Die Welt sortiert sich neu

Lange unterteilte sich die Welt in Länder mit Wissensökonomie und Länder für die Massenproduktion. Doch diese Form der Globalisierung gelangt an ihr Ende.

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Die Welt sortiert sich neu

Die Grafik der Nasa zeigt die NO2-Konzentration über China vor und während der Quarantäne. Sie liefert damit ein eindrückliches Bild des Produktionsstillstands.

(Bild: NASA)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Robert Thielicke

Die Corona-Krise zeigt, wie verwundbar eine global vernetzte Welt ist. Aber hinter ihr lauert eine noch grundlegendere Erkenntnis: Diese Pandemie wird der letzte Anstoß dafür sein, dass die Globalisierung, wie wir sie kennen, an ihr Ende kommt.

Das hat drei Gründe. Der erste: die Verwundbarkeit der heutigen Lieferketten. Bauteile für Smartphones beispielsweise kommen zwar aus aller Herren Länder, dennoch existieren immer wieder Nadelöhre. Für Apple und seine iPhones etwa sind es die Foxconn-Fabriken in China. Als Folge warnte der Digitalkonzern im Februar, dass er seine Umsatzziele für 2020 wohl nicht erreichen werde. Experten nehmen zudem an, dass das neue Modell später fertig wird als geplant.

Gleiches lässt sich in der Autoindustrie beobachten: Anfang Februar stoppte der koreanische Hersteller Hyundai seine Fließbänder, weil Teile aus China fehlten. Aus Italien kommen ähnliche Nachrichten: Im nördlichen Codogno etwa fertigt MTA für Hersteller wie BMW, Renault oder Peugeot wichtige Teile für die Bordelektronik. Weil das Unternehmen in einer Zone liegt, die derzeit unter Quarantäne steht, war nicht klar, ob es weiter seine entscheidenden Bauteile liefern kann. Erst eine Sondergenehmigung machte dies möglich. Aber das Risiko bleibt – und es wächst, je weiter sich das Virus ausbreitet.

Der zweite Grund: Die Globalisierung hat bei vielen Menschen in den westlichen Ländern Verlustängste geschürt. Nicht ganz zu Unrecht. „Mit der jetzigen Form der Globalisierung haben wir die Menschen im Stich gelassen“, sagte mir Ian Goldin, Ökonom an der University of Oxford und ehemaliger Vizepräsident der Weltbank, vergangenes Jahr. „Die wirtschaftliche Öffnung hat den Lohnabstand zwischen den schlecht und den gut Ausgebildeten vergrößert.“ Die Folge ist eine zunehmend nationalistische Politik, die keineswegs nur auf die USA des Donald Trump beschränkt ist. Der Kampf um die technologische Vorherrschaft bei 5G ist davon nur eine Spielart. Längst hat die Auseinandersetzung auch die Grundlagenforschung erreicht, wie ein Bericht des US-Senats zeigt: „China nutzt die amerikanische Forschung und Expertise, die es erhält, auf unfaire Weise für seinen eigenen wirtschaftlichen und militärischen Gewinn“, schreiben die Autoren in dem Dokument „Bedrohungen für das US-Forschungsvorhaben: Chinas Pläne zur Anwerbung von Talenten“.

Die Nervosität kommt nicht von ungefähr. In den vergangenen Jahren seien Bundesbehörden immer wieder chinesische Gastwissenschaftler aufgefallen, die „vor ihrer Abreise nach China sensible Forschungsdateien heruntergeladen“ hätten. Jahrzehntelang hat der Wissensaustausch zumindest auf akademischer Ebene funktioniert, nun droht er in einer Gemengelage aus gegenseitiger Übervorteilung und populistischer Nationalpolitik zu enden.

Der dritte Grund: Im Zuge technischer Fortschritte können viele Industrieunternehmen ihre Produktion nach Hause zurückverlagern. Der Modelleisenbahnbauer Märklin etwa hat sich komplett aus China verabschiedet und stellt seine Loks und Waggons nun wieder im deutschen Göppingen her (siehe TR 5/2018). Selbst Massenhersteller wie Fackelmann, der Küchenbedarf aus Kunststoff produziert, verlagert seine Fertigung mehr und mehr nach Deutschland zurück. Möglich macht diese Schritte eine immer bessere Automatisierung. Sogenannte kollaborative Roboter können etwa Seite an Seite mit Menschen arbeiten, Stahlkäfige zum Schutz vor den Maschinen sind unnötig. Die neuen Cobots können damit Handgriffe übernehmen, für die vor wenigen Jahren noch Menschen nötig waren.

TR 4/2020

Keiner der drei genannten Gründe allein hätte wohl die Globalisierung in andere Bahnen gelenkt. Aber alle gemeinsam führen zu einer Situation, die zu einer strategischen Neuausrichtung in vielen Firmen führen wird. Unter der Hand verraten Experten großer internationaler Konzerne, dass ihre Unternehmen konkret darüber nachdenken, ihre Technologiepolitik neu zu sortieren. Bei der Quantentechnologie etwa hätten wir „früher gesagt, das kaufen wir in den USA ein“, sagte mir einer jüngst am Rand einer Konferenz. „Jetzt schauen wir, dass wir das in Europa hinkriegen.“

Die Entwicklung ist nicht per se schlecht. Die Rückkehrer schaffen Arbeitsplätze hierzulande – wenn auch längst nicht so viele wie in China oder anderen asiatischen Ländern. Es macht zwar wenig Sinn, die gesamte Produktion in Europa oder gar in Deutschland zu konzentrieren. Schließlich können auch hierzulande die Bänder krisenbedingt stillstehen. Aber die Entscheidung für einen Standort würde viel weniger von den Lohnkosten abhängen. Das Rennen um die Welt auf der Suche nach den günstigsten Produktionsbedingungen hätte ein Ende. Das Ergebnis wäre eine deutlich gleichmäßiger über die Welt verteilte Industrieproduktion.

Zum Problem wird die Re-Nationalisierung jedoch, wenn die produzierten Güter und vor allem die Forschung national gefesselt werden, wenn Länder glauben, allein weiter zu kommen als gemeinsam. Schließlich steht die Menschheit vor einigen gewaltigen Herausforderungen, vom Klimawandel über den Kampf gegen den Hunger bis zur Eindämmung heutiger und künftiger Pandemien. Will jeder sein eigenes Rad neu erfinden, werden wir am Ende vielleicht ganz ohne funktionierendes Gefährt dastehen.

(bsc)