Gärtnern im All

In einem neuen Spezialgewächshaus für das Weltall sollen die Astronauten nur noch säen und ernten müssen.

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Gärtnern im All

(Bild: SWAG/ZHAW)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Das Auge von Astronauten sollte derzeit nicht mitessen. Nicht vor dem Öffnen der steril und vakuumverpackten Alubeutel und auch nicht danach – denn appetitlich sieht die Nahrung nie aus. Dabei ist frisches und farbenfrohes Gemüse nicht nur für die Augen und die physische Gesundheit der Weltraumreisenden wichtig, sondern auch für ihr mentales Wohlbefinden, sagt Philipp Osterwalder. Der angehende Umweltingenieur von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) entwickelt deshalb mit Kommilitonen im Rahmen des Igluna-Weltraumhabitat-Projekts des Swiss Space Center und der Esa ein platzsparendes Vertical-Farming-Gewächshaus für Raumstationen und interplanetare Reisen.

Anders als viele für die Großproduktion ausgelegten vertikalen Farmen oder Pflanzenzuchtkästen für den Heimgebrauch ist Osterwalders Selecta-Automat komplett geschlossen. Das System soll die Pflanzen vom Samen bis zur Ernte automatisch mit Wasser, Licht, der richtigen Temperatur und Nährstoffen versorgen. Nur beim Einpflanzen der Samen und Ernten sollen die Astronauten selbst Hand anlegen. „Aus der Forschung wissen wir, dass bei langer Isolation auch die Interaktion mit Pflanzen wohltuend wirkt“, sagt Osterwalder.

Das Team entwickelt zwei Versionen. Bei der für Mond- und Marsbasen gedachten Hydroponik-Variante, die eine gewisse Gravitation braucht, keimen und wurzeln die Pflanzen nicht in Erde, sondern in einem Substrat aus Blähton-Kügelchen. Eine Pumpe schickt Wasser durch ein Schlauchsystem, aus dem es dann in die einzelnen Töpfe tropft. In diesem Herbst starten die ersten Versuche mit einem Folgemodell mit einer einfacheren Wasserversorgung. Es besteht „salopp gesagt aus mehreren Dachrinnen mit Neigung, die übereinander angeordnet sind“, so Osterwalder.

In die Vertiefungen der Dachrinnen kommen, von Steinwolle gestützt, die Pflanzen. Ihre Wurzeln hängen in eine Nährstofflösung, die am schrägen Boden der Dachrinnen herunterläuft, unten in einem Tank aufgefangen wird, um dann wieder nach oben gepumpt zu werden. Ein eigens entwickeltes LED-Beleuchtungssystem simuliert die Lichtspektren verschiedener Vegetations- und Klimazonen. Damit die Schützlinge intensiver schmecken, Kräuter wie Basilikum und Pfefferminze also mehr ätherische Öle und Kaffeebohnen mehr Koffein produzieren, sind auch spezifische UV-Anteile dabei. Das System hält auch die Temperatur konstant und korrigiert durch Belüftung die Luftfeuchtigkeit, damit sich kein Schimmel bildet.

„In diesem Hydroponik-Testsystem haben wir Pflanzen sowohl aus Samen gezogen – etwa Salat, Baumwolle und Tabak – als auch Setzlinge von Heidelbeerpflanzen zum Blühen und Früchtetragen gebracht“, sagt Osterwalder. Insgesamt hat Osterwalders Team bereits eine ziemliche Obst- und Gemüsevielfalt erfolgreich bis zur Ernte kultiviert. Darunter sind Klassiker wie Tomaten, Fenchel und Gurken sowie Exoten wie Mango, Physalis, Kakaobaum, Mais und Reis. Mit einem Lächeln listet Osterwalder auch Hanf mit auf. Der sei nicht nur deshalb interessant, weil sein Anbau leicht und besonders gut dokumentiert ist, sondern für Flexitarier – also gelegentliche Fleischesser – auch wegen seiner proteinreichen Samen.

Die andere Variante wird ein Aeroponik-System für den offenen Weltraum sein. Es zerstäubt das Wasser an den Wurzeln. „Bei Mikrogravitation und Schwerelosigkeit würde es sich sonst in alle Richtungen verteilen“, erklärt Osterwalder. Astronauten auf der ISS testen Aeroponik ebenfalls, aber noch in einem offenen System und nicht zum Essen.

Das ultimative Ziel des Teams verrät der offizielle Name des Grünzeug-Automaten. „Smart Waste-based Agriculture Growing System“ (SWAG) bedeutet auf Deutsch etwa „Smartes landwirtschaftliches Anzuchtsystem auf Abfall-Basis“. Die Düngerlösung für den Alleinsatz soll nämlich buchstäblich aus Bordmitteln kommen: aus Astronauten-Urin. Da er die Schlüsselelemente noch nicht in den richtigen Verbindungen enthält, soll er zunächst einen Biofilter durchlaufen. Die darin enthaltenen Mikroorganismen bauen dann die chemischen Strukturen in Pflanzenfutter um.

(bsc)