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Was war. Was wird. Zwischen Aufklärung und Eintrübung.

Es scheint, dass Hitze und Gewitter manchen Zeitgenossen schwer auf den Geist schlagen. Es gibt kein richtiges Denken im falschen Leben, paraphrasiert Hal Faber

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Was war. Was wird. Zwischen Aufklärung und Eintrübung.

Das kann schiefgehen. So ein Blitz brutzelt ganz schön was weg. Aufklärung und eigenständiges Denken allerdings scheinen manchen Leuten so fremd zu sein, dass es keiner Blitze bedarf. Unmündigkeit findet sich aber auch in dem Wahnsinn, der auch nur wieder alten Hass und neue Hater produziert.

(Bild: Hit1912 / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Die große Hitzeglocke hängt über uns, das Politiktok ist eingeschlafen. Abwarten und Eistee trinken ist die Devise, frei nach Ernst Bloch, dessen "Prinzip Hoffnung" von allen zitiert wird. Der Mensch ist. Aber er hat sich nicht. Darum brauchen wir eine Bundeszentrale für digitale Aufklärung, damit wir das digitale Wesen werden, das wir als analoge Anarchisten von Geburt auf sind.

So eine Budigau könnte wie ihr Gegenstück für die politische Bildung kluge Schriften zusammenstellen und zum Download freigeben, etwa die Werke von Ossi Urchs, der als "Minister for Tomorrow" zeitlebens davon überzeugt war, dass das Internet uns klüger macht. Wir sind. Aber wir haben uns nicht. Darum werden wir erst: klüger, toleranter und gelassener.

*** Viel zu wenige haben den Mut, dem eigenen Verstand zu vertrauen und folgen etwa einem Kolumnisten, der den Verstand verloren hat und den der Hass auf Frauenzimmer aus dem biedermeierlichen Ambiente treibt. Der eigentliche Skandal, ein ins rechte Lager abgedrifteter Social Media-Referent der Bundeswehr, der als "Head of Social Media" Vorträge bei Organisationen wie dem Studienzentrum Weikersheim oder der Burschenschaft Cimbria hält, wird von einer Attacke eines liederlichen Scharfmachers übertüncht, der nie die Bundeswehr von innen gesehen hat. Er schreibt von einer Verdachtsberichterstattung, obwohl der Bundeswehr-Experte die Vorträge selbst eingeräumt hat. Sie fanden statt, um Personal für die Bundeswehr zu werben, wofür auch verschiedene Social-Media-Kanäle genutzt werden, deswegen präsentierte sich der Referent als "Head of Social Media". Wer das eigentliche Problem der Bundeswehr verstehen will, muss die Berichte über Bundeswehr-Auftritte oder Nicht-Auftritte auf Veranstaltungen wie der re:publica lesen. Ein mehrfacher Referent dieser Social-Media-Veranstaltung bemerkt dazu: "Die Kommunikation der Bundeswehr wird – insbesondere im Bereich Personalwerbung – nicht professionell geführt. Ihr fehlen wichtige Ressourcen im Bereich der Ausbildung und Möglichkeiten zur kritischen Selbstreflexion. Stattdessen hat sich in Folge der mehrfach ausgezeichneten Kampagnen der Nachwuchswerbung eine Kultur der erfolgsverwöhnten Selbstbesoffenheit junger Männer etabliert."

*** "Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst schwer vermisst", tralala. Die Gratulationen zum Geburtstag der allseits beliebten Klang-Quetsche sind kaum vorbei, da kommt die Nachricht vom bitteren Aus für das Institut für Rundfunktechnik, das wesentlich von den Patenteinnahmen rund um MP3 finanziert wurde. Ein "schwerer Fall von Untreue" mit der Verschiebung von 200 Millionen Euro führt zum Ende der IT-Grundlagenforschung, bei der Standards wie DVB und HbbTV entwickelt wurden. Der Anfang vom Ende begann mit dem Absprung des ZDF als Gesellschafter und der Behauptung, dass beim IRT viel zu IT-lastig entwickelt würde, wo man doch besser eine Digitalagentur brauche. Nun müssen sich 108 Mitarbeiter zum 1. Januar 2021 einen neuen Job suchen, weil auch die anderen Rundfunkanstalten als Gesellschafter des IRT offenbar das Interesse an der Entwicklung digitaler Technologien und Standards verloren haben. Auch so geht digitale Aufklärung anno 2020 in Deutschland als bundesweite Aktion. Ja, der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist wirklich so verrückt, seine Kronjuwelen zu verscheuern. All das Festtags-Gerede über die digitale Souveränität Deutschlands entpuppt sich als genau das, als leeres Gerede. Es gibt eine Petition gegen den öffentlich-rechtlichen Kleingeist.

