Bio-logisches Wachstum

Nachhaltige Ansätze sehen vor, dass die Wirtschaft sich wie ein biologischer Kreislauf verhält. Wie soll das funktionieren?

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Wirtschaft in der Petrischale. An unserem Umgang mit den Ressourcen dieser Welt muss sich etwas ändern – das zeigt uns die Erde gerade sehr deutlich.

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas

Wir Menschen führen ein gradliniges Konsumleben: Dinge werden produziert, benutzt und weggeworfen. Recycling ist mühsam und teuer und die moderne Industrie nicht auf Stoffkreisläufe ausgerichtet. Selbst mit digitaler Vernetzung, wie sie sich westliche Industrienationen mit Industrie 4.0 auf die Fahnen schreiben, geht es nur zögerlich voran. Dabei lässt sich nur mit durchorganisierten Prozessen wirklich effizient und ressourcenschonend produzieren.

Allerdings bedeutet mehr Digitalisierung auch mehr Elektronik und Stromverbrauch – und die nötigen Computer sind nach wenigen Jahren technisch überholt und ein Fall für den Wertstoffhof. Für eine planetenfreundliche Ökonomie ist also nicht nur die digitale, sondern vor allem eine nachhaltige Transformation unseres Wirtschaftens gefragt. Und dafür wird gerade ein alter Oberbegriff mit neuem Inhalt gefüllt: Bio-Technologie.

Mit Produkten aus nachwachsenden, idealerweise wiederverwerteten sowie wiederverwertbaren Rohstoffen wollen Forscher den Raubbau an der Natur beenden – und fast unbegrenztes Wachstum ohne Umweltschäden ermöglichen. Die Kombination etwa von biologischen Sensoren mit digitaler Technik soll zudem völlig neue Anwendungen erschließen – künftig könnte ein Roboter an Flughäfen nach Sprengstoff schnüffeln oder Krankheiten früh erkennen. Bakterien produzierten schon nachhaltig Wasserstoff aus Abfällen, biologische Ingredienzen steigerten die Effizienz von Batterien, der Mini-Reaktor im eigenen Haus erzeugt passgenaue Medikamente für die Bewohner. Und zuletzt könnte die altmodische Bezeichnung für Computer, „das Elektronenhirn“, dank Bio-Tech wieder aufleben – Ideen für Rechner mit Biomasse als Prozessoren existieren schon.

All diese und andere Visionen der Bio-Technologie klingen verlockend – aber auch im Wortsinn fantastisch. Zwar entstehen ohne Fantasie keine neuen Ideen und Produkte. Allerdings sind technologische Verheißungen auch häufig gescheitert. Über die aktuellen Entwicklungen in der Bio-Technologie wird das Urteil dennoch sicher nicht vernichtend ausfallen. Das gilt schon deshalb, weil unter dem Schlagwort sehr unterschiedliche Forschungs- und Technikansätze zusammenfallen – was die Bewertung zugleich komplizierter macht.

So arbeiten Forschende am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart zusammen mit dem Start-up Koniku an Biosensoren mit lebenden Riechzellen. Sie sitzen in gewöhnlichen Kunststoffgehäusen und werden –noch – von Lithium-Ionen-Akkus mit Strom versorgt. Die Sensoren erschließen neue Anwendungen, sind aber als Einzelprodukt und für sich genommen noch nicht nachhaltig im Sinne einer umfassenden Kreislaufwirtschaft.

Ähnlich sieht es bei den seit einem guten Jahr populären fleischlosen Hamburgern aus: Der pflanzliche Ersatzklops soll im Vergleich zu Rinderzucht und -verarbeitung 86 Prozent weniger Wasser und 90 Prozent weniger Fläche benötigen sowie 90 Prozent weniger Emissionen verursachen. Klingt gut. Nur wiesen Ernährungswissenschaftler schon darauf hin, dass es sich bei den bislang erhältlichen Pattys um hoch verarbeitete Produkte mit vielen Zusatzstoffen handelt – also um das Gegenteil gesunder, naturnaher Nahrung. Im Reagenzglas gezüchtetes Fleisch könnte es richten – ist es verfügbar, könnte die Ernährungsbilanz des tierfreien Hamburgers ganz anders aussehen.

Derzeit nähert sich auf dem Gelände der Uni Stuttgart zudem der Rohbau eines „adaptiven“ Hochhauses der Fertigstellung. In dem Versuchsträger soll erprobt werden, wie sich ein Gebäude flexibel und effizient an Umwelteinflüsse anpassen kann. Der Uni-Bau soll Erdstößen standhalten und mit Sensoren und Aktoren Wind und Sturm flexibel ausgleichen wie ein Lebewesen. Dadurch muss es einwirkenden Kräften nicht mehr starr trotzen – und kann leichter und ressourcenschonender werden.

Auf einigen Etagen regulieren darüber hinaus Flüssigkristallscheiben das einfallende Licht. Das schafft nicht nur augenfreundliche Helligkeit im Inneren, sondern hält die Räume auch kühl. Die Klimatisierung frisst also weniger Energie, und nicht einmal klassische Sonnenblenden, also Markisen oder Jalousien, werden gebraucht.

TR 10/2020

Auch dieses Detail zeigt aber die Ambivalenz der neuen Bio-Technologie: Sicher ist es sinnvoll, mit intelligenten Fenstern Wärme gar nicht erst entstehen zu lassen und dadurch die Produktion von Sonnenblenden und den Strom für die Klimaanlage zu sparen. Die Fertigung der dafür nötigen Scheiben ist allerdings wesentlich aufwendiger als die von konventionellem Glas – und bislang alles andere als umweltfreundlich.

Spricht das grundsätzlich gegen Bio-Tech? Nein. Der Forschungszweig ist jung, und wie überall werden sich manche der eingeschlagenen Wege als Sackgassen erweisen. Auch eine große industrielle Revolution ist von Bio-Tech bei allen Ambitionen vermutlich vorerst nicht zu erwarten. Aber zumindest dürften konstante Evolution und Detailarbeit bessere und effizientere Produkte, neue Anwendungsgebiete und neue Vernetzungen nach natürlichem Vorbild in unserer viel zu sehr aufs Wegwerfen orientierten Konsumwelt erschließen.

(bsc)