Einkommenstransparenz: Ist es gesund, über das Gehalt zu reden?

In Deutschland sind Gehälter im Großen und Ganzen ein Tabu-Thema. In den USA wird offen darüber geredet.

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Einkommenstransparenz: Ist es gesund übers Gehalt zu reden?

(Bild: nuruddean / Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Wir Deutschen reden neugierig gerne und extrem oft über Gehalt. "Aber nicht das eigene, sondern das der anderen", sagt Dr. Florian Becker, Professor für Kommunikations- und Organisationspsychologie an der Hochschule Rosenheim. Dieses Verhalten habe mit unserer Kultur zu tun: In der werden soziale Unterschiede wenig betont, wer dennoch seinen Wohlstand zur Schau stellt, gilt als unanständig. US-Amerikaner bewunderten Erfolgreiche eher. "Die unterschiedliche Reaktion in den Ländern liegt am ausgeprägten Gleichheitsdenken in Deutschland", sagt Becker. Der Gedanke ist nicht nur bei uns fest verwurzelt.

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In allen nördlichen Ländern scheint es diesen starken Drang nach Gerechtigkeit durch Gleichheit zu geben. Ob Schweden, Norwegen, Finnland oder bei uns: Überall wird versucht, soziale Unterschiede zu beseitigen. "Es gilt der Grundsatz: Alle sind gleich und alle sollen das Gleiche haben", meint Becker. Deshalb interessiert uns so brennend, was andere verdienen.

Ist es erstrebenswert, wenn jeder weiß, was der andere bekommt? "Nein", findet Becker. Denn dann geht es in Unternehmen nicht mehr darum, wie der Kuchen größer wird, sondern wie er gleichmäßig verteilt wird. "Wenn Geld im Mittelpunkt der Diskussion steht, führt das in eine Katastrophe", sagt der Professor. Eine gemeinsame Erkenntnis aus Studien sei: Wer sich mit Geld beschäftigt, wird impulsiver, weniger hilfsbereit und gierig. Es ist aber nicht das Geld, das aus sich heraus schlecht macht, es ist seine ständige Auseinandersetzung damit.

Viele Amerikaner halten sich an den American Dream. Demzufolge könne es jeder vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen – er muss nur genügend Teller waschen und wer das nicht macht, braucht sich auch nicht beklagen, wenn er kein Millionär wird. "So direkt denken und handeln Amerikaner, obwohl es in den USA viel schwieriger ist von unten nach oben zu kommen als in Deutschland mit seinem engmaschigen Sozial- und durchlässigem Schul-System", sagt Becker.

Erfolg sei für Amerikaner eine Frage der persönlichen Anstrengung. Und wenn es nicht klappt mit den Millionen, dann suchten Amerikaner die Schuld eher bei sich selbst als bei den anderen. Deutsche neigten Becker zufolge eher dazu, Gründe für Erfolg oder Misserfolg in der Umwelt auszumachen.

Mit Gesetzen versuchen beispielsweise Deutschland und Österreich für Gerechtigkeit durch Transparenz bei der Bezahlung zu sorgen, etwa zwischen den Geschlechtern. In beiden Ländern ist die Gehaltslücke zwischen Mann und Frau nahezu gleich groß: Frauen verdienen im Durchschnitt 20 Prozent weniger als Männer, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Rund drei Viertel der Gehaltslücke liegt laut den Statistikern vom Amt in strukturellen Unterschieden in der Erwerbstätigkeit. So arbeiten Frauen häufiger in Branchen und Berufen, in denen schlechter bezahlt wird. Im restlichen Viertel des Gehaltsunterschiedes geht es um den bereinigten Gender Pay Gap. Der beziffert, was Frauen bei vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit weniger verdienen als Männer. Das sind sechs Prozent.

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Mit dem Entgelttransparenzgesetz, das seit etwa zwei Jahren in Kraft ist, sollen Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen innerhalb der gleichen beruflichen Position verringert werden. "Das Gesetz setzt vor allem beim Lohnunterschied an, der durch Gehaltsverhandlungen entsteht. Denn aus unterschiedlichen Gründen erhalten Frauen nach Gehaltsverhandlungen signifikant weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen", sagt Dr. Aline Zucco aus dem Referat Genderforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Die im Gesetz verankerte Auskunftspflicht des Arbeitgebers auf Anfrage des Arbeitnehmers soll Entgelte transparenter machen, was laut Zucco aber in vielerlei Hinsicht an der Durchsetzbarkeit scheitert.

Denn sie gilt erst ab einer Unternehmensgröße von 200 Mitarbeitern und nur, wenn es mindestens sechs Personen des anderen Geschlechts mit gleicher Position gibt. Je höher jemand in der Hierarchie ist, umso weniger Vergleichspersonen gibt es und damit keinen Auskunftsanspruch. Und es besteht keinen Sanktionsmechanismus. "Auch wenn die Beschäftige weiß, was ihr Kollege mehr verdient, hat sie deswegen kein Anrecht auf einen höheren Lohn", sagt Zucco. Auskunft verändert nicht die Einkunft.

In Österreich muss seit Jahren in jeder Stellenzeige stehen, wieviel man im inserierten Job mindestens verdienen kann. Diese Gehaltsangabe ist aufgrund des Gleichbehandlungsgesetzes in unserem Nachbarland Pflicht. "Darin sehen wir einen ersten und wichtigen Schritt, um Ungleichbehandlungen bei der Entlohnung zu bekämpfen", sagt Bianca Schrittwieser, zuständig in der Arbeiterkammer Wien für Frauen und Familie. Mangelnde Transparenz beim Gehalt sei oft eine Ursache dafür. Doch das Mindestgehalt ist meist keine realistische Angabe für die tatsächliche Einkommenshöhe.

"Wichtig wäre die Angabe einer Bandbreite der möglichen Bezahlung", sagt Schrittwieser. Die Firmen müssen derzeit nur angeben, ob sie mehr bezahlen wollen als den Mindestlohn, nicht aber wie viel mehr. Ihrer Pflicht zur Angabe des Mindestlohns kommen die Firmen zudem häufig nicht nach: im vergangenen Jahr waren im Bundesland Tirol 61 Prozent der überprüften Anzeigen ohne Gehaltsangabe. Bis zu 360 Euro Strafe sind auch nicht wirklich abschreckend.

Zurück zum Vergleich zwischen Amerika und Deutschland und dem Umgang mit Gehalt in unterschiedlichen Gesellschaften. "Wir sind, wie wir sind – und Kulturen kann man nicht ändern", schätzt Becker ein. In welcher Gemeinschaft man sich wohlfühlt, ist daher eine Frage der persönlichen Einstellung. "Aus psychologischer Sicht ist die amerikanische Denkweise gesünder, sie führt zu Selbstwirksamkeit", sagt Becker. In Amerika steht jemand nach einem Misserfolg leichter auf, als in Deutschland. "Amerikaner glauben eher an sich, wir Deutschen rufen lieber nach einem Gesetz für Gleichheit", sagt Becker. Ob das amerikanische Modell auch gesellschaftspolitisch besser ist, steht auf einem anderen Blatt.

Letztlich ist beides völlig legitim – denn in beiden Fällen steht der Versuch im Vordergrund, eine Situation zu verbessern.

(axk)