Planetenforscher: Die vielen Mini-Monde der Erde

Immer wieder tauchen Mini-Monde in der Erdumlaufbahn auf. Zwei Studien haben sich mit ihnen beschäftigt.

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Planetenforscher-Konferenz EPSC 2020: Die vielen Mini-Monde der Erde

Mini-Monde sind nicht einfach zu entdecken.

(Bild: Bryce Bolin)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Wenn er sich auf seiner Bahn um die Erde nicht gerade im Glanz der Sonne versteckt, dominiert stets der Mond den nächtlichen Sternenhimmel, als wäre er der einzige Begleiter der Erde. Doch der Schein trügt: Tatsächlich wird die Erde von mehreren Monden umkreist. Sie sind allerdings meistens zu klein, um sie sehen zu können – und in der Regel auch nur vorübergehend zu Gast bei uns.

Erstmals beobachtet wurde ein solcher Mini-Mond im Jahr 2006 im Rahmen des Catalina Sky Survey (CSS). Er wird heute unter der Bezeichnung 2006 RH120 geführt. Erst am 15. Februar dieses Jahres wurde, ebenfalls vom CSS, ein weiterer entdeckt: 2020 CD3. Er war Gegenstand zweier Studien, die jetzt bei der Planetenforscher-Konferenz EPSC 2020 vorgestellt wurden.

Bryce T. Bolin (Caltech) berichtete von Beobachtungen, die im März mit dem Low Resolution Imaging Spectrometer (LRIS) des Keck Observatories auf Hawaii durchgeführt wurden. Die spektralen Eigenschaften des Objekts lassen demnach vermuten, dass es sich um einen der relativ seltenen V-Asteroiden handeln könnte, als deren Ursprung der Silikatmantel des massereichsten Asteroiden Vesta angenommen wird. 2020 CD3 habe einen Durchmesser von etwa einem Meter, so Bolin, und rotiere mit einer Umdrehung alle zehn Minuten relativ langsam. Aufgrund der erhobenen Beobachtungsdaten sei zu vermuten, dass er ungefähr alle 30 Jahre ein solches Gastspiel im Erde-Mond-System gebe. Seine mittlere Dichte liege bei 2,3 g/cm3.

Aufgrund von Modellrechnungen kommen die Forscher zu dem Schluss, dass sich ständig etwa ein Dutzend Minimonde in der Größenordnung von 50 Zentimeter Durchmesser im Erdorbit befinden. Hinzu kämen ein bis zwei mit einem Meter Durchmesser, sagt Bolin. Ungefähr alle 50 Jahre werde zudem ein Brocken der 30-Meter-Größenklasse vorübergehend eingefangen. Voraussetzung dafür sei, dass die Objekte sich mit geringen Relativgeschwindigkeiten von maximal 2,2 km/s aus einem Winkel von weniger als 130 Grad auf vier bis fünf Hill-Radien (ein Maß für die Wirksamkeit der Schwerkraft) annäherten. Sie verblieben im Durchschnitt 300 Tage im Erdorbit und seien schwer zu beobachten.

Interessant seien Mini-Monde, erklärte Grigori Fedorets (Queen's University Belfast), weil es sich um frei fliegende Felsbrocken von größeren Asteroiden handele, über deren Zusammensetzung bislang wenig bekannt sei. Ihre Beobachtung könne zudem größere Klarheit über die Verteilung solcher erdnahen Objekte in der Größenordnung von wenigen bis einigen Dutzend Metern Durchmesser bringen. Aufgrund ihrer Nähe und relativ langen Verweildauer seien es schließlich auch attraktive Ziele für Weltraummissionen, bei denen sie vor Ort untersucht und die Nutzung ihrer Ressourcen erprobt werden kann. Während ihres Aufenthalts im Erde-Mond-System vollendeten sie durchschnittlich drei Umkreisungen. Objekte mit einer Ausdehnung von etwa drei Metern würden ungefähr alle zehn Jahre eingefangen werden.

Fedorets fasste die Beobachtungen von sieben Observatorien zusammen, die 2020 CD3 nach dem 15. Februar in den Blick nahmen. Die erste Frage sei dabei wie bei allen neu entdeckten Objekten im Erdorbit die nach dem natürlichen oder künstlichen Ursprung gewesen. Drei Umstände hätten aber klar auf einen natürlichen Ursprung gedeutet: Zum einen ähnelten die Farben, wie auch von Bolin berichtet, einem S- oder V-Asteroiden, während das für künstliche Satelliten typische Rot fehlte. Das Verhältnis von Oberfläche zu Masse entspreche ebenfalls dem natürlicher Objekte. Und schließlich sei der Mini-Mond nicht vom Arecibo-Radarteleskop erkannt worden, was bei einem aus Metall bestehenden künstlichen Satelliten dieser Größe aber hätte gelingen müssen.

Mit einer Wahrscheinlichkeit von 97 Prozent, so Fedorets, sei 2020 CD3 am 15. September 2017 dem Mond so nahegekommen, dass er auf eine Umlaufbahn um das Erde-Mond-System gezogen wurde. Dort sei er für 2,7 Jahre verblieben und habe in dieser Zeit elf Orbits vollzogen. Die ungewöhnlich lange Verweildauer habe mit der geringen Entfernung zu tun, in der 2020 CD3 den Mond passiert habe. Das führe statistisch zu längeren Aufenthalten. Den Durchmesser beziffert Fedorets mit 1,2 Metern. Die Beobachtungen, so seine Schlussfolgerung, bestätigten die Gültigkeit der bisher entwickelten Modelle. Es sei daher zu erwarten, dass im Rahmen des auf zehn Jahre angelegten Beobachtungsprogramms Legacy Survey of Space and Time (LSST), das Anfang 2023 beginnen soll, Dutzende weiterer Mini-Monde gefunden werden.

(olb)