Zahlen, bitte! 250 LKW = 1 Kran

Seit Tausenden Jahren können Menschen mit Kranen immer schwerere Lasten heben. Inzwischen sind mehrere Tausend oder sogar Zehntausend Tonnen möglich.

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Zahlen, bitte! 250 LKW = 1 Kran
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Mit einer Höhe von 250 Metern ist "Big Carl" selbst schon ein beeindruckendes Bauwerk, das in vielen Städten alle anderen Gebäude überragen würde. Doch diese gewaltige Stahlkonstruktion dient letztlich nur als Werkzeug, um noch gewaltigere Bauten zu errichten: Auf der größten Baustelle Großbritanniens hilft Big Carl, der derzeit größte Kran der Welt, das Kernkraftwerk Hinkley Point C zusammenzubauen.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

250 LKW waren nötig, um die Einzelteile von SGC-250, so die offizielle Bezeichnung des Superkrans, zur Baustelle in Somerset zu transportieren. Zwei Dutzend der Transportcontainer wurden nach dem Zusammenbau mit Sand gefüllt und dienen als Gegengewicht, sodass der Gigant bis zu 5000 Tonnen schwere Bauteile heben und gezielt platzieren kann. Ein über sechs Kilometer langes Schienennetz gibt ihm dabei eine große räumliche Flexibilität. Eingesetzt wird er allerdings überwiegend nachts, um die übrigen Bauarbeiten nicht zu sehr zu stören.

"Big Carl"

(Bild: Sarens)

Big Carl ist der vorläufige Höhepunkt in der Jahrtausende alten Geschichte der mechanischen Kraftverstärker, deren frühester Einsatz sich im Griechenland des 6. vorchristlichen Jahrhunderts nachweisen lässt. Diese ersten Krane waren einfache Holzgerüste, die eine Seilwinde hielten. Anfangs werden Speichenräder durch ihre Hebelwirkung den Betrieb der Winde erleichtert haben, später kamen Flaschenzüge hinzu. Die Steinblöcke, die damit gehoben werden konnten, wogen zunächst wenige Tonnen. Die Entwicklung von Flaschenzügen mit bis zu fünf Rollen sowie der Betrieb mit mehreren Arbeitern gleichzeitig erlaubten dann nach und nach höhere Traglasten. So wiegt das oberste Segment der im Jahr 113 errichteten Trajanssäule in Rom, das Kapitell, mehr als 53 Tonnen und musste 34 Meter hochgehoben werden.

Mittelalterlicher Kran im Geschichtspark Bärnau-Tachov

(Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Ankerwinden und Laufräder waren über viele Jahrhunderte die leistungsfähigsten Antriebe solcher Krane. Laufräder, die sprichwörtlichen Tretmühlen, konnten von mehreren Personen gleichzeitig betrieben werden und versprachen aufgrund ihres größeren Durchmessers eine bessere Kraftübersetzung. Die Arbeit der Windenknechte, die auf mittelalterlichen Baustellen gut bezahlt wurden, war aber auch gefährlich, weil sich die gehobene Masse selbstständig machen und die Männer im Laufrad durcheinander wirbeln konnte.

Während es zunächst nur um die vertikale Bewegung schwerer Bauteile ging, wurden ab dem 14. Jahrhundert auch schwenkbare Krane gebaut, die ihre Lasten zusätzlich horizontal transportieren konnten. Sie wurden in Häfen zum Be- und Entladen von Schiffen eingesetzt. Anders als beim Gebäudebau, wo das Arbeitstempo von den Maurern vorgegeben wurde, kam es bei den Hafenkranen mehr auf Geschwindigkeit an, weswegen sie häufig mit einem Doppellaufrad ausgestattet wurden, um den Verladeprozess zu beschleunigen.

Die maximalen Traglasten dieser Krane blieben aber lange Zeit auf wenige Tonnen begrenzt. Erst im Lauf des 19. Jahrhunderts konnten die Beschränkungen der Körperkraft durch die Dampfmaschine und ab den 1890er-Jahren auch durch elektrischen Strom überwunden werden. Zugleich wurde Holz als Baumaterial durch Stahl ersetzt. Ab 1910 wurden dann die ersten Turmdrehkrane konstruiert, die sich nicht nur um ihre vertikale Achse drehen, sondern ihre Lasten mittels einer Laufkatze auch am horizontalen Ausleger entlang transportieren konnten.

Ein Turmdrehkran

(Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Ihren Durchbruch erlebte diese Technik jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Kirchdorfer Baumeister Hans Liebherr einen Turmdrehkran entwickelte, der sich in Einzelteilen leicht transportieren und auf der Baustelle rasch montieren ließ. Der Baubedarf im zerstörten Deutschland sorgte für eine schnelle Verbreitung der Technik, die mittlerweile weltweit zum Standard auf Baustellen geworden ist. Mit einer Tragkraft von zumeist 12 bis 20 Tonnen wirken diese Krane zunächst nicht viel leistungsfähiger als ihre antiken und mittelalterlichen Vorgänger, können dafür aber innerhalb weniger Stunden auf- und wieder abgebaut und per Joystick mit der Fernbedienung gesteuert werden.

Und dann gibt es natürlich die Kraftprotze wie Big Carl. Oder den LTM 11200-9.1 von Liebherr, den derzeit wohl größten und stärksten mobilen Kran der Welt: Montiert auf einem 9-Achsen-LKW kann er seinen Teleskoparm bis zu 100 Meter weit ausfahren und bis zu 1200 Tonnen heben. Man braucht solche mobilen Krane unter anderem, um Turmdrehkrane auf Baustellen zu errichten.

In Hafenanlagen sind Drehkrane dagegen weitgehend verschwunden. Der Siegeszug der ISO-Container in den 1960er-Jahren hat dafür gesorgt, dass Schiffe mittlerweile vorrangig mithilfe von Portalkranen be- und entladen werden, die mit ihren beiden seitlichen Stützen auf Schienen vor- und zurückfahren können, während die Laufkatze auf dem dazwischen liegenden Ausleger die Lasten hin und her bewegt. Mit einer Tragkraft von zumeist 40 bis 80 Tonnen ermöglichen sie die Abfertigung eines Schiffes mit bis zu 20.000 Containern an Bord in weniger als 72 Stunden.

Wenn dann mal nicht nur Schnelligkeit, sondern auch Muskeln gefragt sind, etwa beim Bau von Offshore-Plattformen oder großen Schiffen, kommen Super-Portalkrane zum Einsatz, die locker das Hundertfache heben können: Den Weltrekord in dieser Kategorie hält gegenwärtig Taisun, der in der chinesischen Hafenstadt Yantai seine Arbeit verrichtet und dort am 18. April 2008 einen mit Wasser gefüllten Lastkahn gehoben hat. Der wog schlappe 20.133 Tonnen.

(mho)