Kickstarter-Angestellte gründen Gewerkschaft

Kulturschock für die US-Digitalwirtschaft: Die Belegschaft von Kickstarter hat eine Gewerkschaft gegründet.

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Kickstarter-Angestellte gründen Gewerkschaft

(Bild: Postmodern Studio/Shutterstock)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Eine kleine Wahl, aber ein enormes Echo: Mit 46 Pro- und 37 Gegenstimmen hat sich die Belegschaft des Crowdfunding-Anbieters Kickstarter in der vergangenen Woche für die Gründung einer Gewerkschaft ausgesprochen. Vorangegangen war ein anderthalbjähriger Kulturkampf.

Was ein eigentlich normaler betriebsinterner Vorgang sein sollte, der in erster Linie nur die 85 Angestellte des Plattformanbieters betrifft, ist für die amerikanische IT-Industrie ein Kulturschock. Denn bisher spielen Gewerkschaften in der Branche keinerlei Rolle. Statt den Mitarbeitern formelle Mitwirkungs- und Verhandlungsrechte zu geben, setzen die Firmen lieber auf Aktienoptionen und unverbindliche Mission-Statements.

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Die Entscheidung trifft deshalb auf großes Echo. So verdichten sich die Zeichen, dass viele Angestellte der Internetkonzerne mehr Mitsprache bei der Führung ihrer Unternehmen spielen wollen. Google muss sich etwa mit Klagen von Ex-Angestellten auseinandersetzen, die dem Konzern vorwerfen, Organisationsbestrebungen ihrer Mitarbeiter unzulässig zu unterdrücken. Und laut Medienberichten verließen am Donnerstag mehrere hundert Angestellte von Oracle ihren Arbeitsplatz, um dagegen zu protestieren, dass ihr Chef Larry Ellison Spenden für die Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump sammelt.

Kickstarter wollte verhindern, dass sich die Angestellten von einer Gewerkschaft vertreten lassen. Nachdem die Bestrebungen breit bekannt wurden, versuchte die Unternehmensführung gegenzusteuern. In einem Blogbeitrag hatte sich der Kickstarter-CEO Aziz Hasan im September 2019 gegen die Gründung einer Gewerkschaft unter seinen Angestellten ausgesprochen: "Das Konzept einer Gewerkschaft ist inhärent auf Konflikt ausgerichtet."

Kickstarter bereits 2015 eine neue Gesellschaftsform gewählt, die sicherstellen soll, dass das Unternehmen immer einer Mission folgt. Dass nun die Angestellten über eine Gewerkschafts-Struktur mitreden wollten, passe nicht ins Modell. Hasan gab zwar zu, dass zwei der Angestellten, die zu einer Gewerkschaftsgründung aufgerufen hatten, entlassen worden seien. Dies habe aber andere Hintergründe gehabt. Einer ordnungsgemäßen Abstimmung wolle man jedoch nicht im Wege stehen.

Zum Erfolg der Abstimmung dürfte beigetragen haben, dass es sich bei Kickstarter um ein vergleichsweise kleines Unternehmen handelt, dessen Firmenzentrale sich zudem weit entfernt vom Silicon Valley im New Yorker Stadtteil Brooklyn befindet. Zwar gab es schon eine Reihe von kleineren Gewerkschafts-Gründungen im Umfeld von Internetkonzernen. In den Unternehmenszentralen von Google, Apple und Facebook hatten diese Bestrebungen bisher aber wenig Chancen. Dass ein international bekanntes, wenn auch kleines Unternehmen Gewerkschaften in seiner Zentrale zulassen muss, das ist ein Erfolg für die Gewerkschaftsbewegung.

Die US-Gewerkschaften sind in vielen Branchen enorm mächtig. So hatte etwa die Writers Guild of America Ende 2007 einem monatelangen Streik die Fernseh-Produktion des Landes fast lahmgelegt, weil sich die Autoren durch die neuen digitalen Vertriebsmodelle benachteiligt fühlten. Erst nachdem die Unterhaltungskonzerne einem neuen Beteiligungs-Modell zugestimmt hatten, konnten viele Shows fortgesetzt werden.

Um solche kostspieligen Streiks und die resultierenden Verträge zu verhindern, wollen viele Branchen Gewerkschaften den Zugang zu ihren Unternehmen verwehren. Dies demonstrierte zum Beispiel der Unternehmer Joe Ricketts, der im März 2017 die lokalen News-Websites Gothamist und DNAInfo gekauft hatte. Als sich ein halbes Jahr später 25 von 27 Angestellten des New Yorker Büros einer Gewerkschaft anschließen wollten, schloss Ricketts die Firmen kurzerhand. 115 Angestellte verloren ihren Arbeitsplatz.

Erst als mehrere Stationen des Public Radio die Websites aufkauften, konnte die Arbeit nach mehreren Monaten fortgesetzt werden. Doch die neue Arbeiterbewegung konnte durch solche Gegenwehr bei den Internet-Nachrichtenportalen nicht gestoppt werden. So stimmte Buzzfeed im Juli 2019 nach monatelangen Auseinandersetzungen zu, künftig mit einer Gewerkschaft über die Arbeitsbedingungen zu verhandeln.

Die neuen Kickstarter-Arbeitnehmervertreter wollen sich nun daran machen, einen ersten Vertrag mit dem Internet-Unternehmen auszuhandeln. Dazu haben sie sich der lokalen Büroarbeiter-Gewerkschaft OPEIU Local 153 angeschlossen. In den anstehenden Verhandlungen geht es nicht nur um Fragen des Gehalts und der Arbeitszeiten. Wie "Kickstarter United" auf seiner Website klarmacht, wollen die Arbeitnehmervertreter künftig auch bei wichtigen Unternehmensentscheidungen gehört werden. So hatte der interne Streit um das Satire-Buch “Always Punch Nazis" zu Verwerfungen im Unternehmen geführt, die schließlich zur Gewerkschaftsgründung führten. (axk)