Fataler Off-Label-Use-Wildwuchs in Geburtskliniken

Der Magenschoner Cytotec hat eine Off-Label-Use-Karriere als Medikament zum Einleiten der Geburt gemacht. Nun gehen Frauen nach Komplikationen vor Gericht.

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Knapp 160.000 Geburten werden jährlich in Deutschland eingeleitet. Der Grund ist häufig, dass das Kind längst auf die Welt hätte kommen sollen, die Wehen aber einfach nicht losgehen wollen. Bevor Geburtsmediziner zum Skalpell greifen und das Kind per Kaiserschnitt holen, versuchen sie erstmal die Gebärmutter mit Medikamenten zu Kontraktionen zu überreden. Das dafür häufig eingesetzte Medikament Cytotec ist nun in die Kritik geraten, weil es zu schweren Komplikationen nach der Einnahme kam. Deutsche und französische Frauen ziehen vor Gericht.

Zugelassen und bewährt für die Einleitung von Geburten sind zwei Wirkstoffe: Prostaglandin E2 wird in die Scheide eingeführt und Oxytocin über einen Zugang in die Venen getropft. Einfacher – weil eine kleine Tablette – und außerdem billiger ist jedoch Cytotec. Das Medikament enthält den Wirkstoff Misoprostol, der ebenfalls zu den Prostaglandinen gehört. Seine Aufgabe als Medikament ist eigentlich den Magen von Menschen mit Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren zu schonen und nicht Wehen auszulösen. Das tut es aber eben auch – als Nebenwirkung – und wird deshalb seit Jahren in der Geburtsmedizin eingesetzt.

Eine Zulassung als Geburtseinleitungsmedikament hat es nicht. Aber das Gesetz hält Arztinnen und Ärzte grundsätzlich erst einmal für verantwortungsbewusste Menschen, die dem Hippokratischen Eid verpflichtet sind, und erlaubt ihnen den so genannten "Off-label-use" von Medikamenten. Zu Deutsch: den nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch.

Die Idee dahinter ist, dass sich manchmal Medikamente zur Behandlung verschiedener Erkrankungen eignen. Für jede der Erkrankungen muss der Hersteller eigentlich eine eigene Zulassung beantragen. Nun sind Zulassungsverfahren immer mit sehr teuren klinischen Studien verbunden und wenn eines der Einsatzgebiete ausgerechnet eine sehr seltene Erkrankung ist, lohnt sich das wirtschaftlich nicht. Macht ja nichts, dafür gibt es dann den Off-label-use.

Sicher müssen die Wirkstoffe sein, sonst hätten sie gar nicht erst die Zulassung. Diese Lösung ist für Ausnahmefälle gedacht: Bei besonders schweren Erkrankungen; wenn es keine anderen Medikamente gibt oder die Ärzte guten Grund zu der Annahme haben, dass ausgerechnet dieses Medikament bei diesem Patienten gut wirkt.

Hand auf’s Herz: Gelten diese Kriterien tatsächlich für Tausende Frauen im Kreissaal? Dennoch verwenden viele Geburtsmediziner Cytotec als Geburtsstarter. Die Gründe dahinter sind naheliegend: Das ist für die Hochschwangeren einfach und es schont das Budget der Klinik, da eine Tablette nur wenige Cent kostet. Zudem gibt es viele Untersuchungen zur Wirksamkeit und Dosierung dieses Off-label-use von Cytotec.

Die Cochrane Stiftung hat 2014 einen Review Artikel herausgegeben, der 75 Studien mit knapp 14.000 Schwangeren, die mit Misoprostol behandelt wurden, auswertet. Das Ergebnis in aller Kürze: Ein geeignetes, gutes Medikament. Aber, es kann Wehenstürme auslösen. Diese Wehenstürme sind Wehen ohne Pause, die das Kind regelrecht in der Gebärmutter quetschen. Und es darf auf keinen Fall einer Frau mit vorgeschädigter Gebärmutter gegeben werden. Die reißt dann unter Umständen unter den starken Kontraktionen. Und genau solche Fälle landen jetzt vor Gericht.

Und genau da liegt das Problem: Solch einen Review Artikel muss man Lesen, wenn es keinen passenden Beipackzettel gibt, wenn Pharmareferenten einen nicht beim lästigen Besuch in der Klinik darüber aufklären und es keine Fortbildungen zum Einsatz von Cytotec gibt. Das scheint schwierig. Wie sonst ließen sich die beklagten Wehenstürme durch massive Überdosierungen und die Risse durch Kaiserschnitte geschwächter Gebärmuttern erklären?

Der Hersteller des Medikaments wäscht derweil seine Hände in Unschuld. Man habe schon vor Jahren vor dem Einsatz in der Geburtshilfe gewarnt und plane auch keine Zulassung für die Geburtsmedizin an. Das wirkt doch – mit Verlaub – billig, denn damit Ärzte ein Medikament Off-label benutzen können, muss der Hersteller dem nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch zustimmen.

(jsc)