Chip-Falle: "Produktionsanteil an Halbleitern in Europa massiv erhöhen"

Der Elektrotechnik-Verband VDE fordert einen europäischen Masterplan für Mikroelektronik und Photonik, um Versorgungssicherheit bei Chips herzustellen.

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(Bild: HomeArt/Shutterstock.com)

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Deutschland und Europa müssen im Bereich Mikroelektronik und Halbleiterfertigung deutlich nachlegen und gegenüber südostasiatischen Staaten sowie den USA wieder aufholen. Bei komplexeren logische Schaltungen (Advanced CMOS) und Speichertechnologien spiele der alte Kontinent "aktuell fast keine Rolle mehr", monierte Christoph Kutter, Direktor der Fraunhofer-Einrichtung für Mikrosysteme und Festkörper-Technologien (EMFT), am Freitag bei der Präsentation des Positionspapiers "Hidden Electronics II" des Elektrotechnik- und IT-Verbands VDE.

2014 habe der Anteil Europas auf diesem globalen Chipmarkt noch zehn Prozent betragen, 2019 nur noch acht Prozent, erläuterte der Autor der Publikation. Insgesamt komme Europa bei der Halbleiter-Fertigungsausrüstung auf eine Quote von unter fünf Prozent. Demgegenüber habe etwa die Zentralregierung in Peking mit dem Programm "Made in China 2025" einen starken Fokus auf die Halbleiterindustrie gelegt, die Produktionsansiedlung werde damit massiv gefördert. Die Chinesen griffen damit die Leistungselektronik und Sensorik mit auf, in der Deutschland und die EU noch stark seien.

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Für Kutter und den VDE steht damit fest: "Wir brauchen einen Masterplan 'Electronics for Europe'". Bisher gebe es hier nur Einzelprogramme wie das im Dezember neu aufgelegte europäische Förderinstitut für "Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse" (IPCEI) Mikroelektronik, aber "kein systematisches Vorgehen". Das VDE-Präsidiumsmitglied plädierte hier für eine "Industriepolitik ohne Schwarz-Weiß-Denke". Der Staat sollte dabei eine wichtige Rolle spielen und Geld in die Hand nehmen, eine Planwirtschaft sei aber nicht gefragt.

"Die Spielregeln sind nicht fair," es bestehe bei der Chip-Fertigung aufgrund des Agierens der Regierungen in den "Tigerstaaten" ein "gestörter, kein freier Markt" mehr, führte Kutter aus. In Europa gebe es zwar etwa mit Fabriken von Globalfoundries in Dresden und Intel in Irland einzelne Inseln für die Advanced-CMOS-Fertigung. Nötig seien aber deutlich mehr solcher Produktionsstätten vor Ort.

Die europäischen Verantwortlichen sollten daher mit großen Herstellern in Asien wie TSMC aus Taiwan oder Samsung aus Südkorea reden, damit diese "hier zumindest Werke bauen", betonte der Professor. Die Politik müsse diese Firmen "nach Europa locken", um das nötige Know-how und die Produktionstechnik hier prinzipiell verfügbar zu halten. Keinen Sinn ergebe es dagegen, "dass der Staat Fabriken baut". Ob eigene einschlägige europäische Chip-Fabrikanten nötig seien, stelle "eine andere Diskussion" dar.

Die Frage nach der technologischen Souveränität Europas gerade im Bereich Mikroelektronik fundamental, heißt es in dem Papier. Ziel müsse es sein, essenzielle Teile der Wertschöpfungskette "ins eigene Land" zu holen. Europas Industrie könne sich nicht darauf verlassen, dass der Zukauf wesentlicher elektronischer Komponenten in der weltweiten Zulieferung immer funktioniere. Für Elektronikprodukte, die auf dem europäischen Markt verkauft werden, sollte ein gewisser Wertschöpfungsanteil in Europa eingefordert werden. Die Bundesregierung legte im November ein 400 Millionen Euro schweres einschlägiges Rahmenprogramm mit Fokus auf Speicherchips und Prozessoren auf.

Kutter warb auch dafür, größere Risiken in der Forschung zuzulassen. Oft seien Förderprogramme nur auf drei Jahre angelegt. In so kurzer Zeit könne man "keine disruptiven Entwicklungen machen". Beim Heranziehen von Nachwuchs und Firmengründen "müssen wir unbedingt nachlegen", betonte der Wissenschaftler zudem. Es gelte angesichts des Fachkräftemangels, mehr junge Menschen für ein einschlägiges Studium zu begeistern.

Die aktuelle Chip-Knappheit in der Autoindustrie brachte Kutter nur am Rande mit der Halbleiterfertigungsmisere in Europa in Verbindung. Die Branche verstehe es eigentlich recht gut, genügend vorzuproduzieren und nötige Teile auf Lager zu halten. Dafür brauche sie keine europäischen Chip-Werke. Offenbar sei durch die Corona-Pandemie hier aber etwas durcheinandergeraten.

