Die Genmodifizierung von Babys könnte bei der Sichelzellanämie beginnen

Chinas CRISPR-Baby-Fiasko ließ Forscher die Geneditierung überdenken. Ein Bericht skizziert nun, welche Therapien die umstrittene Technik ermöglichen kann.

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Die Genmodifizierung von Babys könnte bei der Sichelzellanämie beginnen

Baby auf einem Bett.

(Bild: Judy Hohmann)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Antonio Regalado
Inhaltsverzeichnis

In einem hochrangigen Bericht plädieren Wissenschaftler von der US National Academies und der britischen Royal Society dafür, das Geneditierwerkzeug CRISPR nur eingeschränkt zur Erbgutkorrektur von Embryonen einzusetzen. Nur wenn die Technologie ausgereift sei und erste Länder ihren Einsatz zulassen, dann könnte sie Familien helfen, in denen beide Partner an derselben schweren Erbkrankheit leiden. Sie können keine gesunden Kinder bekommen, weil beide Eltern eine fehlerhafte Genkopie weitergeben würden.

Ein Beispiel wären Paare mit Mukoviszidose oder Sichelzellanämie. In den USA trägt etwa jeder 13. Afroamerikaner das genetische Merkmal der Sichelzellenkrankheit in sich. Das Risiko dafür, die Mutation von beiden Eltern zu erben und zu erkranken, beträgt etwa eins zu 350. Bei der Sichelzellanämie ist das Hämoglobin-Protein vieler roter Blutkörperchen durch eine Mutation verformt und kann keinen Sauerstoff transportieren.

Weil die sichelförmig deformierten Zellen auch kleine Gefäße verstopfen können, leiden die Patienten nicht nur unter Blutarmut, sondern auch unter schmerzhaften und lebensbedrohlichen Durchblutungsstörungen. Die Wissenschaftler der US National Academies und der Royal Society schätzen, dass es in den USA etwa 80 Paare geben könnte, bei denen beide Partner erkrankt sind. In Asien kommt die Bluterkrankung Beta-Thalassämie häufig vor und stellt Paare vor ähnliche Probleme. Diese ebenfalls genetisch bedingte Störung der Hämoglobinbildung führt zu einer schweren Anämie, die regelmäßige Bluttransfusionen erfordert.

Der Sichelzellanämie-Vorschlag werfe allerdings Fragen auf, sagte die Fruchtbarkeitsspezialistin Jeanne O’Brien von Shady Grove Fertility im US-Bundesstaat Maryland bei einer per Zoom übertragenen Diskussionsrunde mit den Autoren des Berichts. Menschen mit Sichelzellanämie in den USA „wurden zurückgelassen, weil sie zumeist schwarz und arm sind“, sagte O’Brien. Jetzt aber würden sie auf einmal für die Teilnahme an innovativen gentherapeutischen Experimenten gesucht.

Seit der Entwicklung von CRISPR hatte die Fachwelt gehofft, den medizinischen Einsatz der Technologie selbst zu regulieren und damit gesetzliche Verbote vermeiden zu können. Diese Hoffnung erlitt im November 2018 einen Rückschlag, als der chinesische Wissenschaftler He Jiankui verkündete, er habe Zwillingsembryonen gentechnisch verändert, um die Mädchen gegen HIV resistent zu machen.

Für diesen Vorstoß wurde He von Forschern weltweit angeprangert und später wegen Verstoßes gegen medizinische Vorschriften auch zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Doch er hatte auch die Fachwelt in Verlegenheit gebracht, weil er von vielen seiner Pläne öffentlich erzählt und sogar einen früheren Bericht der Nationalen Akademien als ethische Zustimmung zitiert hatte. Darin wurde 2017 die Nutzung der Technologie zwar als verfrüht, aber als moralisch zulässig bezeichnet.

Laut Benjamin Hurlbut, einem Soziologen an der Arizona State University, versucht das neue Projekt, „den geschädigten Ruf der Geneditierung zu retten: Indem es zeigt, wie man das, was [He Jiankui, Anm. d. Red.] verantwortungslos getan hat, verantwortungsbewusst handhaben kann".

Die Autoren des Berichts glauben allerdings nicht, dass Geneditierungen wie sie He Jiankui nach eigenen Angaben durchgeführt hat, bereits für Korrekturen bei künstlichen Befruchtungen geeignet ist.

Das liege vor allem daran, dass die Technologie nicht nur unerwartete, schwer zu erkennende Mutationen erzeugen könne, sowie Embryonen mit einer Mischung aus bearbeiteten und unbearbeiteten Zellen. Diese und weitere Probleme wurden aus einem unveröffentlichten Manuskript von He Jiankui deutlich, in dem er die CRISPR-Babys beschreibt (Technology Review hatte 2019 Auszüge daraus veröffentlicht).

Die sichere Verwendung von CRISPR in Reproduktionskliniken wird allerdings technische Verbesserungen erfordern. Eine wird zum Beispiel nötig sein, um gesunde von kranken Embryonen zu unterscheiden, damit erstere nicht „unnötig“ bearbeitet werden. Außerdem werden präzisere Bearbeitungsmethoden benötigt, mit denen DNA-Sequenzen von gesunden Menschen exakt reproduziert werden können.

Für Eric Lander, Leiter des Broad Institute am Massachusetts Institute of Technology und Mitglied des Autorengremiums, bedeutet die Schlussfolgerung der Gruppe – dass die Technologie zur Genombearbeitung noch mehrere Jahre Forschung erfordert – quasi ein erweitertes Moratorium für weitere CRISPR-Babys. „Die Formulierung von klaren Grenzen und sorgfältigen Abwägungen, ob man diese überschreiten sollte, ist ein wichtiger Aspekt des Berichts“, sagt Lander.

Neben der Ermittlung medizinisch legitimer Gründe für die Geburt von CRISPR-Babys forderten die Diskussionsteilnehmer auch ein internationales Gremium, das die Arbeit überwacht. Dass könnte in Anlehnung an die Internationale Atomenergiebehörde geschehen, die Verträge über Nuklearanlagen und Richtlinien inspiziert. Außerdem sei eine Möglichkeit für Whistleblower erforderlich, unethische Experimente anzuprangern, so das Gremium.

„Unsere Gruppe war sehr besorgt über das Potenzial für Schurkenwissenschaftler, selbstständig loszulegen“, sagte Richard Lifton, Präsident der Rockefeller University in New York City. „Dieses Feld bewegt sich offensichtlich sehr schnell und weist einen hohen technologischen Fortschritt auf. Ohne einen Schutzmechanismus können wir dem nicht Rechnung tragen.“

Ob Möchtegern-Babyhersteller oder Regierungen die Empfehlungen befolgen werden, ist natürlich unklar. Viele Länder verbieten jedoch bereits das Erschaffen von gentechnisch veränderten Menschen, unabhängig von der Motivation: Das Verfahren ist in den USA und in mindestens 66 anderen Ländern verboten, wie aus einer unveröffentlichten Umfrage von Françoise Baylis, Bioethikerin an der Dalhousie University in Kanada, hervorgeht. Von mehr als 100 Nationen, deren Gesetze und Vorschriften sie überprüft hat, würde nur eine Handvoll den Einsatz der Technologie erlauben.

(vsz)