Embodied Intelligence: Leben schaffen und mit dem Fly Jacket ins Wood Wide Web

Wie können Roboter zum "Leben" erweckt werden, was ist mit "Brooks Saft" und wie lässt sich die Drohnensteuerung vereinfachen? Erste Ansätze sind hoffnungsvoll.

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Dem Roboter "Alter" wollen Forscher "Leben" einhauchen.

(Bild: Justine Emard (Screenshot))

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Unter dem Begriff Embodied Intelligence vereint sich eine Vielzahl verschiedener Forschungsansätze aus der Neurowissenschaft und Biologie ebenso wie aus der Informatik und Robotik. Gemeinsam ist ihnen die Annahme, dass der Körper das Gehirn formt und das Denkvermögen aus den komplexen Interaktionen von Körper, Gehirn und Umwelt erwächst. Ein internationaler Workshop zu dem Thema erlaubt jetzt Einblicke in die Vielfalt der Zugänge zu diesem Forschungsgebiet.

In einer Zusammenfassung des ersten Konferenztages betonte Fumiya Iida (Cambridge University), Organisator des International Workshop on Embodied Intelligence, dass dieser Blick auf Intelligenz und Kognition geeignet sei, gegenwärtige Probleme der Forschungen zu Künstlicher Intelligenz (KI) zu lösen. Dazu zählte er insbesondere die in den Datengrundlagen für Lernsysteme enthaltenen Vorurteile, die mangelnde Zuverlässigkeit von KI-Systemen wie auch die Frage nach deren langfristiger Ausrichtung. Die gegenwärtig viel diskutierten Verfahren des Deep Learning seien zu eng gefasst, so Iida. Der Schlüssel zum Verständnis des Bewusstseins sei die Einbeziehung des Körpers.

Takashi Ikegami (University of Tokyo) geht noch einen Schritt weiter: Er sei auf der Suche nach "Brooks Saft", sagte er in seinem Plenarvortrag. Damit ist, in Anlehnung an eine Äußerung des Robotikforschers und frühen Vertreters der Embodied Intelligence Rodney Brooks, das Bindeglied zwischen Leben und Nicht-Leben gemeint, der "letzte Tropfen, der den Roboterstaubsauger zum Leben erweckt", wie Ikegami es bildhaft ausdrückte. Um diesem Geheimnis des Lebens auf die Spur zu kommen, hat er gemeinsam mit Hiroshi Ishiguro (University of Osaka) den humanoiden Roboter Alter gebaut, der durch gekoppelte chaotische Oszillatoren (inspiriert von dem Chaosforscher Otto Rössler) gesteuert wird, durch Imitation lernt und in Darwinscher Evolution ein Gedächtnis entwickelt. Die mittlerweile dritte Version von Alter dirigierte im Frühjahr 2019 die Japanischen Philharmoniker Düsseldorf.

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Ikegami ist überzeugt: "Der Geist der Maschine wird nicht durch einen Algorithmus erzeugt. Die Maschine wird vielmehr durch die Interaktion mit Menschen damit angesteckt. Meine Antwort auf die Frage nach Brooks Saft ist daher ein Imitationsspiel zwischen Mensch und Maschine. Das ist eine Panspermien-Hypothese des menschlichen Geistes. Darüber, wie er ursprünglich entstanden ist, kann ich nicht sagen." Gleichwohl, so Ikegami, könne das Imitationsspiel mit dem Roboter als eine Art Turing-Test ohne Sprache verstanden werden: Kann ein menschlicher Beobachter unterscheiden, ob der Roboter autonom agiert oder von einem Menschen gesteuert wird?

Aber es geht ja nicht allein um den menschlichen Geist. Bereits am ersten Tag des Workshops hatte Yasuo Kuniyoshi (University of Tokyo) vor einem zu sehr auf den Menschen bezogenen Verständnis von Intelligenz gewarnt. Und auch am zweiten Tag wirkte diese Mahnung wieder eher überflüssig: So bezieht etwa Dario Floreano (EPFL) viel Inspiration für die Gestaltung und Kontrolle von Drohnen von Insekten und Vögeln. Drohnen seien schwierig zu kontrollieren, müssten zugleich aber auch so leicht wie möglich sein, sodass sie nicht mit beliebig großen Computern ausgestattet werden könnten. Es biete sich daher an, die Kontrolle so weit wie möglich in den Körper selbst zu verlagern.

Dafür wurde zum einen versucht, die extrem effizienten Facettenaugen von Insekten mit einer Compound-Kamera nachzubilden. Ein erster Prototyp arbeitete mit sieben Kameras, die von lediglich zwei Neuronen und 20 Zeilen C-Code gesteuert wurden. Daraus ging eine Version mit 700 Augen hervor, die bei einem Gewicht von 0,36 Gramm in der Lage war, einer Starrflügeldrohne eine visuell gesteuerte Präzisionslandung zu ermöglichen. Ebenfalls inspiriert durch Insekten, die Kollisionen etwa mit Fensterscheiben problemlos verkraften, ist eine Multikopterdrohne, die, durch eine nachgiebige Drahtumhüllung geschützt, durch einen Wald fliegen kann, ohne Zusammenstöße mit Bäumen fürchten zu müssen.

Um die Entscheidung für Starrflügler oder Rotorflügler, die jeweils ihre Vor- und Nachteile haben, zu umgehen, haben Floreano und seine Kollegen sich wiederum an Raubvögeln orientiert, die ihren Körper den jeweiligen Anforderungen anpassen können, und eine Morphing Drone entwickelt. Auch für die Steuerung solcher Flugroboter arbeiten sie an neuen Konzepten, die den Körper stärker einbeziehen: Mithilfe eines "Fly Jacket" genannten Exoskeletts und eines Datenhandschuhs können Menschen den Flug einer Drohne durch Körperbewegungen kontrollieren, als würden sie selbst fliegen.

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Während der Wald für die Drohnenforscher lediglich eine herausfordernde Testumgebung ist, interessiert sich Barbara Mazzolai (Italian Institute of Technology) für die Bäume selbst: Anders als tierische Lebewesen würden sie über ihre gesamte Lebenszeit wachsen und dabei ihre Gestalt permanent ihrer Umgebung anpassen. Die Welt der Pflanzen biete generell viele Anregungen für neue Technologien. So ließe sich hier beobachten, wie Bewegungen ohne Muskeln möglich seien, oder durch Osmose feste, wieder lösbare Verbindungen geschaffen werden können. Von besonderem Interesse sei auch die kollektive Intelligenz eines Waldes, die durch das Kommunikationsnetzwerk der Bäume und anderen Pflanzen untereinander hervorgebracht werde. Inwieweit dieses "Wood Wide Web" als Vorbild für Roboterschwärme dienen kann, soll ab Mai 2021 im Rahmen des EU-Projekts des EU-Projekts I-Wood untersucht werden.

(olb)