Die Nostalgie von morgen

Was wird von den 2010er-Jahren in Erinnerung bleiben?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 2 Min.

Radiosprecher werden künftig einen langen Atem brauchen: „Hier laufen die größten Hits der Siebziger, Achtziger, Neunziger, Zweitausender, <lufthol> Zweitausendzehner und das Beste von heute.“ Erfahrungsgemäß schieben ja frisch in die Vergangenheit abgewanderte Jahrzehnte ihre Vorvorgänger nicht einfach in die wohlverdiente Vergessenheit, sondern legen sich noch obendrauf. Es ist eine seltsame Vorstellung, dass die nun zu Ende gehende Dekade in ein paar Jahren schon nostalgisch ausgemolken werden wird, mit Fernsehshows und Revivalpartys.

Das Statistik-Portal Statista hat schon mal einen Rückblick auf die größten technischen Meilensteine gegeben: Soziale Netzwerke (Pinterest, Instagram, Snapchat, TikTok), Apple-Produkte (iPad, Apple Watch, Airpods) sowie Amazon Echo. Das geht sicherlich in die richtige Richtung, greift zur Charakterisierung eines ganzen Jahrzehnts etwas kurz.

Ich würde deshalb noch ergänzen: Quantencomputer, Elektromobilität, autonomes Fahren, Crispr, Gig-Economy, Deep Fakes, Überwachungstechnik, Künstliche Intelligenz, Drohnen, VR und AR, Cloud Computing, Blockchain, 3D-Druck. (Die Wurzeln dieser Technologien liegen natürlich schon weiter zurück, aber sie wurden erst nach 2010 wirklich präsent.)

Das ist schon mal nicht wenig. Was aber vermutlich als prägend in Erinnerung bleiben wird, sind Hass, Polarisierung und zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit. Wird sich aus diesem giftigen Gebräu je eine verklärende Nostalgiesauce herausdestillieren lassen? Ich habe da meine Zweifel. Aber vielleicht liegt es ja auch an mir. "Du bist nicht die Zielgruppe, weil dein Nostalgie-Nährboden in den Neunzigern schon gesättigt war", twittert jedenfalls mein ehemaliger Kollege Anton Weste.

Andererseits sind ja selbst die Achtziger in den wohligen Erinnerungskanon aufgenommen worden. Dabei waren sie doch, bei Licht betrachtet, ein scheußliches Jahrzehnt: Kalter Krieg, atomares Wettrüsten, Tschernobyl, starke Polarisierung (Punker oder Popper, Yuppie oder Öko, JU-ler oder Juso). Dazu noch diese Mode und diese Musik…

Naja, Geschmackssache. Aber in meiner Wahrnehmung sind die Achtziger vor allem das Jahrzehnt, an dem es am Ende doch nicht so schlimm gekommen ist, wie viele damals (zu Recht) befürchtet hatten. Wäre schön, wenn man das später auch von den 2010ern sagen könnte.

(grh)