Plan 9: Der Unix-Nachfolger lebt – und wechselt zur MIT-Lizenz

Namespaces, das /proc-Dateisystem, UTF8: Plan 9 hat's erfunden. Das für Forschung & Entwicklung geplante "zweite Unix" steht jetzt unter der MIT-Lizenz.

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(Bild: 9p.io / Bell Labs)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Michael Plura
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Nokia Bell Labs hat den Quellcode des Betriebssystems Plan 9 an die neu gegründete, unabhängige "Plan 9 Foundation" übertragen und dabei die Lizenz des gesamten Systems weg von der GPL2 hin zur freien MIT-Lizenz gewechselt. Der Wechsel gilt auch für historischen Code. Damit sind jetzt alle Versionen von Plan 9 (1st bis 4th Edition) als ISO-Image und als Sourcecode-Tarball auf der neuen Projektseite zum freien Download verfügbar.

Die Bell Labs (früher Bell Telephone Laboratories, kurz BTL) haben Plan 9 ab den späten 80er-Jahren entwickelt. Bei Bell Labs handelt es sich um die ehemalige Entwicklungs- und Forschungsabteilung von AT&T, die neben Plan 9 unter anderem auch Unix und die Programmiersprache C entwickelte. Mit Unix wurden auch heute noch maßgebliche Konzepte (oft nicht ganz richtig als "Unix-Philosophie" bezeichnet) eingeführt, beispielsweise das hierarchische, baumartig aufgebaute Dateisystem inklusive seiner Ordnerstruktur.

Das ursprüngliche Unix wurde später in diversen Geschmacksrichtungen weiterentwickelt, führte zu vielen kommerziellen Produkten und war Ausgangspunkt beziehungsweise Inspiration für Weiter- und Neuentwicklungen späterer Betriebssysteme. Plan 9 (tatsächlich nach Plan 9 from Outer Space von Ed Wood benannt, der immer noch als schlechtester Film aller Zeiten gilt) hingegen hat niemals große Verbreitung erfahren, war allerdings auch nie für den Massenmarkt gedacht. Vielmehr hatten die Entwickler mit diesem Betriebssystem im Sinn, die ursprünglichen Unix-Konzepte in Reinform zu implementieren – so beispielsweise auch die Idee, dass alle Ressourcen wie Dateien ansprechbar sein sollen ("Alles ist eine Datei").

Vor allem Ken Thompson, Rob Pike, Dave Presotto und Phil Winterbottom designten und entwickelten vor diesem Hintergrund ein System, das dem Benutzer sämtliche Ressourcen von verteilten Computersystemen unter einer einheitlichen Bedienoberfläche zugänglich machen sollte. Über das Standardprotokoll "9P" lassen sich dabei etwa Dateien, Prozesse, Bildschirme, Benutzer, Computer und Peripherie jeweils unter einem Dateinamen ansprechen. Aus Sicht des Benutzers gibt es auch in komplexen Netzwerken nur ein einziges großes Dateisystem, in dem alle erreichbaren Server und alle laufenden Programme als Datei oder Verzeichnis verfügbar sind.

Das sieht in der Praxis so aus: Dokumente auf anderen Systemen können wie gewohnt geöffnet, darüber hinaus aber auch dort installierte Software gestartet werden. Um die Soundkarte eines anderen Systems zu nutzen, importiert man einfach dessen /dev/audio, um dessen Netzwerkverbindung zu nutzen, greift man auf dessen /dev/network zu und um dort einen Prozess zu debuggen reicht ein Blick in dessen /proc.

Lokal betrachtet ist Plan 9 plattformunabhängig und basiert auf einem Hybridkernel. Darauf setzen lose miteinander verknüpfte (Micro-)Services auf, wobei diese nicht unbedingt auf dem lokalen System sein müssen, sondern auch auf entfernten Maschinen laufen können. Prozesse laufen in eigenen Namespaces und können so im Betrieb neu gestartet oder auf eine andere Maschine migriert werden, ohne dass dies die darauf aufsetzenden Anwendungen großartig beeinflusst.

So wie beispielsweise OpenBSD als Plattform für sicherheitstechnische Weiterentwicklungen für andere Betriebssysteme dient, hat auch Plan 9 einige wichtige Innovationen für die heutige IT-Welt geliefert: UTF8, Namespaces, das /proc-Dateisystem und einiges mehr.

Die Bedienung ist nur entfernt mit der von klassischen oder modernen unixoiden Betriebssystemen vergleichbar. Wer einen Blick auf Plan 9 werfen will, sollte sich daher unbedingt das Plan 9-Wiki anschauen und einführende Videos beispielsweise auf YouTube ansehen. Der Print-on-Demand-Dienstleister Lulu.com bietet ein etwas älteres Buch zu Plan 9 von Hans-Peter Bischof, Gunter Imeyer, Bernhard Wellhöfer und Axel-Tobias Schreiner als Gratis-Download an.

Plan 9 kann auf einigen klassischen Hardware-Plattformen zum Laufen gebracht werden; es gibt Quellcode für x86, ARM, MIPS, PPC, Dec Alpha, SPARC und ARM. Plan 9 lässt sich auch unter VMWare, QEMU, Xen und nicht ganz so gut unter VirtualBox installieren. Zur Zeit stehen auf der Plan 9-Projektseite ein offizielles ISO-Installationsimage für x86 sowie ein direkt startbares SD-Image für den Raspberry Pi B (letzteres von 2013) bereit.

(ovw)