Feuerwerksverbot: Sollten die ruhigen, feinstaubfreien Jahreswechsel bleiben?

Silvester war in der Bundesrepublik aufgrund der Verkaufsverbote für Böller wohl so feinstaubfrei wie seit Jahrzehnten nicht. Das war nicht der einzige Vorteil.

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Feuerwerksmüll auf der Straße.

(Bild: meineresterampe / Pixabay)

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Berlin bot am Neujahrstag 2021 für Einwohner, die schon länger in der Hauptstadt leben, ein ungewohntes Bild. Die Straßen waren in vielen Vierteln – Problemkieze ausgenommen – sauber wie geleckt. Die Tonnen von Feuerwerks- und Böllermüll, die die Stadtreinigung sonst abfahren muss – und die gerne noch viele Wochen in Überresten herumliegen – waren einfach nicht da. Das Verkaufsverbot für Feuerwerk und Böller, das die Bundesregierung aus Corona-Gründen dann doch erlassen hatte, sorgte für das müllfreie Bild – nicht nur in Berlin, sondern in vielen Städten. Das Arsenal an gebunkertem oder importiertem Sprengmaterial war offenbar vergleichsweise schnell aufgebraucht.

Was auch gut war, war die Luft. Normalerweise ist an Silvester in den Städten enorm dicke Luft. Jährlich sollen laut Umweltbundesamt rund 2050 Tonnen Feinstaub der Partikelgröße PM10 in die Luft geblasen werden. So kommt es mancherorts zu Luftbelastungen, die höher sind als an jedem anderen Tag des Jahres. Das blieb uns 2020/2021 erspart – es wäre auch verrückt gewesen, schließlich ist COVID-19 eine Atemwegserkrankung.

Es gab noch weitere Vorteile. Die Feuerwehr hatte in vielen Regionen deutlich weniger zu tun als sonst. An einem normalen Silvester ist es ein Großkampftag. Unzählige durch Raketen und Böller ausgelöste Wohnungs-, Balkon- und Dachstuhlbrände gilt es zu löschen, Autos fackeln ab, manchmal trifft es auch Baumbestände in Parks. Das Verletzungsrisiko ist enorm.

"An keinem anderen Tag im Jahr verletzen sich so viele Menschen an den Hände wie an Silvester", so die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und die Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie. Typisch sind demnach abgetrennte Finger, Verbrennungen und Brüche. Daneben seien auch Verletzungen im Gesicht und der Augen häufig, so DGOU-Generalsekretär Dietmar Pennig der Deutschen Presse-Agentur. Augenverletzungen, Trommelfellrisse, Verletzungen der Lunge und am Gesicht kommen hinzu, daneben Gehörschäden. Städte wie Berlin fühlen sich an Silvester an wie im Krieg.

Worüber zudem fast gar nicht diskutiert wird, ist das, was in den Raketen und Böllern steckt. Beim Zünden atmet man durchaus gesundheitsgefährdende Chemikalien ein, die längere Zeit in der Umwelt bleiben. Auf die Idee gekommen, einen "Bio-Böller" zu schaffen, der biologisch sauber wäre, ist jedenfalls offenbar noch niemand.

Früher wurden schonmal Quecksilber, roter Phosphor oder Blei verwendet, mittlerweile sind es eher – für die Schilddrüse problematische – Chlorverbindungen, Barium- oder Strontiumnitrat sowie Salze des Kupfers. Laut Thomas Klapötke von der Ludwig-Maximilians-Universität München entstehen beim Abbrennen zudem PCBs, PCDDs und PCDFs. "Diese sind hochtoxisch und krebserregend", so der Forscher zum Tagesspiegel.

Was wir hier in Deutschland an Silvester tun, ist in vielen anderen Regionen schlicht unbekannt. Dass die Menschen selbst feuergefährliche Raketen und ohrenbetäubende Böller abfeuern dürfen, gibt es in anderen Ländern einfach nicht. In New York gibt's Konfetti und vielleicht ein zentral geregeltes Feuerwerk. In Paris das gleiche System. Selbst China, das Land, dass das Feuerwerk erfunden hat, lässt in den großen Städten koordiniert knallen, die Gefahr durch Individualfeuerwerk wäre einfach zu groß.

Natürlich wäre ein fortgesetztes Böllerverbot ein Eingriff in die Freiheitsrechte – und viele Menschen genießen die Knallerei einfach. Sie macht, solange man nicht zu schaden kommt (oder andere schädigt) ja auch viel Spaß. Sie ist Tradition, stiftet Zusammenhalt, man kann echte Freude miteinander teilen.

Und es hängt natürlich eine Branche an der Knallerei, die aktuell ums Überleben kämpft. Silvester 2019 gab es Umsätze in Höhe von rund 130 Millionen Euro. Das sind durchaus eine Menge Arbeitsplätze. Andererseits sind hiesige Produzenten die Ausnahme, die überwiegende Menge wird aus China importiert.

Und es wäre ja nicht die einzige potenziell schädliche Aktivität (wenn Feuerwerk auch schön anzusehen ist), die man den Menschen weiterhin erlaubt. So sterben Jahr für Jahr in Deutschland fast 130.000 Personen an den Folgen des Rauchens, weltweit sind es 8 Millionen. Wir lassen es einfach geschehen, scheren uns nicht einmal um den das Grundwasser verseuchenden Müll in den Kippenstummeln, die überall auf den Boden geworfen werden. Und man darf frei auf der Straße rauchen, so dass die Mitmenschen die Wolken abbekommen – verteilt sich ja. Gut möglich also, dass einfach alles beim Alten bleibt, wenn der Corona-Nebel verzogen ist. (bsc)