*** Ein ganz anderer Geburtstag war der 25. von Amazon vor ein paar Tagen. In dieser Woche musste Amazon-Gründer Jeff Bezos vor dem Antitrust-Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses aussagen. Danach war er um zwei Milliarden US-Dollar reicher, weil die Aktie anzog. Sein glänzend erzähltes Statement vor dem Untersuchungsausschuss über die "Day One Culture" von Amazon mitsamt dem Lob auf America One dürfte in vielen Management-Lehrbüchern kommender Generationen stehen. So können wir Management-Weisheiten lesen, an die vor Bezos niemand gedacht hat: "So wie die Welt kleine Firmen braucht, braucht sie auch große. Es gibt Sachen, die kleine Firmen einfach nicht schaffen können. Es ist ganz egal, wie gut ein Unternehmer ist, er kann keine Boeing 787 in einer Garage zusammenbauen." Abseits dieser Erkenntnisse fällt auf, wie häufig Bezos betont, wie viele US-amerikanische Arbeitsplätze und Arbeitsfähigkeiten mit Amazon geschaffen wurden. Da sind die 700.000 Jobs, die mit dem Bau von Lagerhäusern und anderer Infrastruktur entstanden sind, und natürlich die Million Arbeiter bei Amazon, "viele von ihnen Einstiegsjobs und stundenweise bezahlt". Da sind die 700 Millionen, die Amazon für 100.000 Mitarbeiter in der Fortbildung zahlte, da sind 175.000 weitere Einstiegsjobs allein wegen COVID-19. Die Frau, die als Packerin begann und nun Arzthelferin in einer Praxis ist, ist die Amazon-Variante des Aufstieges vom Tellerwäscher zum Unternehmer. Man muss Bezos einfach dankbar sein.

*** Am Tag des Systemadministrators war echte Dankbarkeit angesagt, aber auch Nachdenkliches war im Forum zu lesen. Wieder einmal ist damit die Debatte eröffnet, ob Computer eher Mikrofone oder Gabelstapler sind. Denn Home Office bedeutet auch, dass mit COVID-19 die Virtualisierung vieler Tätigkeiten große Fortschritte macht. Viele Schreibtisch-Jobs werden zusammengestrichen. Auch die Jobs beim Zuhören in der Therapie, beim Einzelunterricht oder bei der Nachhilfe werden wegfallen oder unter Druck an Wert verlieren, wenn künstliche Intelligenz ausreichend genug trainiert ist, um diese Leistungen zu übernehmen. Zunehmen werden die Jobs, die mit der Stethoskop-Technik arbeiten, bei der der Arzt den Körper des Patienten abhorcht – hier kann nichts virtualisiert werden.

Bekanntlich soll es in den USA der App TikTok an den Kragen gehen. Ominöse Sicherheitsbedenken werden geltend gemacht. Sie könnten US-Präsident Donald Trump als Grund dienen, ein TikTok-Verbot auszusprechen. Hinter der Debatte lauert ein grundsätzlicheres Problem: der erste Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten, der die Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und die Freiheit der Rede garantiert. Darunter fällt seit Brown vs. EMA auch die Freiheit, Software-Code zu verfassen, wie es der Code für TikTok ist, egal ob er vielleicht von Microsoft aufgekauft wird oder Open Source ist, weil es um Kommunikation geht. In der Entscheidung, bei der Antonin Scala die Mehrheitsmeinun vortrug, heißt es: "Communication does not lose constitutional protection as 'speech' simply because it is expressed in the language of computer code. Mathematical formulae and musical scores are written in 'code', i.e., symbolic notations not comprehensible to the uninitiated, and yet both are covered by the First Amendment. If someone [*446] chose to write a novel entirely in computer object code by using strings of 1's and 0's for each letter of each word, the resulting work would be no different for constitutional purposes than if it had been written in English. The 'object code' version would be incomprehensible to readers outside the programming community (and tedious to read even for most within the community), but it would be no more incomprehensible than a work written in Sanskrit for those unversed in that language. The undisputed evidence reveals that even pure object code can be, and often is, read and understood by experienced programmers. And source code (in any of its various levels of complexity) can be read by many more. Ultimately, however, the ease with which a work is comprehended is irrelevant to the constitutional inquiry. If computer code is distinguishable from conventional speech for First Amendment purposes, it is not because it is written in an obscure language."

Auch diese Begründung des Gerichtes ein paar Absätze später ist interessant: "Computer programs are not exempted from the category of First Amendment speech simply because their instructions require use of a computer. A recipe is no less 'speech' because it calls for the use of an oven, and a musical score is no less 'speech' because it specifies performance on an electric guitar. Arguably distinguishing computer programs from conventional language instructions is the fact that programs are executable on a computer. But the fact that a program has the capacity to direct the functioning of a computer does not mean that it lacks the additional capacity to convey information, and it is the conveying of information that renders instructions 'speech' for purposes of the First Amendment."

Hinter der üblich schlichten Idee eines sich selbst für allmächtig haltenden Präsidenten steckt ein juristisches Problem, dass zu einer langwierigen Auseinandersetzung führen kann, die vor dem Supreme Court enden und erst entschieden sein dürfte, wenn Trump nicht mehr Präsident ist.

(jk)