Prinzipiell habe die Autoindustrie hierzulande bislang sogar eine "perfekt ineinander greifende Wertschöpfungskette", meinte der Experte. Zulieferer wie Bosch arbeiteten bei der Sensorik etwa mit ABS und elektronischen Stabilitätsprogrammen "eng verschränkt" mit den Kfz-Bauern. Das Auto von morgen werde aber vor allem ein Computer auf Rädern sein: "Da sind wir nicht die stärksten." Wer die erforderliche Rechnertechnik fertige, dürfte hier künftig reüssieren.

Weniger schwarz sieht in diesem Sektor Hans Schotten, Vorsitzender der Informationstechnologischen Gesellschaft im VDE (ITG). Jenseits der aktuellen "Planungskrise" gebe es rund ums Auto ein "gutes Miteinander unterschiedlicher Branchen". Eine globale 5G-Organisation für die Kommunikation zwischen Fahrzeugen sei etwa aus einem deutschen Forschungsprojekt entstanden. China und Südkorea schauten aber sicher genau hin, wo in Europa die Lieferketten in der Corona-Krise empfindlich seien.

Schotten verdeutlichte, dass die Mikroelektronik und vergleichbare Basistechnologien wie die Photonik eine "hohe strategische Bedeutung" hätten. Sie wirkten hinein in zahlreiche andere Technologien und Branchen angefangen vom autonomen Fahren über den Mobilfunk und die Künstliche Intelligenz bis zur "Konnektivität in der Industrie 4.0". Mit der Trump-Regierung habe sich aber der geopolitische Kontext mit einem handfesten Handelskrieg verschärft, während China & Co. auf "technologische Hegemonie" aus sein.

Für den wissenschaftlichen Direktor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) ist es daher unerlässlich, in Europa Versorgungssicherheit herzustellen. "Es geht nicht um Autarkie oder das Aus für globale Ökosysteme", unterstrich Schotten. Europa müsse aber Green Deal gestalten, Partizipation und Datenschutz bewahren und Arbeitsplätze erhalten können. Chipfabriken in Europa könnten hier viele Risiken ausschließen, die derzeit etwa eine gewisse Klumpenbildung bei der Fertigung in Ländern wie Taiwan mit sich brächten.

Große Chancen für den hiesigen Wirtschaftsstandort sieht der VDE in der photonisch-elektronischen Integration in Zukunftsfeldern wie Kommunikation, Industrie 4.0 und Mobilität. Auf diesem derzeit weltweit 34 Milliarden US-Dollar umfassenden Markt für Photonik hätten deutsche Firmen ungefähr 15 Prozent Anteil, berichtete mit Christian Schäffer der Autor eines weiteren Positionspapiers zu diesem Thema. Fünf von zehn Netzwerkbetreibern machten Forschung und Entwicklung in Deutschland. Das Rennen mit China, Japan und den USA sei daher noch nicht ausgemacht.

Schon bis 2022 werde der Datenverkehr im Internet laut Studien vor allem aufgrund von Video und Streaming auf 4,8 Zettabytes pro Jahr steigen, konstatierte Schäffer. Datenübertragung in der Cloud sei optisch, die Verarbeitung elektrisch. Das heiße: "Wir brauchen jede Menge Wandlungen." In jedem einzelnen Rechenzentrum von Amazon, Microsoft, Google & Co. lägen eine Million optischer Verbindungen, rund 20 Millionen US-Dollar für Transponder seien verbaut. Diese seien wiederum mit optischen Übertragungsstrecken nach außen per Glasfaser verknüpft.

Der Datentransport ist laut dem Hamburger Hochfrequenztechniker am besten über eine "Konvergenz photonischer und elektronischer Technologien" zu bewerkstelligen. Er beschreibt in seinem Papier dazu etwa die Forschung an Transceiver-Chiplets für elektronische "System-in-Package", "100 Gigabit Coherent Tranceiver" und künftig Terabit-Receiver. Optische Schaltungen würden dabei zunehmend mit der CMOS-Technologie zusammengeführt, was die Geräte immer kleiner, energiesparender und schneller mache.

Auch optische Signalprozessoren mit einer optischen Schaltung und einer zusätzlichen elektronischen Steuerungsschicht sowie die Mikrowellensignalverarbeitung für 5G und 6G hätten großes Potenzial. Die Fähigkeit, Photonen zu verschränken oder zu rekonfigurieren, sei zudem für Quantenrechner entscheidend.

"Wir können ein sehr breites Feld an Anwendungen in fünf bis zehn Jahren erschließen", ist sich Schäffer so sicher. Günstig für Startups gestalte sich hier, dass dafür ein "Gemischtwarenladen an Materialien" nötig sei und momentan nur recht kleine Stückzahlen gefertigt werden könnten. Dies sei für asiatische Großhersteller nicht so interessant.

(mho)