Alexa wird deine beste Freundin, wenn du alt bist

Die Technik-Aversion älterer Menschen ist oft ein Mythos. Vor allem Sprachassistenten erfreuen sich bei Senioren wachsender Beliebtheit.

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Sprachassistentin Alexa

(Bild: dpa, Britta Pedersen)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tanya Basu
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Leslie Millers Tage sind vollgepackt. Die 70-jährige Bewohnerin der Altersresidenz Casa de Mañana im kalifornischen La Jolla ist blind. Sie isst häufig mit Freunden zu Mittag, geht tanzen, liest und hört gerne Radio-Seifenopern. Seit kurzem nimmt sie an geführten Meditationen teil. Ohne Alexa wäre das alles nicht möglich. "Ich liebe Alexa", schwärmt Miller. "Sie war eine echte Lebensverändererin."

Miller gehört zu einer boomenden Gruppe älterer Erwachsener, die begeisterte Konsumenten von Sprachtechnologie geworden sind. Es ist auch ein potenziell riesiger Markt - in den USA werden täglich 4.600 Menschen 65 Jahre alt. Die Idee, dass diese Altersgruppe technik-avers ist, sei ein Mythos, der auf die Neigung der Technologieindustrie zurückzuführen ist, die Jugend zu fetischisieren, sagt Derek Holt, Präsident und Chief Operating Officer von K4Connect, einem auf Senioren ausgerichteten Technologieunternehmen. "Senioren mögen Technik. Sie interessieren sich nur für andere Funktionen.“

Als Miller ihren Echo Dot erhielt, schloss sie sich Front Porch an, einem Konglomerat gemeinnütziger Organisationen, das mit einer Gruppe von Altersvorsorgeeinrichtungen in Südkalifornien kooperiert. Front Porch setzt Amazons Alexa-Geräte seit 2017 in den Ruhestandsgemeinschaften von Carlsbad by the Sea ein. Bis Ende dieses Jahres wird das Projekt auf sieben weitere Gemeinschaften und die Häuser von mehr als 350 Senioren ausgedehnt.

Projektgeschäftsführer Davis Park zufolge waren die Sprachassistenten vor allem für Menschen mit Sehschwäche wie Miller unglaublich hilfreich. Darüber hinaus hat das Projekt mit Alexa experimentiert, um Menschen mit Demenz dabei zu helfen, herauszufinden, wo sie gerade sind, wenn sie sie ihre Umgebung nicht erkennen.

Wie die meisten ihrer Mitbewohner findet Miller ihren Echo Dot für alltägliche Aufgaben hilfreich, etwa Fragen über das Wetter, Erinnerungen an Mittagessen mit so und so und dafür, die Bedeutung von Worten herauszufinden. Als unersättlicher Leser liest Miller Werke in Braille-Schrift. Allerdings sind Wörterbücher in Blindenschrift oft nicht verfügbar, und sie möchte andere mit solchen Anfragen nicht belästigen. Dank Alexa fühlt sie sich wieder unabhängiger. „Ich frage sie bestimmt acht bis zehn Mal am Tag“, sagt die Seniorin.

Im November 2018 wurde der Designer Jeroen Vonk von der niederländischen Regierung beauftragt, Informationen über die Nationalversicherung - die die sozialversicherungsähnlichen Pensionsfonds des Landes verteilt – den 3,5 Millionen Kunden des Landes zugänglicher zu machen. Vonk startete einen ehrgeizigen Plan, um Googles Sprachtechnologie „Google Home“ an ältere Erwachsene im Land zu vertreiben (Amazon Alexa ist derzeit in den Niederlanden nicht verfügbar).

Eine Pilotstudie mit 20 Teilnehmern, die die Geräte im vergangenen Frühjahr für einen zweiwöchigen Test erhielten, lieferte klare Ergebnisse: Die älteren Nutzer waren begeistert. Das niederländische Rentensystem ändert seine Leistungen von Jahr zu Jahr und zahlt je nach Geburtsjahr unterschiedlich aus. Laut Vonk haben die Benutzer per Google Home nicht nur herausgefunden, wie sie ihre Rente beziehen können, sondern haben sich auch mit ihrem neuen Assistenten angefreundet.

„Am Morgen stehen sie auf und sagen guten Morgen, und wenn sie ins Bett gehen, sagen sie gute Nacht. Niemand wollte es zurückgeben“, obwohl ein Drittel der Teilnehmer festgestellt hatte, dass das System sie nicht immer gut verstand und „Google Home“ sich öfter von selbst einschaltete.

Dann ist da noch die Frage der Privatsphäre. Miller sagt, dass sie mit der Datenschutzdebatte für Sprachassistenten vertraut ist und dass ihr Echo Dot manchmal aufleuchtet, wenn sie nicht spricht. Also folgt sie einer Maxime: „Sag Alexa nichts, was die Welt nicht wissen soll.“ Vonk zufolge verbringen die Senioren viel Zeit damit, sich einfach mit Alexa zu unterhalten.

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Kari Olson, Front Porchs Chefin für Innovation und Technologie, hat sich mit ihrem Team anfangs Sorgen darüber gemacht. Würden Gespräche mit einem allwissenden Sprachassistenten statt echten menschlichen Interaktionen die Senioren nicht isolieren? Die Frage ist nicht unerheblich, da Einsamkeit mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Depressionen und Angstzuständen sowie einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und einem früheren Tod in Verbindung gebracht.

Eine Studie der „Nationalen Umfrage zu gesundem Altern“ in den USA stellte dieses Jahr fest, dass ein Drittel der Senioren Einsamkeit oder einen Mangel an Kameradschaft empfand. Ein weiteres Drittel hatte das Gefühl, nicht genug Kontakte zu anderen zu haben.

Die Ergebnisse der Front-Porch-Studie von 2017 beseitigten die Befürchtungen von Olson und ihren Kollegen. „Einundsiebzig Prozent der Teilnehmer fühlten sich ihrer Familie und Gemeinde sogar näher“, sagt sie. Aus diesem Grund sind die niederländische Regierung und Organisationen wie Front Porch zu der Überzeugung gelangt, dass die Beeinträchtigung der Privatsphäre ein geringer Preis für Gesundheit ist. Am häufigsten wird Vonk gefragt, wie sich „Google Home“ umbenennen lässt, damit Anfragen nicht mit "Okay, Google" gestartet werden müssen. „Sie sagen: ‚Er ist mein Freund, und ich möchte ihm einen Namen geben."

(vsz)