KI-Forschung: Wenn der Computer widerspricht​

Ein Team von IBM forscht an einer debattentauglichen Künstlichen Intelligenz. Noch behält der Mensch in der Debatte die Oberhand.​

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(Bild: MikeDotta/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Ein israelisch-irisches Forschungsteam will künstlichen Intelligenzen (KI) das Debattieren beibringen. Angesichts des aktuellen Entwicklungsstandes beim automatischen Textverständnis – etwa beim Übersetzen und Zusammenfassen von Texten oder bei Dialogsystemen – mag das Vorhaben vermessen erscheinen. Müssen Computernutzer künftig mit Widerspruch rechnen, wenn sie bestimmte Webadressen aufrufen oder gar ihren Rechner ausschalten wollen?

Nein, stellt das 53-köpfige Autorenteam der KI-Forschungslabore von IBM in Israel und Irland in seiner Studie, die jetzt in der aktuellen Ausgabe von Nature erschienen ist, gleich zu Beginn klar. Das "Project Debater" genannte System könne dem Menschen beim Argumentieren noch nicht das Wasser reichen. Projektleiter Noam Slomin räumte nach der ersten öffentlichen Konfrontation von Project Debater mit einem menschlichen Kontrahenten (siehe Video) ein, dass die rhetorischen Fähigkeiten des Systems hinter denen eines erfahrenen Diskutanten zurückblieben.

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Slomin hob aber hervor, dass Project Debater aus einer umfangreichen Sammlung von etwa zehn Milliarden Sätzen nicht nur die für das Thema relevanten identifizieren, sondern sie auch zu einem sinnvollen Narrativ zusammenfügen könne. Alles in allem, resümieren die Wissenschaftler jetzt in ihrer Studie, zeige das seit 2012 entwickelte System in der Debatte mit Menschen eine "respektable" Leistung.

Erreicht wird das durch einen modularen Aufbau. Angesichts der vielfältigen Fähigkeiten, die in einer Debatte gefordert sind, sei eine monolithische Lösung abwegig gewesen, schreiben die Forscher. Als Hauptkomponenten von Project Debater nennen sie Argument Mining, Argument Knowledge Base, Argument Rebuttal und Debate Construction.

Für das Argument Mining, also die Suche nach Argumentationen, wird zunächst offline eine Datenbank aus etwa 400 Millionen Zeitungsartikeln durchsucht und indiziert. Auf diesen Index greift das System dann online zu, sobald das Diskussionsthema bekannt ist, und bringt mögliche Argumente hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Thema mithilfe einer Kombination aus Lernverfahren und wissensbasierter Methoden in eine Rangfolge.

Die Wissensbank (Argument Knowledge Base) enthält Argumentationsmuster, die für eine breite Palette von Themen gültig sein können. Die hier gespeicherten Texte sind manuell von Menschen verfasst und thematisch geordnet. Beide Module, Argument Mining und Wissensbank, stellen wiederum dem dritten Modul (Argument Rebuttal) mögliche Erwiderungen auf Argumente des Gegners zusammen. Das vierte Modul (Debate Construction) schließlich formt daraus einen schlüssigen Text.

Die Leistungsfähigkeit des Systems zu messen sei schwierig, betonen die Forscher. Anders als etwa bei Computerspielen gebe es bei Debatten keine klaren Gewinner oder Verlierer. Ein Vergleich mit anderen Systemen sei zudem nicht möglich, weil es solche Systeme noch nicht gebe. Bei Einzelaspekten, etwa dem Verfassen der Eröffnungsrede, schneide Project Debater indessen besser ab als andere Ansätze.

Aber auch ohne harte Daten zeigt allein die im Video festgehaltene Debatte über die öffentliche Finanzierung von Vorschulen, wie sprachgewandt das System bereits auf dem gegenwärtigen Stand der Entwicklung argumentiert. Angelehnt an das im angelsächsischen Raum gängige Format "Parliamentary Debate Style" haben die Diskutanten 15 Minuten Zeit, sich auf das Thema vorzubereiten, danach je vier Minuten für eine Eröffnung und eine Erwiderung sowie zwei Minuten für eine Abschlussrede.

Das Publikum wird vorher und danach aufgefordert, über das kontroverse Thema abzustimmen. Als Sieger der Debatte gilt die Partei, der es gelingt, mehr Zuschauer auf die eigene Seite zu ziehen. Im Falle der ersten öffentlichen Debatte von Project Debater war das Harish Natarajan, Sieger der European Universities Debating Championship von 2012 und Finalist der World Universities Debating Championships von 2016.

Bei allen derzeit noch bestehenden Unzulänglichkeiten zeichnet sich die Entwicklungsrichtung aber deutlich ab. Zwar betonen die Forscher, dass es nicht darum gehe, den Computer besser argumentieren zu lassen als Menschen. Vielmehr solle das System Menschen helfen, zu besser fundierten Entscheidungen zu kommen. Klar ist aber auch: Der Computer, der gegenüber dem Menschen alle Register zieht und auch nicht davor zurückschreckt, ihn mit weinerlicher Stimme anzuflehen, nicht den Aus-Knopf zu betätigen, wird nicht für alle Zeiten Science-Fiction bleiben.

(vbr)