Edit Policy: Brockhaus-Deal – digitale Bildung vs. Lebensrealität in Deutschland

Digitale Bildung wurde in Deutschland lange vernachlässigt. In der Corona-Krise soll sich das ändern, doch die Politik schafft neue Probleme, findet Julia Reda.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Felix Reda
Inhaltsverzeichnis

Diese Entscheidung steht sinnbildlich für den Stand digitaler Bildung in Deutschland: Das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen gibt 2,6 Millionen Euro für eine Dreijahreslizenz des Brockhaus Online-Nachschlagewerks aus. Das Paket digitaler Lernmittel umfasse neben der Online-Enzyklopädie ein Jugend- und Kinderlexikon sowie Online-Kursmaterial zum richtigen Recherchieren, gab das Ministerium in einer Pressemitteilung bekannt.

Die Meldung hat vergangene Woche Spott und Unverständnis ausgelöst – Brockhaus schaffte es zeitweilig in die deutschen Twitter-Trends, der Wikimedia Deutschland e.V. stellte die berechtigte Frage, warum die öffentliche Hand stattdessen nicht in freie Bildungsinhalte investiert, und die Landtagsfraktion der Grünen NRW stellt in mehreren kleinen Anfragen unter dem Titel „Digital lernen im Ledereinband“ kritische Fragen über den tatsächlichen Bedarf an den Inhalten und das Vergabeverfahren.

Kolumne: Edit Policy

(Bild: 

Volker Conradus, CC BY 4.0

)

In der Kolumne Edit Policy kommentiert der ehemalige Europaabgeordnete Felix Reda Entwicklungen in der europäischen und globalen Digitalpolitik. Dabei möchte er aufzeigen, dass europäische und globale netzpolitische Entwicklungen veränderbar sind, und zum politischen Engagement anregen.

Klar ist, Deutschland hat die digitale Bildung jahrelang vernachlässigt. Das fällt uns jetzt in der Coronakrise auf die Füße, die meisten Schulen waren auf eine plötzliche Umstellung auf Distanzunterricht nicht vorbereitet. Insofern ist es begrüßenswert, wenn die öffentliche Hand nun in digitale Bildung investiert. Es stellt sich jedoch die Frage, warum der Fokus nicht darauf liegt, die Vorteile digitaler Bildung zu nutzen, anstatt neue Probleme zu schaffen.

Einmal gekaufte Schulbücher auf Papier kann eine Schule so lange nutzen, bis sie altersbedingt auseinanderfallen oder die Informationen so veraltet sind, dass eine Neuauflage notwendig wird. Je nach Schulfach kann das deutlich länger als drei Jahre dauern. Eigentlich sind digitale Bildungsinhalte hier in jeder Hinsicht im Vorteil, weil beliebig viele Kopien angelegt werden können, weil sie keine Gebrauchsspuren tragen und laufend aktualisiert werden können – die Wikipedia ist dafür das beste Beispiel und nicht erst seit Corona aus der Schulbildung nicht mehr wegzudenken.