Deutsches Forschungsnetz und Telekom: Peeren in Zeiten von Corona

Nicht nur als Krisenlösung sucht das Deutsche Forschungsnetz den direkten Anschluss zur Deutschen Telekom. Die wollte sich aber zuerst auf nichts einlassen.

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Deutsches Forschungsnetz und Telekom: Peeren in Zeiten von Corona

(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Monika Ermert
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Mit dem Start des bevorstehenden Sommersemesters erwartet das Deutsche Forschungsnetz (DFN) einen weiteren sprunghaften Traffic-Anstieg aufgrund der Verlagerung von Vorlesungen ins Netz. Schon im Normalbetrieb konstatiert das DFN immer mal wieder "Ruckler" zwischen dem eigenen X-Win-Netz und Anschlussteilnehmern der Deutschen Telekom. Die Anfrage des DFN, ob man zur Vermeidung von Engpässen direkt miteinander peeren – also Verkehr austauschen – könne, habe die Telekom aber abgelehnt. "Als einzige Lösung wird angeboten, dass der DFN-Verein einen entgeltpflichtigen global Upstream bei der DTAG beauftragt", zitiert das DFN. Unverständlich nennen einige Experten die Reaktion des Unternehmens in der aktuellen Situation.

Ein effektives Peering – also die direkte und für die Partner kostenneutrale Zusammenschaltung von Netzen – wäre möglicherweise eine bessere Maßnahme, um den aktuellen Ansturm auf die Netze zu bewältigen als die von den Regulierern erzwungene Drosselung von Angeboten wie Netflix, mahnte etwa jüngst ein US-Netzadministrator. Genau daran dachte man auch beim DFN-Verein, an dessen X-WIN Netz insgesamt etwa 2,5 Millionen Forscher, Lehrende und Studierende an 800 Standorten in der ganzen Republik hängen.

Schon seit längerem streben die Netzmanager des DFN eine bessere Verbindung zum Netz der Telekom (DTAG) an. Denn da gebe es immer wieder Kapazitätsengpässe. Aktuell läuft der Verkehr zwischen der DTAG (AS3320) und dem X-WIN Netz (AS680) über zwei kommerzielle ISP des DFN. "An den Übergängen zwischen diesen Upstream-Providern und dem Netz der DTAG kommt es zeitweise zu Überlastsituationen, die auch die Kommunikation zwischen dem Netz der DTAG und dem Wissenschaftsnetz beeinträchtigen", teilte die Pressestelle des DFN auf Anfrage von heise online mit.

Zwar habe man mit einem Schwenk zwischen beiden ISPs – Telia Carrier und Century Link – das Problem aktuell im Griff. Doch mit Beginn des Sommersemesters erwartet man eine nochmals gesteigerte Last, weil der Vorlesungsbetrieb angesichts der aktuellen Situation via Netz stattfinden muss. Das zu erwartende Gesamtaufkommen ist schwer abzuschätzen. Doch beobachtet man beim DFN aktuell eine Verdoppelung des Verkehrs sowie eine zeitliche Verschiebung in den "Bürotag" hinein. Grundsätzlich prüft man angesichts der erwarteten Welle übrigens alle "Außenbeziehungen", heißt es in der Antwort des DFN.

"Als Organisator des Deutschen Forschungsnetzes sehen wir uns in der Pflicht unseren Beitrag dazu zu leisten, dass Wissenschaftler und Studierende in Deutschland in der aktuellen Situation ohne Einschränkungen aus dem Homeoffice arbeiten können", so das DFN. Daher habe man um ein "direktes und ausreichend dimensioniertes Peering" mit der DTAG gebeten. Bei der DTAG, die sich selbst als klassischer Backbone Provider (Tier1) sieht und am Durchleiten von Verkehr verdienen will, gab man sich zugeknöpft.

Die DTAG macht zwar gerade eine Reihe von Extra-Angeboten für Kunden und Neukunden. Doch befürchtet man offenbar, dass man auch in Zukunft dem DFN keine Upstreams mehr verkaufen kann, wenn man sich darauf jetzt einlässt. Beim DFN sucht man tatsächlich auch eine dauerhafte Lösung. Der Verkehr des Wissenschaftsnetzes ist auch ohne Corona in den vergangenen Jahren um rund 30 Prozent jährlich auf Spitzenwerte bis zu 88 PB gewachsen. Möglicherweise bringt die Corona-Krise auch den Einstieg in eine noch stärkere Nutzung der Online-Möglichkeiten an Hochschulen und Universitäten.

Experten sehen die Ablehnung der DTAG als übliche Geschäftsstrategie und warnen teilweise selbst vor der Aushöhlung des klassischen, kommerziellen Transitgeschäfts durch den massiven Netzausbau großer Contentplattformen wie Google oder Facebook. Angesichts der aktuellen Krise fällt das Urteil aber anders aus.

Arnold Nipper, erfahrener Netzwerkexperte, teilte auf Anfrage von heise online mit: "Aus meiner Sicht wäre das in normalen Zeiten typisches 'Business'-Verhalten der DTAG. Derzeit kann ich das Verhalten in keiner Weise nachvollziehen, sind doch viele Studenten, die über einen DTAG-Anschluss verfügen, auf gute Konnektivität zu den DFN-Institutionen angewiesen."

Zur Frage, ob die Regulierer angesichts der Engpässe durch den Online-Unibetrieb, eingreifen und Peerings mandatieren könnte, äußert sich die Bundesnetzagentur ablehnend. Die DTAG verweigere ja, wie aus der Meldung hervorgehe, gar nicht, einen Vertrag über Upstream-Verkehr "zu marktüblichen Konditionen anzubieten". Eine etwaige direkte Zusammenschaltung der Netze "unterliegt grundsätzlich nicht der Regulierung", so die Juristen bei der BnetzA und verweist auf entsprechende Einlassungen von BEREC, dem Gremium der europäischen TK-Regulierungsbehörden. Peering sei rein Sache der Unternehmen, auch in Krisenzeiten. Im Übrigen hätten sich die Telekommunikationsnetze bisher auch während der Corona-Krise als stabil erwiesen. Unis und Unternehmen müssten allenfalls ihre Internetzugänge aufstocken, "um dem verstärkten Zugriff z.B. auf eLearning-Angebote oder der verstärkten Nutzung durch Homeoffice während der Corona-Krise gerecht zu werden".

[Update 01.04.2020 08:36]:

Die Deutsche Telekom teilte mittlerweile mit, dass man eine Einigung mit dem DFN erzielt habe. "Wir sind mit dem DFN einig geworden, berücksichtigen dabei sowohl die aktuelle Situation wie den Umstand von Forschung und Lehre bei unseren Konditionen und stellen dafür entsprechende Kapazitäten zur Verfügung", erklärte ein Sprecher der Telekom. (mho)