G20-Krawalle: Polizei ignoriert Löschanordnung des Datenschützers

Eigentlich sollte die Hamburger Polizei eine Datenbank mit Bildern von G20-Demonstranten löschen, doch sie nutzt sie munter weiter.

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G20-Krawalle: Polizei ignoriert Löschanordnung des Datenschützers

G20-Krawalle in Sankt Pauli.

(Bild: Shutterstock/Ewa Draze)

Lesezeit: 3 Min.

Die Polizei Hamburg nutzt weiter rege eine biometrische Referenzdatenbank auf der Suche nach Randalierern rund um den G20-Gipfel im Juli 2017 in der Hansestadt. Der Landesdatenschutzbeauftragte Johannes Caspar hatte Ende 2018 angeordnet, dass das IT-System gelöscht werden muss, in dem die Fahnder Gesichter Tausender Bürger gespeichert haben. Trotzdem haben Strafverfolger seitdem in 92 Fällen in der biometrischen Datenbank recherchiert und einschlägige Maßnahmen nicht zumindest auf Eis gelegt.

Die Zahlen stammen aus einer jetzt veröffentlichten Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linksfraktion der Hamburgischen Bürgerschaft. Demnach betrafen 72 der neuen Recherchen bekannte Tatverdächtige, 19 richteten sich gegen Unbekannte. Insgesamt hat die zuständige Sonderkommission "Schwarzer Block" damit 782 Suchen in dem umstrittenen System "Gesichtsanalysesoftware" (GAS) durchgeführt. Zugriff auf die sensible Datenbank haben laut dem Senat sonst nur noch die zuständigen Administratoren.

Wie viele tatverdächtige Personen die entsprechende "Ermittlungsgruppe 181" bislang mithilfe der automatisierten Technik überführt hat, vermag der Senat nicht zu sagen. Dazu wäre eine manuelle Durchsicht sämtlicher Hand- und Ermittlungsakten mit rund 800 Vorgängen nötig, was "in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich" sei.

Caspar hatte die umstrittene Fahndungsaktion bereits vor über einem Jahr als rechtswidrig eingestuft und die Polizei vor Ort aufgefordert, die "ohne Rechtsgrundlage erhobenen biometrischen Daten" zu löschen und den Einsatz der automatisierten Gesichtserkennungssoftware Videmo 360 zu stoppen. Seine spätere Anordnung begründete er vor allem damit, dass die automatisierte Erfassung "unterschieds- und anlasslos" geschehe. Sie betreffe massenhaft Personen, die nicht tatverdächtig seien.

Die Innenbehörde der Stadt Hamburg klagte im Januar gegen die Aufforderung Caspars, da sie das eigens angeschaffte Analyseprogramm dauerhaft nutzen will. Vor dem Verwaltungsgericht soll darüber am 23. Oktober mündlich verhandelt werden. Der Senat will aber parallel noch vor einem Urteil auf Nummer sicher gehen: obwohl der Datenschutzbeauftragte das vergleichsweise scharfe Mittel der Anordnung bislang erst einmal genutzt hat, soll es ihm laut dem Entwurf der schwarz-grünen Landesregierung für eine Reform des Polizeigesetzes gegenüber der Verwaltung ganz entzogen werden. Er könnte dieser gegenüber dann nur noch Warnungen oder Beanstandungen aussprechen, die oft unbeachtet bleiben.

Caspar selbst zeigte sich in einer ersten Stellungnahme verwundert über das Vorhaben: die Rechtslage besage bereits, dass die Polizei bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Anfechtungsklage nicht an die Anweisung gebunden sei. Bislang hätten die Ordnungshüter zudem keine Probleme damit gehabt, seine Kritik und Untersagungsverfügung zu ignorieren. Dass dies überhaupt rechtlich zulässig sei, solange das Gerichtsverfahren laufe, bewertet der Datenschutzbeauftragte als problematisch, da so über einen langen Zeitraum hinweg die Rechte und Freiheiten Betroffener verletzt würden.

Kritisch sieht die Initiative auch Sebastian Golla, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Mainz für Datenschutzrecht. Er verweist auf Widersprüchlichkeiten zum europäischen Recht, in dem wirksame Abhilfebefugnisse für die Datenschutzaufsicht vorgeschrieben seien. Der Gesetzentwurf weise in die gegenteilige Richtung. Die Innenexpertin der Grünen in der Bürgerschaft, Antje Möller, bezeichnete die Vorlage des Senats gegenüber heise online bereits als einen Kompromiss an mehreren Punkten. Aus ihrer Sicht wäre es wünschenswert, wenn der Datenschutzbeauftragte "über alle landesgesetzlichen Regelungen hinweg einheitliche Befugnisse hätte". Dies scheine rechtlich aber offenbar kaum möglich. Die Koalition werde das Thema nach den Anhörungen weiter diskutieren. (vbr)