Roboter im Rachenraum

Nirgendwo werden so viele Industrieroboter gebaut wie in Japan. Der Hersteller Kawasaki Heavy leistet nun pandemischen Technologietransfer.

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(Bild: Medicaroid)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Kaum ein Industrieland hat in der Pandemie weniger PCR-Tests durchgeführt als Japan. Ein Grund dafür ist, dass die Kapazitäten der öffentlichen Gesundheitszentren beschränkt sind. Den Industrieroboterhersteller Kawasaki Heavy Industries (KHI) hat dies auf eine Idee gebracht: Warum automatisiert man den Test und die Laborarbeiten nicht einfach wie eine Produktionslinie in der Autofabrik, um schneller mehr Untersuchungen durchführen zu können – und packt alles in einen Container?

Diese Woche stellte das Unternehmen nun Japans Gesundheitsminister Norihisa Tamura das System vor, das KHI und der Laborgeräteriese Sysmex in ihrem Joint-Venture Medicaroid entwickelt haben. Das Gemeinschaftsunternehmen verkauft derzeit Operationsroboter. Für die Automatisierung der Coronatests nutzen die Entwickler nun Roboterarme, eine Fernsteuertechnik des Roboterherstellers sowie ein automatisiertes Testlabor.

Und so funktioniert es: Der Verdachtsfall setzt sich vor den Roboter, eine Person hält den Kopf fest. Dann bugsiert ein Krankenpfleger aus der Ferne mit dem Roboterarm den Teststab durch die Nase in den Rachenraum. Der Abstrich wird dann weitergereicht und von weiteren Maschinen ausgewertet. 80 Minuten später liegt das Ergebnis vor, so das Versprechen. Bisher müssen getestete Personen noch zwei bis drei Tage auf das Ergebnis warten.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

2000 Personen sollen damit in 16 Stunden getestet werden können. Und dies nicht nur stationär: Als besonderen Clou haben sich die Partner überlegt, das System als mobiles Labor aufzusetzen. Das System wurde so designt, dass es in einen 40-Fuß-Container passt.

Es kann daher mit Lastwagen überall im Land verbracht und dort mit einer minimalen Crew bedient werden. Damit wollen die Entwickler zum Beispiel helfen, Passagiere vor Flügen schneller zu testen, oder Besucher von Sportveranstaltung vor dem Betreten der Arena.

Minister Tamura lobte zwar, dass der Einsatz von Roboter-Testsystemen das medizinische Personal entlasten und Genauigkeit der Tests erhöhen könne. Aber er stellte den Entwicklern keine Aufträge in Aussicht. Jedoch: Sie stehen damit für einen Trend, der durch die Pandemie nun noch beschleunigt werden könnte – die wachsende Verbreitung von Robotern in Krankenhäusern und Pflegeheimen.

Bisher machen im medizinischen Bereich Operationsroboter, die Ärzte bei komplexen Eingriffen zur Hand gehen, laut Fortune Business Insights noch fast zwei Drittel des Markts von Robotern aus. Vor der Krise erwarteten die Experten bereits, dass ihre wachsende Verbreitung sowie ein Boom von Telepräsenz- und Rehabilitationsrobotern das Marktvolumen zwischen 2019 und 2024 auf mehr als zehn Milliarden Dollar vervierfachen könnte.

KHIs System könnte nun zu weiterem Wachstum beitragen, wenn es den Sprung vom Prototyp zum Produkt schafft. Und die Japaner bleiben damit nicht stehen. Sie haben auch ein mobiles Robotersystem angedacht, das Krankenhauspatienten das Essen bringen kann.

Es ist zweifelhaft, ob diese Systeme schon kurzfristig eingesetzt werden können, da sie wohl zuerst aufwändige Genehmigungsverfahren durchlaufen müssen. Aber nach der jetzigen Erfahrung werden Regierungen weltweit nicht nur Pandemie-Protokolle entwickeln, um die nächste globale Krankheitswelle früh einzudämmen. Gerade Japan wird auch in neue Notfallkapazitäten investieren.

Die geringe Ausstattung mit Intensivbetten in dem Land sorgt dafür, dass sich das Land schon bei einer mäßigen Virenwelle vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems fürchtet. Das soll unbedingt verhindert werden.

(bsc)