Berufsschullehrkräfte: Aus der Industrie an die Tafel

Wenn die Wirtschaft kriselt, werden Jobs im öffentlichen Dienst interessant. Die meisten Bundesländer suchen Lehrkräfte – zum Beispiel für Informatik.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 21 Kommentare lesen

(Bild: Atelier211/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Die Zahl ist alarmierend: Bis zum Jahr 2030 geht etwa die Hälfte der rund 125.000 Berufsschullehrkräfte in Deutschland in den Ruhestand. Bis dahin werden also gut 60.000 Lehrkräfte gebraucht, um den theoretischen Teil der Ausbildung für etwa 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler aufrechtzuerhalten. Allerdings mangelt es massiv am Lehrkräftenachwuchs an den Berufsschulen.

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung ist die hohe Zahl an Ruheständlern der eine Grund für den starken Bedarf, steigende Schülerzahlen der andere. Ein Teil des Problems ist aber auch: Schon seit Jahren schaffen es die Berufsschulen nicht, ihren Bedarf mit ausgebildeten Lehrkräften zu decken. Deshalb sind Seiten- und Quereinsteiger für das Lehramt an beruflichen Schulen gängige Praxis.

Hier spielt aber auch wieder der Föderalismus eine Rolle: Bildung ist bekanntlich Ländersache. Deshalb gibt es in Deutschland genauso viele unterschiedliche Regelungen für Quer- und Seiteneinsteiger in den Berufsschuldienst wie Bundesländer. Das Wirrwar ist vergleichbar mit den unterschiedlichen Corona-Verordnungen von Schleswig-Holstein im Norden bis Bayern im Süden. Jedes Bundesland hat seine eigenen Vorschriften. Wer Lehrkraft ohne Lehramtstudium werden will, für den besteht die größte Hürde zunächst darin, herauszufinden, ob das mit seinen Qualifikationen in seinem Bundesland möglich ist. Ein Kurs im Bürokratendeutsch ist außerdem hilfreich, um nicht schon beim Schlaumachen sitzen zu bleiben.

Beispiel Quer- und Seiteneinsteiger: Das sind gängig Begriffe aus dem Schuldienst. Eigentlich könnte man meinen, dass sie aufgrund ihres Wortsinns dasselbe bedeuten – weit gefehlt. Weder Quer- noch Seiteneinsteiger haben auf Lehramt studiert. Aber im Gegensatz zu Seiteneinsteigern besteht bei Quereinsteigern die Pflicht auf den Abschluss eines Referendariats, um im Schuldienst tätig sein zu dürfen.

Seiteneinsteiger, um die es in diesem Text geht, wechseln aus ihrem Beruf direkt an die Schule. Gute Einstellungschancen bestehen, wenn sie mehrjährige Berufserfahrung haben, die in manchen Bundesländern unterschiedlich lang sein muss. Teilweise werden parallel zum Schulunterricht Qualifizierungsmaßnahmen angeboten, um schulpädagogisches Fachwissen zu erwerben. Die große Mehrheit der Länder lässt den Seiteneinstieg zu und dies für alle Schulformen, also allgemeinbildende und berufsbegleitende Schulen. In manchen Bundesländern wie Baden-Württemberg können Seiteneinsteiger ausschließlich an Berufsschulen einsteigen. Andere Bundesländer wie Bayern lassen keinen Seiteneinstieg zu, dort ist ein Referendariat Pflicht und muss vor der Übernahme in den Schuldienst absolviert werden. Und dort wo Seiteneinsteiger zugelassen sind, variieren sowohl die Einstellungsvoraussetzungen als auch die parallelen Qualifizierungsmaßnahmen.

Der Ausgangsberuf von Akademikerinnen und Akademikern spielt beim Seiteneinstieg als Berufsschullehrkraft die entscheidende Rolle. Er gibt die Fachrichtung vor, die unterrichtet wird. Besonders gefragt sind technische und sozialpädagogische Abschlüsse, weil es in diesen beiden Disziplinen an Berufsschullehrkräften am meisten mangelt. So haben Menschen mit Qualifikationen in den Bereichen Ingenieurswissenschaft, Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik gute Chancen auf eine Stelle als Berufsschullehrkraft.

