Snowden-Biografie: Held oder Verräter?

In einem Buch beschreibt der in den USA angeklagte Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden die Geschichte seiner Enthüllungen. Skandalöse Neuigkeiten sind nicht darin zu finden, aber man erfährt, was ihn getrieben hat.

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Edward Snowden
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

Edward Snowden war schon als kleiner Junge eigenwillig und das, was er als Hacker bezeichnet: Weil er als nicht richtig empfand, dass er abends früh ins Bett musste, obwohl er gar nicht müde war, verstellte er an seinem sechsten Geburtstag alle Uhren im Haus. Mit diesem Trick kam er durch und konnte zum ersten Mal einen Sonnenuntergang im Sommer sehen. Am nächsten Morgen zeigten dann wieder alle Uhren dieselbe Zeit wie die Armbanduhr seines Vaters, schreibt er in seiner jetzt erschienenen Biografie "Permanent Record", die mit Hilfe eines Journalisten entstanden ist.

Ein eigenwilliger Hacker ist Snowden auch später geblieben, ein Mensch, der nicht hinnehmen kann, wenn Regeln seiner Ansicht nach keine gute Begründung haben – und dann Möglichkeiten findet, um sich dagegen zu wehren. Das tat er schon in der Schule, indem er herausfand, wie er mit minimalem Aufwand einen Rauswurf vermeiden konnte, und später als CIA-Auszubildender, als er über den Kopf seines Schulleiters hinweg unzumutbare Zustände in den Unterkünften kritisierte.

Später arbeitete Snowden bekanntlich in verschiedenen Positionen für Geheimdienste der USA. Als ihm auffiel, dass dort nicht alles nach Recht und Gesetz abzulaufen schien, sammelte er jahrelang Beweismaterial, schmuggelte es zu sich nach Hause und stellte eine Auswahl davon Journalisten zur Verfügung. Die Enthüllungen sorgten für weltweite Verwicklungen und Reformen bei den Geheimdiensten, Snowden wurde von der US-Regierung wegen Spionage angeklagt. Seit 2013 lebt er in Moskau, wo er gestrandet ist, weil die Behörden seiner Heimat seinen Pass für ungültig erklärten, während er auf dem Weg nach Lateinamerika war.

In seiner Biografie liefert er kein Material für weitere Skandale, aber er lässt ansatzweise erkennen, warum er ist, wie er ist, und warum er getan hat, was er getan hat. Aus einer Familie von patriotischen Geheimdienst- und Armee-Mitarbeitern stammend, erweckte Snowden zunächst nicht den Eindruck, in der realen Welt viel erreichen zu wollen. Schon früh entdeckte er dank seines technikbegeisterten Vaters Spielkonsolen und später die neu aufkommenden Personal-Computer. Nächtelang beschäftigte er sich erst mit Spielen und dann mit dem inzwischen entstandenen Internet in seiner frühen Form. Wenn jemand zum Telefonieren die Netzverbindung unterbrach, flippte er aus.

Schule und später College waren da nur lästige Ablenkungen, aber seine inzwischen getrennten Eltern ließen ihn gewähren. Dass der junge Snowden durchaus begabt war, nur eben ein wenig unwillig, war inzwischen klar. Im Internet saugte er Wissen auf. Als Berufsziel dachte er sich Systementwickler aus – weil man in diesem Job nicht irgendwelche Computer oder Netzwerke installieren oder warten muss, sondern Gott spielen kann oder zumindest Westentaschendiktator, wie er in "Permanent Record" schreibt.

Nach einem Ausflug zur US-Armee, wo der schmächtige junge Mann zu einer Spezialeinheit wollte, aber an einer Verletzung in der Grundausbildung scheiterte, ging er zur Geheimdienstbehörde NSA, die damals an der University of Maryland ein neues Labor für Sprachanalysen aufbaute. Allerdings war er dort nicht Entwickler, sondern Nachtwächter – das Labor war noch im Bau, und Snowden musste nachts aufpassen, dass dort nichts manipuliert wurde. Die viele freie Zeit in diesem Job nutzte er für interne Recherchen am Computer.

Hier zeigt sich ein weiteres Muster: Snowden war stets nachtaktiv, geschickt darin, sich möglichst wenig Arbeit zu machen, und überaus neugierig. Als er auf einer frühen Partnerbörse seine heutige Ehefrau Lindsay kennenlernte, fand er zumindest beim letzten Punkt eine Seelenverwandte: Er recherchierte alles über sie, was er im Netz finden konnte, und als er ihr das gestand, erklärte sie, genau das Gleiche getan zu haben.

Doch während die Erkundigungen zu Lindsay zu einer langjährigen Partnerschaft führten, gefiel Snowden das, was er von innen über die US-Geheimdienstarbeit erfuhr, immer weniger. Als er im Jahr 2009 einen Vortrag über grassierende Überwachung in China halten sollte, dämmerte ihm, dass sein eigenes hochtechnisiertes und seit den Anschlägen vom 11. September 2001 leicht paranoides Land womöglich nichts anderes trieb: "Es war, als würde ich in einen Spiegel blicken".