Data Cities: Wie Hacktivisten Smart-City-Konzepte unterwandern

Bots, die vor Ticket-Kontrolleuren warnen, Online-Karten für genderneutrale Toiletten und Projekte gegen Videoüberwachung gehören zur Smart-City-Gegenkultur.

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Data Cities: Wie Hacktivisten Smart-City-Konzepte unterwandern

(Bild: Shutterstock/Pavel Chagochkin)

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Intelligente Städte sind laut PR-Broschüren von Systemanbietern sicher, sauber und grün sowie die ersten Aspiranten auf autonome Fahrzeuge und Flugtaxis. Gleichzeitig sind sie darauf ausgerichtet, dass die gläsernen Bewohner möglichst viele Daten von sich preisgeben und "nichts zu verbergen" haben. Forscher, Hacker und Medienkünstler suchen daher nach Wegen, um die Privatsphäre der Bürger zu retten und die von Smart Cities profitierenden Techkonzerne mit eigenen Waffen zu schlagen.

Auf Crowdsourcing und digitalen Kiezen basierende Projekte für eine "datengetriebene Propaganda" von unten stellte in diesem Sinne die Web-Entwicklerin River H. am Freitag zum Auftakt der Konferenz Data Cities des Disruption Network Lab in Berlin vor. Sie hat mit Avoid Control einen Twitter-Bot programmiert, der Hinweise auf Fahrscheinkontrolleure in der Hauptstadt von menschlichen Nutzern sammelt und über das Konto TicketlosBerlin weiterverbreitet. "U6 Friedrichstraße, 6 Kontrolleur*innen Richtung Alt Tegel" ist dort dann etwa zu lesen.

Die nächsten Schritte hat die "anti-kapitalistische Tech-Aktivistin" bereits vorbereitet. So nutzt sie eine Erkennungssoftware für natürliche Sprache, um aus den Tweet wiederkehrende Informationen über kontrollierte Linien und die Fahrtrichtungen zu extrahieren. Der von ihr programmierte Bot baue diese Punkte in eine Datenbank ein und erstelle einen auf Geodaten basierenden Objekteintrag. Der nächste Online-Agent kläre die Nutzer dann über die am stärksten kontrollierten Bahnhöfe und Bezirke auf. Das Register enthalte derzeit 700 Datenpunkte. Nun gehe es darum, diese zu visualisieren, eine Trendanalyse durchzuführen und eine entsprechende Online-Karte zu erstellen.

Persönlich sei sie der Auffassung, dass der öffentliche Nahverkehr für die Fahrgäste kostenlos sein sollte, erläuterte River H. Der Grund für die Aufnahme der Arbeit an dem Warnsystem seien aber Erfahrungen gewesen, dass Kontrolleure ÖPNV-Nutzer oft herablassend behandelten. Es sollte daher allen möglich sein, solche sich auf einem "Power-Trip" befindlichen Leute zu vermeiden. Generell träfen die Sanktionen gegen Mitfahrer ohne Ticket vor allem sozial Schwache, die so noch tiefer in einen Kreislauf von Kriminalisierung und Armut gerieten.

Andere Community-basierten Datenprojekte, an denen die Programmiererin beteiligt war, sind Refuge Restrooms und Brightpath. Über die erste Initiative und eine zugehörige Online-Karte lassen sich ihr zufolge "genderneutrale, barrierefreie und einzelne, abgetrennte Räume aufweisende Toiletten auf der ganzen Welt" finden. Bei der zweiten zeige ein Algorithmus den kürzesten sicheren Fußweg von einem Punkt zum nächsten in Städten wie San Francisco auf.

Praktische Einblicke in die Funktionsweise von Algorithmen, mit denen "intelligente Videoüberwachung" verdächtiges Verhalten von Beobachteten gewähren soll, gibt derweil die Initiative Suspicious Behavior der Medienkünstlergruppe KairUs. In einer Art Online-Spiel muss man dort als "Clickworker" Situationen in Videos aus Überwachungskameras begutachten und binnen zehn Sekunden entscheiden, ob darauf alleinstehende Gegenstände oder Menschen zu sehen sind, die etwas im Schilde führen könnten.

