Fiese Verlockung: 30 Jahre Solitaire für Windows

Seit 30 Jahren füllt ein Kartenlegespiel ­Arbeitspausen und versüßt dröge Meetings. Es in ­Windows zu integrieren war ein hinterhältiger Zug von Microsoft.

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30 Jahre Solitaire für Windows

Solitär (engl. Solitaire) 1990: Microsoft-Praktikant Wes Cherry programmierte die erste Version der Windows-Patience.

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Heinrich Lenhardt

Eigentlich ist Solitaire kein Spiel, sondern ein Trainingsprogramm, das Anwender mit der Handhabung einer Maus vertraut machen soll – so begründete Microsoft das in Windows 3.0 integrierte Kartensortierspiel.

Seit 1990 lauert Solitaire auf Festplatten und wartet nur auf einen schwachen Moment des Anwenders. Wenn der Nachmittag lang wird und der Geist abschweift, erliegt man womöglich der Versuchung, erneut den Umgang mit der Maus zu trainieren. Das kann man gar nicht oft genug tun.

Microsoft schätzt, dass mehr als eine Milliarde Windows-PCs mit vorinstalliertem Solitaire ausgeliefert wurden. Das harmlos wirkende Kartensortieren entpuppte sich mit seiner tückischen "Nur noch ein Versuch"-Suchtwirkung als perfekte Spiele-Einstiegsdroge. Stets ist es nur einen Doppelklick entfernt: Komm, nur zehn Minuten, das tut gut, das schaffst du bis zum Beginn der Telefonkonferenz. Der Computer mag am Empfang stehen, in der Buchhaltung oder in der Chefetage, aber vor Solitaire ist man nirgends sicher.

Programmiert hat das Teufelszeug ein Student namens Wes Cherry, der im Sommer 1988 bei Microsoft ein Praktikum absolvierte. Solitaire schrieb er, weil er mit einem ähnlichen Patience-Spiel am Macintosh schon viel Spaß hatte und eine Windows-Variante davon wollte. Ein Microsoft-Manager wurde auf die Fingerübung aufmerksam und schlug vor, sie ins Softwarepaket von Windows 3.0 aufzunehmen.

Bezahlt wurde Cherry dafür nicht, er bekam lediglich noch einen PC geliehen, um Bugs zu korrigieren. Mit Praktikanten kann mans ja machen. Vielleicht schickt Microsoft ihm wenigstens noch ein kostenloses T-Shirt: Zum 30. Geburtstag gibt es nämlich erstmals Solitaire-Merchandising.

30 Jahre mussten Fans auf ein offizielles Solitaire-T-Shirt warten. Zum runden Geburtstag verkauft Microsoft auch Kaffeebecher.

(Bild: Microsoft)

Fragen nach den von Solitaire ausgelösten volkswirtschaftlichen Schäden beantwortet Cherry verschmitzt mit dem Hinweis, dass es ein Jahr nach der Auslieferung von Windows 3.0 erst einmal eine Rezession gegeben habe. Schlimmeres wurde abgewendet: Ursprünglich hatte Cherrys Solitaire eine Boss-Taste, deren Betätigung das schändliche Spielchen geschwind verbarg. Deren Entfernung auf Microsofts Geheiß lehrte einer ganzen Generation den reflexartigen Gebrauch der Tastenkombination Alt+Tab. Ansonsten drohte einem das Schicksal von Edward Greenwood: Der wurde 2006 vom damaligen New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg gefeuert, nur weil dieser eine Solitaire-Partie auf Greenwoods Bildschirm erspähte. Die Bloombergs dieser Welt sind eben traurige Gestalten, denen sich das erhebende Gefühl des Kartensortierens nicht erschließt.

Beim ursprünglichen Solitaire von 1990 handelt es sich um die Spielvariante Klondike, die auch unlösbare Kartenverteilungen bescheren kann. Heute gibt es bei der Solitaire Windows Collection auch vier weitere Patience-Typen und Annehmlichkeiten wie eine Hint-Funktion. Das dürfte dem prominenten Testspieler Bill Gates gefallen, der einst beanstandete, dass die erste Version zu schwierig sei. Die Patience-Lust ist jedenfalls ungebrochen: Durchschnittlich 55 Millionen Partien werden jeden Tag mit der Solitaire Collection gespielt. Alle natürlich nur in der Freizeit.

Der PC-Spielejahrgang 1990 bescherte uns Klassiker wie Monkey Island, Railroad Tycoon oder Wing Commander. Doch kein Titel wurde so häufig gespielt wie dieses trojanische Spielepferd von Windows 3.0. Seinen Verführungen zu erliegen, war das Beste, was einem an manchem Arbeitstag passieren konnte. Wer dabei von verständnislosen Vorgesetzten konfrontiert wird, der berufe sich auf die alte Microsoft-Argumentation: Ich spiele nicht, ich trainiere den Umgang mit der Maus.

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c't RETRO

Dieser Artikel stammt aus c't-RETRO. In der Spezialausgabe der c't werfen wir einen Blick zurück auf die ersten IBM-PCs und beleuchten den Siegeszug von Windows. Sie finden darin Praxis, Tests und Storys rund um Technik-Klassiker. Wir erinnern an Karl Klammer, stellen einen neuzeitlichen IBM-XT-Nachbau fürs Vintage-Computing vor und erläutern, wie Sie Daten von verkratzten CDs und Uralt-Festplatten retten können. c't RETRO ist ab sofort im Heise Shop und am gut sortierten Zeitschriftenkiosk erhältlich.

(swi)