Der Arbeitsplatz und die Standortfrage: Als Profi in die Provinz?

München oder Mulfingen, das ist die Frage: Was unterscheidet den Arbeitsplatz auf dem flachen Land von dem in der Metropole, wie schlagen sie sich im Vergleich?

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(Bild: Mulfingen im Hohenlohekreis, Blick aus dem Westen, von Jagstberg. Harke (CC BY-SA 3.0))

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

In Mulfingen hat ein König der Lüfter seinen Sitz. Die Firma ebm papst zählt zu den Weltmarktführern in der Herstellung von Ventilatoren für Kühlschränke, Heizungsanlagen und Computer. ebm ist die Abkürzung für Elektrobau Mulfingen, der Zusatz papst kam als Appendix durch eine Firmenübernahme dazu. Mit Rom hat das nichts zu tun. Mulfingen liegt in der Region Heilbronn-Franken. Das ist flaches Land und große Städte sind weit weg.

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Die Gemeinde hat mit rund 3.600 Einwohnern so viele Bewohner wie ebm papst Mitarbeiter in seiner Firmenzentrale. Insgesamt sind es weltweit 16.000 Beschäftigte und der Umsatz lag zuletzt bei knapp 2,2 Milliarden Euro. Als Unternehmen ist ebm papst eine große Nummer, der Firmensitz aber ist in tiefster Provinz. Bergen Orte wie Mulfingen für die Beschäftigen Vor- oder Nachteile und wer passt am besten in die Stadt, wer aufs Land?

"Das ist vor allem eine Typfrage", sagt Jutta Boenig, Vorsitzende des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung mit eigenem Beratungsunternehmen am Bodensee. Auf dem Land ist es gemütlicher, die Menschen sind sich näher, in der Stadt ist man sehr schnell sehr einsam. "Bevor man in die Stadt oder aufs Land zieht, sollte deshalb klar sein, was man fürs Leben braucht", sagt Boenig. Ruhe oder Trubel, Wohlfühlinsel oder Raum für Eroberungen. Mitarbeiter auf dem Land sind ihrem Arbeitgeber treu und loyal, in der Stadt wechseln sie häufiger, was an einem größeren Jobangebot liegt. "Ballungszentren machen es möglich zu wechseln, ohne umziehen zu müssen", sagt Boenig. Auf dem Land geht das häufig nicht.

Familien bietet die Provinz mit bezahlbarem Wohnraum mehr Lebensqualität, Singles profitieren vom Freizeitangebot in Städten. "Beim Gehalt gibt es in global tätigen Konzernen zwischen Stadt und Land keine großen Unterschiede", sagt Boenig. Deshalb haben Mitarbeiter auf dem Land mehr von ihrem Geld.

Das war ein Grund für den Informatiker Daniel Hansel, 44, von einem bekannten IT-Unternehmen in Böblingen nach Mulfingen zu ebm papst zu wechseln. "Im Großraum Stuttgart sind die Immobilienpreise dermaßen hoch, dass eine eigene Wohnung oder gar ein Einfamilienhaus für Familien oft unerreichbar sind", sagt Hansel. Er hat seine Frau in Böblingen kennengelernt, sie haben eine Familie gegründet und wollten etwas Eigenes.

Weil seine Partnerin aus der Gegend um Mulfingen stammt, hatten sie in die Region regelmäßig familiären Kontakt. Bei einem dieser Treffen wurde Hansel von einem Gruppenleiter aus der IT-Abteilung von ebm papst gefragt, ob er Interesse an einem Wechsel hätte. Hansel war damals schon auf der Suche nach einem anderen Arbeitgeber, denn bei seinem fühlte er sich zunehmend unwohl.

Das erste Vorstellungsgespräch bei ebm papst fand Hansel schon gut und als ein zweites vereinbart wurde, damit er das Team und dessen Mitglieder ihn kennenlernen konnten, "hat mir das sehr imponiert". Dass nicht ausschließlich aus unternehmerischer Sicht, sondern auch nach menschlichen Aspekten Entscheidungen getroffen werden, kannte er von seinem damaligen Arbeitgeber nicht. Dort ist IT der Zweck des Geschäfts, bei ebm papst ist die IT das Mittel zum Zweck.