Es werde rasch klar, welch große Verhaltensreduktion für so eine Bewertung nötig sei, erläuterte Linda Kronman von KairUs den Ansatz. Es sei schwierig, gezeigte Handlungen mit künftigem Verhalten zu korrelieren und dabei gegebenenfalls noch kulturelle Unterschiede zu berücksichtigten. Unvermeidlich sei so, dass sich Vorurteile in die Sets an solche Trainingsdaten für Künstliche Intelligenz einschleichen und mit dem Ergebnis ebenfalls beispielsweise bereits marginalisierte Bevölkerungsgruppen weiter diskriminiert würden.

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Überwachung bis hinein in Wohnungen sei ein fester Bestandteil vieler Smart-City-Unterfangen, spannte Kronmans Kollege Andreas Zingerle den Bogen weiter. Mit Projekten wie Panopticities und Insecure by Design mache KairUs daher darauf aufmerksam, dass die dabei eingesetzte Technik von den Kameras bis hin zu den Servern in den Kontrollräumen meist gar nicht bis schlecht abgesichert und leicht fremdzusteuern sei. Einige Hersteller nutzten die gleichen Einstellungen für alle Geräte und einfachste Passwörter, der Datenverkehr werde zudem nicht verschlüsselt. Das Material könne so etwa auch einfach genutzt werden, um eigene Algorithmen zu trainieren.

Trotz solcher Schwächen sehe sich vor allem Südkorea als Testbett für Smart Cities inklusive RFID-Chips und Zensurnetzwerken, berichtete Zingerle. Techkonzerne des Landes wie LG, Samsung, SK Telecom oder Korea Telecom hätten spezielle Kits für den Export solcher Vernetzungsprojekte für Städte vor allem für den Export in Entwicklungsländer entwickelt. Auf der Insel selbst werde Sejong City als neues Verwaltungszentrum auf dem Reißbrett entworfen und als ideale Plattform für künftige Technologien sowie "Happy People" beworben. Bei dem bereits etwas in die Jahre gekommenen Vorgängermodell Songdo sei der Lack dagegen inzwischen ab: dort grassiere die Immobilienspekulation, viele der neu errichteten Hochhäuser und Malls stünden leer, das angeblich innovative Müllschlucksystem funktioniere nicht.

Erfunden habe das Konzept der Smart City IBM, ergänzte die britische Datenschutzforscherin Eva Blum-Dumontet. Es gehe dabei um die IT-Integration und vor allem ums Datensammeln. Neben Big Blue habe sich auch Huawei zu einem großen internationalen Akteur auf diesem Feld entwickelt, wobei die Technik und zugehörige Dienste oft an die Stadtverwaltung für ein Jahr kostenlos vergeben würden. Schwachpunkt der meisten einschlägigen Konzepte sei, dass die Bürger nur als Ressource wie Wasser oder Energie aufgeführt und nicht in den Mittelpunkt gestellt würden.

Dies sei auch der Fehler der Google-Tochter Sidewalk Labs bei dem im Mai aufgegebenen Waterfront-Prestigeprojekt in Toronto gewesen, schlug Julia Kloiber vom Superrr Lab in die gleiche Kerbe. Die Firma habe nie die Frage beantwortet, wem die anfallenden Daten gehören und wie das Vorhaben ethisch reguliert werden solle. Sie habe daher Widerstand heraufbeschworen. Es gelte daher, Graswurzel-Projekte für Open Data und Open Source im städtischen Verwaltungsumfeld zu stärken und dabei auch die Vorurteile zu berücksichtigen, die sich rasch in das Datenmaterial einschleichen könnten.

Der Hacktivist Denis "Jaromil" Roio, der sich auf digitale soziale Innovationen spezialisiert hat, appellierte ans Publikum, die Smart City wiederzuerobern. Er begrüßte es daher, dass bereits zahlreiche Städte das Manifest der Kommunalmanagerin Francesca Bria aus Barcelona für offene intelligente Gemeinden unterstützten. In Brechts Sinne müsse die bereits verbaute Technik umfunktioniert werden im Sinne des Gemeinwohls. Programmierer und ethische Hacker, die eine Elite von rund einem Prozent der Gesellschaft ausmachten, sollten sich dabei auf kleine Komponenten mit freier Software wie die von ihm mit ins Leben gerufene und etwa in Amsterdam mit einfachen Lösungen für Verschlüsselung umgesetzte Initiative Zenroom konzentrieren und so Stück für Stück das Betriebssystem von Städten bauen. Prinzipien zur Datenminimierung müssten dabei immer beachtet werden.

(bme)