Terraforming für die Erde und Selbstversorgung auf dem Titan

Beim IAC 2020 werden gezielte planetare Megaprojekte diskutiert. Terraforming und Geoengineering werden für die Besiedlung anderer Planeten nötig sein.

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Terraforming für die Erde und Selbstversorgung auf dem Titan

(Bild: "Terraforming planet Earth as a necessary test for martian Terraforming", Giorgio Gaviraghi, Sergio De Paulo, Iramaia Jorge De Paulo, Denise Cardoso Gonçalves, 2020)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Der Science-Fiction-Autor Olaf Stapledon gilt als Erfinder des Konzepts des Terraforming. In seinem 1930 erstmals erschienenen Roman "Die letzten und die ersten Menschen" war es noch die Venus, die umgestaltet wurde, um dort für Menschen geeignete Lebensbedingungen zu schaffen. Heute steht vor allem der Mars im Mittelpunkt des Interesses. Zwei brasilianische Forscher empfehlen jedoch, die Techniken des Terraformings zunächst an einem anderen Planeten zu erproben: der Erde.

In ihrer Präsentation beim International Astronautical Congress (IAC) verweisen Giorgio Gaviraghi und Sergio De Paulo (Universidade Federal do Mato Grosso) darauf, dass sich die grundsätzliche Fähigkeit der Menschen, ganze Planeten zu verändern, zuerst bei ihrem Heimatplaneten gezeigt habe. Tatsächlich gilt die in den 1980er-Jahren erstmals beobachtete Ausdünnung der stratosphärischen Ozonschicht als erster Nachweis, dass menschliche Handlungen globale Auswirkungen haben: Denn die Ursache für das hauptsächlich über dem Südpol auftretende Ozonloch lag in den vornehmlich auf der Nordhalbkugel erzeugten Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW).

Inzwischen ist der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur und der damit verbundene Klimawandel als weiterer, dramatischer Beleg für die prinzipielle Möglichkeit, ein planetares Ökosystem zu verändern, hinzugekommen.

Allerdings, so Gaviraghi und De Paulo, erfolgten diese Umwandlungen bislang noch ungeplant und zum Nachteil der Menschen. Angesichts der Möglichkeit, einen fremden Planeten wie Mars nach unseren Wünschen zu gestalten, müssten "wir aus unseren Fehlern lernen, um sie zu vermeiden, aber auch aus unseren Errungenschaften, um sie auf unsere zukünftige zweite Heimat zu übertragen".

Nötige Schritte, um den Mars menschenfreundlicher zu machen

(Bild: "Terraforming planet Earth as a necessary test for martian Terraforming")

Die Forscher betonen ausdrücklich, dass es dabei nicht allein um physikalische Bedingungen gehe, sondern auch um soziale. Der Mars sei ein "Testgelände, um all die sozialen Ungleichheiten zu überwinden, mit denen wir seit Jahrtausenden auf unserem Planeten konfrontiert sind". Sie fordern: "Die Mars-Gesellschaft muss frei von Vorurteilen sein, seien sie ethnischer, geschlechtlicher, religiöser oder nationaler Natur und sie muss freie Gesundheitsversorgung, Bildung, Unterkunft, Fürsorge und Arbeit für die gesamte Bevölkerung gewährleisten."

Um die Machbarkeit eines solchen Vorhabens zu demonstrieren, schlagen sie vor, den globalen Herausforderungen auf der Erde mit "Megaprojekten" zu begegnen. Solche Megaprojekte hätten planetare Dimensionen, ließen sich aber nur in Gestalt tausender lokaler Projekte realisieren.

Als Beispiel nennen sie das Projekt "Poseidon", das darauf abzielt, das durch die Erderwärmung entstehende Schmelzwasser von den Polen in gezielte Bahnen zu lenken. Auf diese Weise sollen Küstenregionen geschützt, Landverlust vermieden und Wüstenregionen bewässert werden. Als geeigneten Ort für ein Pilotprojekt nennen Gaviraghi und De Paulo den Nordosten Brasiliens, weitere Regionen seien die arabische Halbinsel als "mittelgroßes Projekt" und die Bewässerung der Sahara als wirkliches Großprojekt.

Von einem ähnlich ehrgeizigen Vorhaben berichten Marco Campagnoli und Marco Capasso (Politecnico di Torino): Im Rahmen des Graduiertenprogramms SEEDS haben sie mit einem 25-köpfigen Team die Frage untersucht, inwieweit eine bemannte Station auf dem Saturnmond Titan sich auf die dort vorhandenen Ressourcen stützen könnte.

Trotz der geringen Temperatur von etwa 93 K stufen sie Titan gleich nach der Erde als "einen der am besten bewohnbaren Orte im Sonnensystem" ein: Der Druck der überwiegend aus Stickstoff (95 %) und Methan (4,5 %) bestehenden Atmosphäre sei dem irdischen vergleichbar und biete zusammen mit dem Magnetfeld des Saturn guten Schutz vor kosmischer und solarer Strahlung; Methan durchlaufe einen dem irdischen Wasser vergleichbaren Kreislauf; und an der Oberfläche gebe es Wassereis.

Eine sechsköpfige Crew, so die Kalkulation der Forscher, hätte einen täglichen Bedarf an 5 kg Wasser, 10 kg Wasserstoff, 5 kg Sauerstoff und 20 kg Stickstoff. Das ließe sich aus den vorhandenen und leicht zugänglichen Rohstoffen erzeugen, erfordere allerdings Energie. Die Förderung und Aufbereitung von Wasser beziffern sie etwa mit 3,1 kW. Für den Gesamtbedarf einer bemannten Station rechnen sie mit 40 kW, die über zehn Jahre bereitgestellt werden müssten.

Langfristig ließe sich das möglicherweise ebenfalls mit lokalen Ressourcen bewerkstelligen, etwa durch Windkraft oder geothermische Energie. Für die erste Mission sei das jedoch nicht praktikabel. Die Forscher empfehlen daher für die Versorgung der Titan-Pioniere einen Kernreaktor. Die Datenlage sei noch unzureichend, räumen sie ein, die Ergebnisse daher mit vielen Ungewissheiten belastet und sehr vorläufig. Mit einer Mission zur Erprobung der Ressourcennutzung vor Ort rechnen sie denn auch frühestens in den 2050er- oder 2060er-Jahren, mit einer bemannten Mission nicht vor 2070.

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