MicroProfile 4.0 – ein überfälliges politisches Statement

Einen Tag vor Weihnachten, und somit noch gerade eben so im alten Jahr, wurde MicroProfile 4.0 veröffentlicht. Offiziell war dieses Release bereits für den Sommer 2020 angekündigt. Ein grundlegendes organisatorisches Alignment sorgte aber für eine fast sechsmonatige Verzögerung. Hat sich das Warten gelohnt?

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Von
  • Lars Röwekamp
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Einen Tag vor Weihnachten, und somit noch gerade eben so im alten Jahr, wurde MicroProfile 4.0 veröffentlicht. Offiziell war dieses Release bereits für den Sommer 2020 angekündigt. Ein grundlegendes organisatorisches Alignment sorgte aber für eine fast sechsmonatige Verzögerung der Java-Technik. Hat sich das Warten gelohnt?

Ein erster Blick auf die verschiedenen APIs von MicroProfile 4.0 zeigt zwar die eine oder andere sinnvolle Ergänzung, wirklich Neues oder Innovatives dagegen sucht man vergebens. Trotzdem musste die Community deutlich länger als sonst auf die neue Version warten. Und gleichzeitig gab es einen Sprung in der Major-Release-Version. Warum das?

Zum einen wurden die vier Java EE 8 APIs – CDI 2.0, JSON-P 1.1, JAX-RS 2.1 und JSON-B 1.0 – durch ihre gleichnamigen Pendants aus Jakarta EE 8 ersetzt. Gleiches gilt auch für die intern verwendete Annotation API 1.3. Parallel dazu wurden alle Abhängigkeiten der anderen MicroProfile APIs zu den eben genannten APIs aktualisiert.

Zum anderen, und das ist sicherlich deutlich gewichtiger, ist die aktuelle Version des MicroProfile das erste Release, das unter der Regie der neu geformten MicroProfile Working Group veröffentlicht wurde und somit dem ebenfalls neu definierten MicroProfile Specification Process folgt.

Als sich vor gut fünf Jahren eine Gruppe von "Interessierten" – vornehmlich Hersteller von Enterprise-Java-Application-Servern – zusammenschloss und die Initiative MicroProfile.io ins Leben rief, hat wohl kaum einer von ihnen geahnt, wie erfolgreich die Reise in den kommenden Jahren werden sollte. Angetreten mit dem Ziel, einen herstellerunabhängigen De-facto-Standard für Microservices im Enterprise-Java-Universum zu etablieren, erfreut sich das MicroProfile mittlerweile einer großen Fangemeinde.

Von Beginn an zeichnete sich die Initiative MicroProfile.io durch einen leichtgewichtigen Spezifikationsprozess, Transparenz in der Kommunikation, Herstellerunabhängigkeit und einen hohen Innovationscharakter aus. Aus der Praxis für die Praxis, so die Devise, die sich unter anderem auch in dem gelebten Implementation-First-Spezifikationsansatz widerspiegelt. Das Resultat dieses Ansatzes kann sich durchaus sehen lassen: Dreizehn Releases (inkl. MicroProfile 4.0) und somit im Schnitt zwei bis drei Releases pro Jahr, umgesetzt in bis zu zehn verschiedenen Implementierungen!

Aber mit dem wachsenden Erfolg stieg auch die Verantwortung. Reichte es anfangs noch aus, die konkreten Inhalte eines Release extrem agil, das heißt mit einem minimalen Prozess-Overhead und sehr späten Entscheidungen zu definieren, wuchs mit zunehmender Verbreitung der Wunsch nach mehr Planbarkeit innerhalb der stetig wachsenden Anwender-Community.

So kommt es nicht von ungefähr, dass sich die MicroProfile.io-Initiative in den letzten Wochen vor dem Release 4.0 – nicht auch zuletzt auf den eindringlichen Wunsch der Eclipse Foundation hin – vornehmlich mit organisatorischen Herausforderungen auseinandergesetzt hat und weniger mit der Weiterentwicklung von APIs. Im Fokus standen dabei insbesondere eine Reorganisation der ursprünglichen Initiative hin zu einer Eclipse Working Group (MicroProfile Working Group, kurz MPWG), sowie die Ausarbeitung eines Spezifikationsprozesses (MicroProfile Specification Process, kurz MPSP) für alle aktuellen und zukünftigen APIs.