Voraussetzung für den Seiteneinstieg ist immer ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit Diplom- oder Masterabschluss, ein Bachelor reicht nicht. Anschließend müssen Interessierte einige Zeit in ihrem Beruf gearbeitet haben, meist mindestens zwei Jahre. In manchen Ländern wird eine schriftliche Einstellungsprüfung durchgeführt, um die Eignung zu testen. In Hessen zum Beispiel gilt die Altersgrenze von höchstens 40 Jahren für den Einstieg. Zu Beginn des Berufsschuleinstiegs geben Seiteneinsteiger eine geringe Anzahl an Wochenstunden und nehmen parallel an einer pädagogischen Ausbildung teil. Diese Qualifizierung dauert üblicherweise um die zwei Jahre, variiert aber auch in diesem wie in allen anderen Punkten von Bundesland zu Bundesland. Für die Verbeamtung gelten wiederum eigene Regeln.

Mal kurz den Beruf wechseln und Lehrkraft werden, funktioniert nicht. Expertinnen und Experten empfehlen, sich ein Jahr Zeit dafür zu nehmen, bis die Bewerbung verschickt werden kann. Dafür gibt es Fristen, häufig im Frühjahr für das im Sommer oder Herbst beginnende neue Ausbildungsjahr. Die Bildungsministerien der Bundesländer informieren über die Voraussetzungen eines Seiteneinstiegs, teilweise freie Stellen und Weiterbildungsmöglichkeiten.

heise jobs – der IT-Stellenmarkt

Zu Arbeitsplätzen und Stellenangeboten in der IT-Branche siehe auch den Stellenmarkt auf heise online:

In Nordrhein-Westfalen steigen Seiteneinsteiger mit rund 3.670 Euro brutto monatlich in den Schuldienst ein. Eine Verbeamtung ist die Regel.

Ansgar Klinger ist im Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW für die berufliche Bildung und Weiterbildung zuständig. "Seit Jahrzehnten sind die Berufsschulen in technischen Fächern sowie in der Sozialpädagogik auf Seiteneinsteiger angewiesen, weil die Kultusminiserien es nicht schaffen, genügend junge Leute für den Lehrerberuf zu begeistern." Dass Lehrkraft sein ein gut bezahlter Halbtagsjob ist, sei längst vorbei.

"Die Arbeitsbelastung ist durch mehr Stunden deutlich gestiegen, der Unterricht in den Klassen ist schwierig, weil die größer und heterogener sind als früher. Außerdem wurden die Altersgrenzen für Ruheständler erhöht und das alles bekommen Interessenten mit und schrecken vor dem Lehrersein zurück", sagt Klinger. Für ihn, der selbst Lehrer war, ist es ein Knochenjob, zudem unterbezahlt. "Wieso sollten Ingenieure und Informatiker Lehrer werden und sich eventuell mit schwierigen Schülern ärgern, wenn sie in der Wirtschaft interessante und viel besser bezahlte Jobs bekommen?" Eine Antwort darauf ist schwer. Vielleicht ist eine, dass Lehrkraft sein, für manche Menschen der Traumberuf ist.

Klinger fordert eine einheitliche Regelung der Länder für Seiteneinsteiger in den Schuldienst. Dazu gehören eine dreijährige Berufspraxis sowie eine berufsbegleitende Ausbildung, die mit der von Lehrkräften für Schulen vergleichbar ist. "Die Qualität der Lehrer entscheidet schließlich über die Qualität des Unterrichts", sagt Klinger. Und damit über die Qualität der angehenden Facharbeiterinnen und Facharbeiter.

In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit kann der Lehrerberuf und damit der öffentliche Dienst für so manche Menschen eine überlegenswerte Alternative zur drohenden Arbeitslosigkeit sein.

(kbe)