Marktmacht: Lieferando verdrängt Webseiten der Partner-Restaurants

Lieferando, Plattform für Essensbestellungen, hat zehntausende Domains registriert, die Restaurant-Adressen ähneln. Dürfen die das?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 565 Kommentare lesen
Mann in oranger Uniformjacke trägt eine orange Tasche

(Bild: Cineberg/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

Lieferando hat 50.000 .de-Domains registriert, die Adressen echter Restaurants teils sehr ähnlich sind. Unter 18.000 Adressen hat Lieferando Schattenwebseiten eingerichtet und nimmt dort Bestellungen für das echte Restaurant entgegen. Das Restaurant muss für jede vermittelte Bestellung Provision zahlen. Europaweit hat der niederländische Mutterkonzern Just Eat Takeaway sogar über 120.000 einschlägige Domains registriert.

Das hat der Bayerische Rundfunk (BR) recherchiert und dazu Daten des IT-Sicherheitsunternehmens Domaintools ausgewertet. Außerdem hat der BR mit Restaurantbesitzern gesprochen, die die Vermittlungsdienste Lieferandos in Anspruch nehmen. Die Gastronomen äußerten sich zwiegespalten: Einerseits dankbar, mit der Vermittlung durch Lieferando auch im Lockdown Bestellungen zu erhalten und Mitarbeiter nicht in Kurzarbeit schicken zu müssen. Andererseits beschleicht einige das Gefühl, bei der Zusammarbeit mit der Vermittlungsplattform ins Hintertreffen zu geraten.

Während manche die von Lieferando "Mini-Sites" genannten Webseiten als Werbung betrachten, sind andere darüber verärgert. Nur drei der etwa zwölf vom BR Befragten wollten offenbar ihren Namen in den Medien sehen. Die Unternehmer fühlen sich auf Lieferando angewiesen.

Die Mini-Sites bietet die Firma als "kostenlosen Service" an. Sie sind durch SEO-Optimierung sowie eine Kooperation Lieferandos mit Google bei Google-Suchen sowie in Google Maps sichtbarer als die echten Restaurant-Webseiten. Da allerdings die URL der vom Konzern registrierten Seiten oft ähnlich lauten wie bei den Originalseiten und bei Google höher gelistet sind, generieren sie dem Bericht zufolge mehr Umsatz als die Restaurant-eigenen Internetpräsenzen. Der Haken: Für Bestellungen über die Mini-Sites muss das Restaurant Provision zahlen.

Provisionen fallen "ausschließlich auf tatsächlich vermittelte Umsätze an", betont Oliver Klug, Sprecher von Lieferando Deutschland und Österreich auf Nachfrage heise onlines. Lieferando biete zwei Servicemodelle: Die Vermittlung von Bestellungen, und auf Wunsch zusätzlich die Organisation der Zustellung.

Dem Lieferando-Sprecher zufolge nutzen zurzeit über 90 Prozent der Restaurants den reinen Vermittlungsservice und stellen das Essen selbst zu, dafür zahlen sie 13 Prozent Provision. Der Rest nähme den zusätzlichen Logistikservice mit höheren Provisionskosten in Anspruch: Dafür würden 30 Prozent des Umsatzes fällig.

Grundsätzlich hätten alle Restaurants, für die Lieferando Mini-Sites betreibt, der Einrichtung über die AGB zugestimmt. Im Zuge des Anmeldeprozesses können Restaurantpartner laut Klug der Einrichtung einer Mini-Site auch widersprechen oder sie später offline nehmen lassen (Opt-out).

Bei der Anmeldung gebe es Beratungsgespräche, in denen Restaurants "über diesen Service und die Erstellung einer kostenlosen Domain informiert" würden. Die "kostenlose Präsenz und Sichtbarkeit" (also das Erstellen einer Mini-Site) bewirbt Lieferando in einem heise online vorliegenden "Fact Sheet". In offiziellen Stellungnahmen betont der Konzern, dass die Seiten "unseren kleinen Restaurantpartnern zusätzliche Umsätze verschaffen". Allerdings gilt das auch für Lieferando selbst, da das Unternehmen bei Bestellungen über die echte Webseite eines Restaurants keine Umsatzbeteiligung erhält.

Kartellrechtsexperte Professor Rupprecht Podszun von der Heinrich-Heine-Universität hält die Geschäftspraxis Lieferandos laut BR für unfair. Das Bundeskartellamt hat angegeben, die Marktentwicklung zu beobachten. Einzelne Vertragsbestandteile würden erst in Summe kartellrechtliche Fragen aufwerfen.

Kritisch sehen die Experten die Verpflichtung für Restaurants, stationär die gleichen Preise zu verlangen wie online. Gegenüber einzelnen Restaurants habe Lieferando nicht zuletzt durch den Lockdown und seine Zusammenarbeit mit Google eine deutlich höhere Marktmacht. Am kritischsten äußerte sich dem BR gegenüber die Vorsitzende des Dehoga (Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands), die bei Lieferando "nahezu monopolistische Strukturen" und bei ihren Mitgliedern eine "brutale Abhängigkeit" von der Plattform ausmacht.

Der Lieferando-Sprecher hat heise online gegenüber zu diesen Vorwürfen schriftlich Stellung bezogen: In Deutschland gebe es verschiedene Anbieter, und Gastronomen müssten Lieferandos Dienste nicht in Anspruch nehmen. Die, die es tun, täten es jedoch gerne und profitierten dabei von der hohen Nachfrage über Lieferandos Marktplatz.

Nach eigenen Angaben vermittelt Lieferando durchschnittlich 100.000 Euro Umsatz pro Restaurant und Jahr. Monatlich kämen rund 11 Millionen Bestellungen zusammen. Seit Beginn des zweiten Lockdowns am 1. November 2020 hat Lieferando klassischen Bewirtungsrestaurants, die sich neu anmelden, vier Wochen lang kostenfreie Vermittlung und Lieferfahrten angeboten. Seit März 2020 ist die Provision für abgeholte Bestellungen ausgesetzt, und von der Pandemie stark betroffene Restaurants können einen Zahlungsaufschub beantragen.

(sih)