"Deshalb habe ich befürchtet, fachlich weniger gefordert zu sein", sagt Hansel. Erlebt hat er genau das Gegenteil, denn während er in Böblingen überwiegend programmiert hat, kamen bei ebm papst Hardware und die Anwender dazu. "Meine Arbeit ist umfassender und abwechslungsreicher geworden", sagt Hansel. Er ist im sechsten Jahr bei ebm papst und dort für die Administration des High Performance Computing zuständig.

Seine Frau ist Erzieherin und weil die genauso gesucht sind wie Informatiker hat sie leicht und schnell auch eine Stelle im Hohenlohischen gefunden. Die Familie hat inzwischen nicht weit von Mulfingen ein eigenes Haus. "Alles was in Böblingen schlecht und unbezahlbar war, wurde hier gut und möglich", sagt Hansel. Mit dem Umzug aus der Metropole in die Provinz hat sich bei ihm vieles zum Positiven verändert.

Von den 3.600 Mitarbeitern am Stammwerk in Mulfingen sind etwa zwei Drittel Einheimische und die arbeiten überwiegend in der Produktion. Die anderen kommen von auswärts oder sind wegen der Arbeit zugezogen. "Wir finden die von uns gesuchten Mitarbeiter, tun uns aber auch bei denen schwer, wo andere auch länger suchen müssen", sagt Personalreferentin Irina Windsheimer. Kaufmännisches Personal gibt es genügend, IT-Spezialisten zu wenig.

Um für Mitarbeiter attraktiv zu sein, bietet ebm papst so manches Bonbon. "Neben vielen Sozialleistungen und werkseigenen Buslinien haben seit einigen Wochen eine Betriebsvereinbarung für mobiles Arbeiten", sagt Windsheimer. Alle Mitarbeitenden, deren Job es zulässt, dürfen das bis zu 80 Prozent ihrer Arbeitszeit mobil tun.

In Summe sind das die rund 1.600 Beschäftigten in administrativen Jobs. "Das Angebot wirkt ziemlich gut nach Außen und wird intern intensiv angenommen", sagt Windsheimer. Mobiles Arbeiten ist in Mulfingen mehr als Homeoffice, nämlich von überall möglich.

Mit solchen Angeboten lassen sich gute Mitarbeiter auch in begehrten Berufen aufs Land locken. "Allerdings hapert es an der IT-Infrastruktur in der Region", sagt Gerald Fichtner, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Industrie- und Handelskammer Heilbronn-Franken. Die ist für die Region Hohenlohe zuständig. Weil es häufig keine Glasfasernetze dort gibt, legen die Firmen diese selbst. Bei ebm papst sind es am Hauptsitz etwa 10 Kilometer zwischen den Werken gewesen.

Auf den Dörfern rund um Mulfingen ist die Verbindung eher mäßig, mobiles Arbeiten daher technisch mitunter nicht möglich. "Aufgrund schlechter Internetverbindungen setzten Firmen Kuriere ein, die USB-Sticks zwischen den Betriebsstätten hin und her fahren", sagt Fichtner. Das hört sich nach technischer Steinzeit an und dennoch ist Hohenlohe eine der erfolgreichsten Wirtschaftsregionen Deutschlands mit einer Vielzahl an bekannten und weniger bekannten Weltmarktführern. Dazu zählen die Befestigungsspezialisten Würth und Berner sowie mit Ziehl-Abegg ein weiterer Ventilatorenhersteller mit Weltrang. Was all diese Firmen eint, ist ihre hemdsärmelige Art Probleme selbst zu lösen, anstatt lautstark nach Hilfe zu rufen.

Machen anstatt lang diskutieren, das ist der wohl wichtigste Unterschied zwischen Firmen in Metropolen und auf dem Land. Wer das mag, ist in Mulfingen sicher besser aufgehoben als in München.

(axk)