Troll gegen Troll

Amazon arbeitet offenbar an der algorithmischen Umsetzung des kategorischen Imperativs.

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Die Idee klingt so überzeugend, dass ich im ersten Moment dachte, sie kann eigentlich nur vom Postillon kommen. Doch nein, sie stammt von niemand geringerem als Amazon und trägt die US-Patentnummer 10807006. Das Patent klingt zunächst recht unspektakulär: Es geht um Multiplayer-Games, bei denen Spieler mit ähnlichen Vorlieben und Verhaltensweisen zusammengebracht werden: „On a request to initiate a game session, a first player can be paired with a set of other players whose behaviors are compatible with the preferences of the first player.“ Diese Ähnlichkeiten könnten beispielsweise, so die Patentschrift, mit „Graphen-Analyse“ ermittelt werden.

Gleich und gleich gesellt sich gerne – so weit, so bekannt. Die eigentliche Sprengkraft dieses Gedanken eröffnet sich erst ein paar Absätze später: „toxische“ Spieler, die beispielsweise gerne obszöne Ausdrücke gebrauchen oder andere „unerwünschte Verhaltensweisen“ zeigen, könnten auf diese Weise in eigenen Gruppen zusammengefasst werden – „such that one toxic player is paired only with other toxic players“, wie es in der Patentprosa heißt. Mit anderen Worten: Lasst die Trolle und Arschlöcher sich untereinander bekriegen, auf dass sie den Rest der Community nicht auf den Wecker gehen.

Sollte es tatsächlich irgendwann gelingen, diesen Grundsatz in einem hinreichend großem Multiplayer-Game zu realisieren, wäre dies weit mehr als nur eine digitale Hygienemaßnahme – es wäre die algorithmische Umsetzung von Kants kategorischem Imperativ („Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“).

Du hältst Deine Mitmenschen tendenziell für ausgemachte Deppen und Höflichkeit für eine Erfindung wehleidiger Weicheier? Du gehorchst einzig und allein dem Recht des Stärkeren? Prima, versetzen wir Dich doch in eine Welt, in der alle so drauf sind wie Du. Viel Vergnügen!

Umgekehrt bedeutet das natürlich auch, dass alle sanftmütigen Gutmenschen in einer eigenen trollfreien Welt gegeneinander antreten. Ob das dem Spielspaß zuträglich wäre, ist eine spannende Frage. Überhaupt könnte eine solche Spieleplattform zu einem wunderbaren soziologischen Versuchslabor werden: In welcher Welt zum Beispiel wären die spielerischen Leistungen wohl besser – in der voller Troller oder in der voller Gutmenschen?

Wie würde sich die Stimmung in den moralisch separierten Communitys entwickeln? Bleiben die Sanften sanft – oder werden sie im Gegenteil vor lauter Langeweile aggressiv? Würde die Stimmung unter den Trollen komplett eskalieren – oder würde sie sich auf ein Gleichgewicht des Schreckens einpendeln, weil sich alle irgendwann selbst auf die Nerven gehen? Und was ändert sich, wenn man der Gutmenschen-Population, sagen wir, zehn Prozent ausgewiesener Trolle beimischt? Würde die Spielleistung damit ansteigen? Eine ganz neue Forschungsrichtung tut sich hier auf: Die evidenzbasierte Philosophie.

(grh)