphäre beitragen. "Aufgrund der Daten des Interstellar Boundary Explorer wissen wir, dass die Heliosphäre durch das interstellare Magnetfeld geformt wird", sagte er. "Aber wir wissen nicht, wie es aussieht." Auch die Zusammensetzung des interstellaren Mediums sei unbekannt.

Auf dem Weg in den interstellaren Raum könnten zudem bei Vorbeiflügen Planeten beobachtet und möglicherweise auch dem in den äußeren Regionen des Sonnensystems vermuteten neunten Planeten nachgespürt werden. Wimmer-Schweingruber verwies auf ein von ihm für die Europäische Weltraumorganisation ESA mit verfasstes White Paper zu dem Thema.

Es gibt auch Vorschläge, den von Einstein postulierten und 1919 nachgewiesenen Effekt der Lichtablenkung durch die Gravitation der Sonne zu nutzen: Wenn eine Sonde den Fokus dieser solaren Gravitationslinse ansteuere, der in einer Entfernung von 550 Astronomischen Einheiten vermutet wird, könnten Sonne und Sonde sich wie Objektiv und Okular zu einem gigantischen Teleskop mit extrem hoher Auflösung formieren. McNutt wandte gegen diese Idee des Italieners Claudio Maccone ein, dass bislang noch unsicher sei, wie konstant der Durchmesser der Sonne ist, und der Fokus der Gravitationslinse daher nicht eindeutig bestimmt werden könne.

Vielleicht bringt der Merkur-Durchgang am 11. November da ja etwas mehr Klarheit, so wie jene historische Sonnenfinsternis vor 100 Jahren. An die damit verbundene legendäre Expedition von 1919 wurde nun in einer eigenen Sitzung erinnert. Auf ihr hatten die britischen Astronomen Arthur Eddington und Frank Dyson die damals umstrittene Theorie Albert Einsteins auf die Probe stellen wollten. Der war zu dem Schluss gekommen, dass große Massen durch ihre Schwerkraft Licht ablenken können. Das, so sein Vorschlag, müsste sich bei einer totalen Sonnenfinsternis, wenn vorübergehend Sterne auch nahe bei der Sonnenscheibe beobachtet werden können, durch eine Abweichung ihrer Position vom erwarteten Wert zeigen. Am Rand der Sonne müsste diese Abweichung 1,75 Bogensekunden betragen, so Einstein.

Daniel Kennefick (University of Arkansas), der ein Buch darüber geschrieben hat, berichtete, mit welcher Skepsis die meisten Astronomen Einsteins Theorie begegneten und ihnen als bloß einen weiteren Kritiker von Isaac Newton abtaten, von denen es in den vergangenen Jahrhunderten schon genug gegeben hatte.

Einen ersten Versuch, die Allgemeine Relativitätstheorie auf diese Weise zu testen, hatte es bereits fünf Jahre zuvor gegeben. Der Berliner Astronom Erwin Finlay-Freundlich hatte zunächst versucht, den Effekt in Aufnahmen früherer Sonnenfinsternisse nachzuweisen. Diese waren jedoch zu ungenau, da die Teleskope den Bewegungen der Sonne gefolgt waren und die Sterne dadurch unscharf abgebildet waren. Die Beobachtung einer Sonnenfinsternis auf der Krim am 21. August 1914 sollte bessere Daten liefern, wurde aber durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhindert: Finlay-Freundlich wurde interniert, seine Ausrüstung beschlagnahmt.

Erst die Sonnenfinsternis vom 29. Mai 1919, deren Beobachtung von Brasilien und der westafrikanischen Insel Principe aus Eddington und Dyson organisierten, bestätigte Einsteins Vorhersagen. Was im Rückblick klar und selbstverständlich erscheint, war tatsächlich spannend wie ein Krimi: Kennefick schilderte, wie es kurz nach dem Krieg allein schon schwierig war, ein Schiff für die Reise zu finden. Auch war die Sonne bis kurz vor der Totalität durch Wolken verdeckt. Auf Principe wird das Ereignis in diesem Jahr denn auch mit einer Vielzahl von Veranstaltungen gewürdigt.

(kbe)