Ade, du schöner Schaltstern

Vor 25 Jahren präsentierte Kurt Gscheidle, der damalige Bundesminister für Post- und Fernmeldewesen, erstmals den "Bildschirmtext" der Öffentlichkeit.

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Von
  • Detlef Borchers

Vor 25 Jahren am 27. August lud Kurt Gscheidle, der damalige Bundesminister für Post- und Fernmeldewesen, die Presse zur IFA nach Berlin ein, um erstmals den "Bildschirmtext" der Öffentlichkeit zu präsentieren. "Bildschirmtext bietet uns die einmalige Chance, unsere komplexe Welt transparenter werden zu lassen", hieß es in der Einladung, die ein System anpries, "das alle Voraussetzungen besitzt, die Bedeutung des Fernsprechnetzes für die Übermittlung von Informationen, für die Verbesserung und Erleichterung des Zusammenwirkens der Menschen und der Institutionen in unserem Lande und über alle Grenzen hinweg wesentlich zu erhöhen."

In einer tabellarischen Liste der Anwendungen, die vom neuen Bildschirmtext-System angeboten werden sollten, finden sich so moderne Dinge wie landesweite IQ-Tests, programmgeführte Rentenberechnungen und "briefähnliche Mitteilungen der Benutzer" sowie das "rechnervermittelte Gesellschaftsspiel Labyrinth". Daneben tauchen aber auch schon 1977 die Dinge auf, die Btx viel später populär werden ließen, die Abfrage des Kontostandes und den "Telekauf per Schaltstern" -- so wurde damals die Tastenkombination *# genannt, mit der Online-Anbieter erreichbar waren.

Was auf der IFA 1977 gezeigt wurde, war eine englische Erfindung, die der Ingenieur Sam Fedida vom Post Office Resarch Centre "Viewdata Timesharing Common Carrier" nannte, eine Kreuzung von Computerterminal und Fernseher. Seine Erfindung wurde bald in Prestel ungetauft, nach der Klötzchengrafik, die das System produzierte. In England wurde seine Idee sofort patentiert, weshalb das Patent heute abgelaufen ist. In Amerika gab es kein Patent, weil Fedida vergaß, den Patentantrag ausreichend zu frankieren. Es wurde später nachgereicht und war bis vor kurzem strittig. Erst vorletzte Woche verlor die British Telecom als Rechtsnachfolgerin in den USA einen Streit um dieses Patent, mit dem sie von allen Lizenzen für Hyperlinks im Web einforderte.

Aus prinzipiellen Erwägungen heraus wollte die Deutsche Post aber nicht das in Berlin auf der IFA gezeigte englische System als Bildschirmtext benutzen. Zu den Anbietern eines nationalen Systems zählte etwa SEL, das ein eng vermaschtes Rechnernetz von 300 Systemen vorsah, in die sich die künftigen Btx-Terminals einwählen sollten. Zur Überraschung vieler Beobachter gewann aber die Firma IBM den Auftrag, weil sie mit erheblich weniger Großrechnern auskommen wollte und überdies eine zügige Abwicklung des Entwicklungsprojektes versprach. In diesem Punkte war der Start des deutschen Btx eines der größten Desaster im Projektmanagement: Nicht etwa 1978, sondern erst 1982 konnte Btx den Regelbetrieb aufnehmen. Die Schadensersatzzahlungen der IBM sollen um 30 Millionen Mark gelegen haben.

Nach den Plänen der Post sollte der Telekauf per Schaltstern das Projekt finanzieren. Angeregt durch eine Fernsehsendung, sollte der Zuschauer zur Tastatur greifen und umgehend die tollen Waren bestellen können, die er gerade gesehen hatte. Großversendern wie Quelle wurde Btx als "elektrischer Fernkatalog" schmackhaft gemacht. 1989 sollte Btx mit drei Millionen Teilnehmern kostendeckend arbeiten und obendrein für alle Bundesbürger mit Telefon kostenlos erhältlich sein: Die Post wollte Prozente aus dem Bestell-Geschäft nehmen und damit glücklich werden. Es kam etwas anders: Im Frühjahr 1989 hatte Btx annährend 150.000 Teilnehmer, die 3-Millionen-Marke konnte erst zehn Jahre später von T-Online übersprungen werden. Bis zu seiner Abschaltung war Btx ein Zuschussgeschäft -- machte dafür gleich zum Start Schlagzeilen mit dem ersten öffentlichkeitswirksamen Hack des Chaos Computer Club. (Detlef Borchers) / (jk)