Nippon testet seinen eigenen Corona-Weg

In Asien sticht Japan mit seinen Zahlen negativ heraus, im Westen gilt das Land als Vorbild. Nun wird geprüft, wie normal es sich in einer Pandemie leben lässt.

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(Bild: Photo by Louie Martinez on Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Während sich in Deutschland im Kampf gegen das Coronavirus wieder die Menschen wegschließen, probt Nippon vorolympisch pandemiefeindliche Geselligkeit. Obwohl auch in Japan die Zahl der Infizierten höher ist als bei der ersten Welle im Frühjahr oder der zweiten im Sommer, klatschen bei Fußballspielen nicht mehr nur Roboter auf der Tribüne.

Stattdessen werden Sportarenen wieder zu einem Drittel oder zur Hälfte mit Menschen befüllt. Selbst Hallensport wie das traditionelle Sumo-Ringen wird wieder zum sozial distanzierten Publikumsmagneten. Und Reisen im Land wurden sogar lange uneingeschränkt mit staatlichen Subventionen gefördert – Hotels wie Flüge und Bahnreisen.

Allerdings schauen die Virologen genau hin. Japan testet derzeit, wie normal es sich mit COVID-19 leben lässt. Die laxe Haltung ändert sich zwar gerade wieder etwas, weil die neuen Corona-Fallzahlen oft über 2000 Personen pro Tag liegen. Damit sticht Japan zwar negativ in Asien heraus, kann aber getrost weiterhin als Vorbild weltweit gelten. In dem Land leben 125 Millionen Menschen, es gibt besonders viele Alte.

Die Regierung der Stadt Tokio hat Senioren, die über 65 Jahre sind, nun gebeten, nicht mehr zu verreisen. Reisende aus einigen Metropolen wurden zudem vom Bonusprogramm der Regierung ausgenommen. Aber von europäischen Einschränkungen scheint das Land noch (hoffentlich) weit entfernt.

Die Regierung glaubt sogar immer noch fest daran, dass die von 2020 auf 2021 verschobenen olympischen Sommerspiele in Tokio dieses Mal wirklich stattfinden werden. Versuchsweise öffnet Japan seine Grenzen schrittweise für ausländische Gäste. Mit China wurden gerade die Reisebestimmungen für Geschäftsleute erleichtert. So entfällt auf Antrag die Quarantäne. Im Sommer soll es dann für die erhoffte Flut von Olympia-Touristen keine großen Beschränkungen mehr geben.

Eine Impfung gegen SARS-Cov-2 soll nicht vorgeschrieben werden, wohl aber ein negativer Virentest. Darüber hinaus setzt Japan auf Technik, um die Spuren von Touristen im Infektionsfall zurückverfolgen zu können. Besucher müssen nicht nur Japans Corona-App auf ihre Handys laden. Zusätzlich wird jedem Gast eine persönliche Identifikationsnummer zugeordnet. Doch bei aller Liebe zur Technik will Japan nicht derart massiv in die Privatsphäre eingreifen, wie es in Südkorea üblich ist. Dort können die Behörden auf die Lokalisationsdaten von Handys zugreifen.

Japan will hingegen einem Medienbericht zufolge auf GPS-Tracking verzichten. Stattdessen wird an die Besucher appelliert, selbst ein Logbuch anzulegen. Allerdings wird erwogen, an bestimmten Orten die Besucher über einen Barcode anzumelden.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Wenn es mit dem ersten globalen Großevent nach dem Ausbruch der Pandemie gut geht, wird Japan zum Vorbild für die Welt. Doch bis dahin muss das Land zuerst die neue Welle überstehen. Sie käme wie erwartet und werde ihren Höhepunkt wohl im Januar oder Februar erreichen, erklärte Shigeru Omi, der Vorsitzende eines Ausschusses für Corona-Maßnahmen.

Japan setzt dabei auf einen Balanceakt zwischen Pandemie und einem möglichst ungestörten Wirtschaftsleben. Dabei nehmen Regierung und Gesellschaft deutlich mehr Infektionen in Kauf als die asiatischen Nachbarn. Taiwan findet lokal keine Fälle, Südkorea drückt schon bei 500 Infektionen pro Tag massiv auf die Bremse.

Aber Experten warnen, dass Japan nun an einem kritischen Punkt in seinen Plan angekommen ist, Infektionsketten in Clustern mit traditionellen Methoden aufzuspüren. Denn nachdem die Zahl der neu gefundenen Infizierten konstant über 2000 Personen pro Tag liegt, kommen die lokalen Gesundheitsämter nicht mehr mit den notwendigen Interviews hinterher.

Die Virologen fordern daher erneute Einschränkungen des Lebenswandels, um nicht in eine exponentielle Steigerung wie in Europa oder den USA einzubiegen. Damit wird sich nun zeigen, ob die Geheimwaffe Japans im Kampf gegen das Virus auch nach den entspannten Monaten wieder wirkt: die hohe Bereitschaft großer Teile der Bevölkerung, mehr oder weniger freiwillig die Sozialkontakte zu reduzieren, Masken zu tragen und sich die Hände zu desinfizieren.

(bsc)