Alles und nichts

Die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ hat ihren Abschlussbericht abgegeben. Alle Klarheiten sind damit beseitigt.

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Enquete-Kommissionen, schreibt die Wikipedia, sind vom Bundestag oder den Landesparlamenten eingesetzte „überfraktionelle Arbeitsgruppen“, die „Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe vorbereiten sollen“. Was die sich gerade rasant entwickelnde Künstliche Intelligenz mit unserer Gesellschaft, der Kultur, der Wirtschaft, dem Arbeitsleben, der inneren Sicherheit etc. machen wird, kann in der Tat als „bedeutsamer Sachkomplex“ bewertet werden - und umfangreich ist das Thema auch. Wie geschaffen also für die Arbeit einer Enquete-Kommission, und die hat nun auch geliefert. Der Bericht der Enquete-Kommission “Künstliche Intelligenz - Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologischen Potenziale" ist seit kurzem online – und damit sind, wie man so sagt, alle Klarheiten beseitigt.

Denn der Bericht enthält auf schlanken 500 Seiten so ziemlich alles zu allen: Unzählige Handlungsempfehlungen, Minderheitenvoten und Aufforderung zu gesellschaftlichem Dialog, aus denen sich jeder rauspicken kann, was ihm grade so gefällt - oder auch das genaue Gegenteil. Kleine Kostprobe gefällig? „Die gemeinwohlorientierte Nutzung von KI ist kein Selbstläufer, sondern eine gesellschaftliche

Gestaltungsaufgabe. Dabei gilt es, die KI-Prozesse in den Unternehmen so zu gestalten, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmerinteressen bestmöglich miteinander vereinbart werden können. Bereits im Jahr 2013 hat die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Internet und digitale Gesellschaft“ Problemfelder für die Mitbestimmung ermittelt, die aus der Digitalisierung erwachsen, etwa die Entbetrieblichung der Arbeit, die Steigerung der Verlagerungsfähigkeit von Arbeitsvolumen und Standorten, die Herausforderungen für

Persönlichkeitsrechte im Betrieb und die Erosion der Wirkung der herkömmlichen Mitbestimmungsrechte zu maschineller Leistungs- und Verhaltenskontrolle“, heißt es dort beispielsweise. „Au warte“, denke ich, „da ist ja doch mal eine kritische Stelle drin“. Aber dann geht es nahtlos weiter mit: „Aus diesen Überlegungen wird deutlich, dass mit KI ein breites Spektrum an Möglichkeiten erschlossen werden kann, somit auch eine höhere Arbeits- und Lebensqualität und hochwertige Beschäftigungsmöglichkeiten auf Basis passender Aus- und Weiterbildung („Gute Arbeit by design“).“

Dankenswerterweise hat der Informationsdienst „Heute im Bundestag“ einen Bericht veröffentlicht, der zumindest ansatzweise verdaulicher ist. Optimistischer stimmt er mich allerdings auch nicht. Zum Punkt KI und „Innere Sicherheit“ beispielsweise mahnt die Kommission ledigliche eine „Kosten-Nutzen-Kalkulation“ und die Beachtung der „Verhältnismäßigkeit“ an. Und vom Einsatz von KI-Anwendung in der Verwaltung verspricht sich die Kommission ganz rundheraus “positive Effekte“. "In den Behörden könnten Assistenzsysteme eine deutliche Effizienzsteigerung von Verwaltungsvorgängen bewirken, Anfrageaufkommen und Themen nachvollziehbarer machen, eine höhere Nutzerzufriedenheit gewährleisten und zur Kostensenkung beitragen", wird in dem Bericht angeführt.

Da wird einer kritiklosen Automatisierung das Wort geredet, als habe es die australischen Erfahrungen mit automatisierten Einstellungen von Sozialleistungen nicht gegeben, oder die Software, die in den Niederlanden potenzielle Sozialbetrüger abfischen sollte, bis sie von einem Gericht gestoppt wurde. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch, und die Gefahren der Automatisierung der Ungleichheit werden in irgend einer Fußnote genauso thematisiert, wie die Menscherechtsverletzungen mit Hilfe von Algorithmen, die „abweichendes Verhalten“ detektieren können.

Vielleicht aber auch nicht. Ich behaupte einfach mal: Die Lektüre dieses Abschlussberichts kann man sich schenken, denn man ist hinterher nicht schlauer als vorher. Die Kommission hat sich mit wichtigen Fragen beschäftigt, kommt aber Antworten nicht näher. Pluralismus ist ein feine Sache. Aber manchmal muss man sich streiten, um der Wahrheit näher zu kommen. In Enquete-Kommissionen passiert das offenbar nicht.

(wst)