Die Wesentliche Aufgabe der MPWG besteht darin, die fortwährende Weiterentwicklung des MicroProfile-Projekts für die kommenden Jahre sowohl technologisch als auch organisatorisch und finanziell zu sichern. Die Institutionalisierung der Working Group ist somit ein eindeutiges Signal der Eclipse Foundation an die Enterprise-Java-Community in Richtung Zukunftssicherheit und damit einhergehend eine Aufforderung, auch weiterhin auf den De-facto-Standard MicroProfile zur Entwicklung, zum Deployment und zum Management Coud-nativer Microservices zu setzen.

Den Kern der MPWG bildet ein Lenkungsausschuss, der sich aus verschiedenen Unternehmen und Java User Groups zusammensetzt (Atlanta JUG, IBM, Jelastic, Garden State JUG, Oracle, Payara, Red Hat, Fujitsu und Tomitribe sowie bald auch der iJUG). Zu seinen Aufgaben gehören neben der generellen zukünftigen Ausrichtung des MicroProfile insbesondere auch die Koordination der Weiterentwicklung der verschiedenen Spezifikationen.

Neben Unternehmen (Coorporate Members) und individuellen Committern (Commit Members) können auch durch den Lenkungsausschuss geladene Organisation (Guest Members) wie JUGs, R&D-Partner oder Universitäten temporär Teil der MPWG werden. Letztere werden dabei für ein Jahr eingeladen, um in dieser Zeit dedizierte Problemstellungen anzugehen oder Aktivitäten voranzutreiben. Anders als Cooperate Members und Commit Members haben Guest Members allerdings niemals Stimmrechte. Durch diesen Schritt soll es zukünftig möglich werden, punktuell Partner für bestimmte Fragestellungen mit ins Boot zu nehmen, ohne dabei die Working Group langfristig unnötig groß werden lassen zu müssen.

Weitere Details zur MPWG und deren Vision finden sich in der MicroProfile Working Group Charter.

Ein wichtiges Instrument für die Schaffung von mehr Transparenz bei der Spezifikation neuer APIs beziehungsweise der Weiterentwicklung bestehender APIs ist der zugehörige, formalisierte Prozess. Mehr Transparenz schafft eine verbesserte Planbarkeit und somit eine erhöhte Akzeptanz innerhalb der Community. Das gilt sowohl für die überschaubare Gruppe der Hersteller von MicroProfile-Implementierungen als auch für die deutlich größere Gruppe der Anwender eben dieser Implementierungen, also die Entwickler.

Während die Spezifikation neuer APIs beziehungsweise die Weiterentwicklung bestehender APIs bisher bis zum Release 3.3 eher pragmatisch und vor allem innerhalb der einzelnen APIs selbst geregelt wurden, setzt man ab Version 4.0 bewusst auf den etablierten Eclipse Foundation Specification Process v1.2 (kurz: EFSP). So verwundert es auch nicht, dass der eigentliche MPSP – in gedruckter Form – mit weniger als einer DIN-A4-Seite auskommt und neben dem Verweis auf den EFSP im Wesentlichen nur die Angabe der Zeiträume zwischen den einzelnen Prozessschritten angibt (s. Abb.).

Überblick "Eclipse Foundation Specification Process"

Noch einmal zurück zur Ausgangsfrage: Hat sich das verhältnismäßig lange Warten auf die Version 4.0 des MicroProfile denn nun gelohnt oder eher nicht?

Betrachtet man nur die politische Komponente, dann stellt das aktuelle Release wahrscheinlich einen der wichtigsten, wenn nicht sogar den wichtigsten Meilenstein seit der Einführung des MicroProfile in der Version 1.0 im September 2016 dar.

Dank neu gegründeter MicroProfile Working Group inklusive zugehörigem Spezifikationsprozess ist das MicroProfile endgültig den Kinderschuhen entwachsen und ins Lager der Erwachsenen gewechselt. Der Prozess wurde dabei bewusst so flexibel ausgelegt, dass die bisherige, erfreuliche hohe Frequenz an Releases pro Jahr nahezu unverändert beibehalten werden kann, ohne dabei an Qualität zu verlieren.

Dass der Prozess am Ende tatsächlich auch funktionieren wird, zeigt das aktuelle Release, das als eine Art internes Proof of Concept gesehen werden kann. Denn auch wenn der Fokus des MicroProfile 4.0 eher auf dem organisatorischen Alignment lag, gibt es natürlich auch die eine oder andere Änderung an den APIs. Dazu aber mehr in meinem nächsten Blog-Beitrag. ()