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Was war. Was wird. Vom Megatrend zum Zukunftsministerium.

Der alte Megatrend Computertechnik heißt heute Digitalisierung. Doch selbst das ist steigerungsfähig, lernt Hal Faber: Mit dem Z-Ministerium kommt "Deep Tech".

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(Bild: ISOVECTOR / shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

"Im Banne des Z" sind nicht nur die Comicfiguren Spirou und Fantasio, sondern auch das kommende Z(ukunfts)-Ministerium: "Vorhut bei der Sicherung der technischen Souveränität" Deutschlands – muss man sich auch erst mal ausdenken.

(Bild: Spirou und Fantasio, Carlsen Verlag)

*** Philip von Battenberg, der Mann, der Bundeskanzler Helmut Kohl als "Reichskanzler" begrüßte, ist gestorben. Als Prinzgemahl diente er in der britischen Monarchie. Er ging stets zwei Schritte hinter Queen Elizabeth, doch war auf seine Weise seiner Zeit voraus. Er besaß ab 1983 eine Mailbox-Adresse bei Telecom Gold, in der alle elektronischen Geburtstagsgrüße an die königliche Familie gespeichert wurden. Vor allem Prinzessin Diana bekam zahllose Mails in diesem Prestel genannten System. Das Hacken der prinzlichen Mailbox Ende 1984 durch Robert Schifreen und Stephen Gold machte den Begriff "Hacker" in Großbritannien populär, auch wenn die beiden gar nicht wirklich hackten. Das Betriebsystem Primos auf den Prime-Computern von Telecom Gold verfügte über Standard-Passwörter für den Login als Administrator, die nicht geändert worden waren. Nach einer anderen Erzählung hatte Schifreen einem Ingenieur beim Login über die Schulter geschaut und das Passwort 1234 stibitzt. In jedem Fall konnten sich die "Hacker" anmelden und die Mailbox von Prinz Philip (und anderen) auslesen, eine Tat, für die sie nicht verurteilt werden konnten, weil man den Straftatbestand des Eindringens in Computersysteme noch nicht kannte. Erst nach dem Vorfall wurde in Großbritannien 1990 der Computer Misuse Act eingeführt, der das Hacken unter Strafe stellte.

*** Was wie eine lustige Anekdote klingt, hat einen etwas ernsteren Hintergrund: Heute vor zwei Jahren wurde der Wikileaks-Gründer Julian Assange von britischen Ermittlern auf Wunsch von US-amerikanischen Strafverfolgern aus der Botschaft Ecuadors in London geholt und in ein Gefängnis transportiert. Nach britischem Recht gilt bei Auslieferungsverfahren in die USA das Prinzip der Dual Criminality: Ein Straftatbestand muss in beiden Ländern eine Straftat sein. Bis heute streiten sich die Juristen, ob Assanges Taten überhaupt dem Computer Misuse Act entsprechen und diesem dem US-amerikanischen Computer Fraud and Abuse Act entspricht. Bekanntlich hat die Richterin im Auslieferungsverfahren geurteilt, dass Assange aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit nicht ausgeliefert wird. Dennoch ist er weiterhin in Haft, weil Fluchtgefahr angenommen wird. Das ist ein Skandal auf vielen Ebenen, auf der rechtlichen wie medizinischen Seite.

*** "In den Industrieländern haben wir zwei Arten von Wirtschaften: die alten Industrie-Wirtschaften, die am Hinschwinden sind und die man deshalb Sonnenuntergangs-Wirtschaften nennen könnte, und jene neuen, insbesondere in der Computertechnik." Dieser schlichte Satz stand 1982 in den Megatrends von John Naisbitt, der am Donnerstag am Wörthersee gestorben ist. Die Prognose des Zukunftsforschers ist unverändert gültig, nur redet man jetzt am liebsten von dieser Digitalisierung, die auch die Sonnenuntergangs-Wirtschaften erfasst und selbst in die Dunkelkammern eindringt, in denen das E-Government entwickelt wird. Seit dieser Woche haben wir es schwarz auf weiß, dass es eine Steigerungsform der Digitalisierung gibt. Sie heißt "Deep Tech"und kommt nicht von IBM, sondern von Dorothee Bär, der offiziellen Regierungsbeauftragen für Digitalisierung. Zusammen mit dem Digitalisierungs-Professor Jörg Müller-Lietzkow hat sie einen Aufsatz veröffentlicht, der das Ministerium beschreibt, das sie künftig leiten möchte.

*** Es ist ein allen anderen Ministerien vorgeschaltetes Zukunftsministerium als "Vorhut bei der Sicherung der technischen Souveränität" Deutschlands. Kostprobe gefällig, solange die Paywall steht? "Das Z-Ministerium muss Treiber und Initiator von Testfeldern, Reallaboren und Pilotprojekten sein. Diese Frühmaßnahmen werden mit den später zuständigen Ressorts inhaltlich wie in Hinblick auf gesellschaftliche und strukturelle Nachhaltigkeit. Das Z-Ministerium besetzt Themen also nicht dauerhaft, sondern führt diese bei einem gewissen Reifegrad in die Fachministerien." Von der Sprache her erinnert das Z-Ministerium an Zyklotrop, die Zyklosprache und den Zyklostrahl, von der Funktion her an Sprind, die Agentur für Sprunginnovation. Deep Tech ist, wenn sich das Z-Ministerium mit allen großen zukunftsweisenden Technologien "holistisch auseinandersetzt". Ganzheitlichkeit ist immer gut, sonst landet man beim Nepp der Luca-App. Deswegen sollen über das Auswärtige Amt Z-Scouts die Technologiezentren der Welt beobachten, im Silicon Valley, Shenzen und Tel Aviv. [i]"Neben der Erschaffung eines Z-Ministeriums müssen weitere Veränderungen angestellt werden, damit die Digital- und Zukunftspolitik an Schlagkraft gewinnt. Es braucht eine schnellere Speerspitze beim Aufgreifen zukunftsträchtiger Themen." Schnellere Speere für mehr Schlagkraft? Das ist Z-Bingo, gewonnen.

*** Mit Sahra Wagenknecht wird wohl kein Ministerium besetzt, doch hat die "Vordenkerin" der linken Sammlungsbewegung Aufstehen von sich reden gemacht. Ihr neues Buch "Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm für Gemeinsinn und Zusammenhalt" teilt ordentlich aus, gegen Fridays for Future, gegen Black Lives Matter, gegen Migranten und vor allem gegen die "Lifestyle-Linken" mit ihrer Identitätspolitik: "Wer sich auf Gendersternchen konzentriert statt auf Chancengerechtigkeit und dabei Kultur und Zusammengehörigkeitsgefühl der Bevölkerungsmehrheit vernachlässigt, arbeitet der politischen Rechten in die Hände." Auf dem Gebiet der Ökonomie gibt Wagenknecht den Gegenpart zu Dorothee Bär oder eben John Naisbitt. Da wurden nach Wagenknecht in den siebziger und achtziger Jahren noch ordentliche Industrieprodukte hergestellt, während die heutige Digitalisierung nur nutzlos und schädlich ist, weil sie nur Marketing-Blasen und Überwachungstechnologien produziere. Ein Hoch auf die Arbeiterklasse von dunnemals, die mit "Gründlichkeit, Zurückhaltung und Disziplin" punktete. Sahras Sehnsucht findet Anklang: Gestern wurde sie zur Spitzenkandidatin der Linken in Nordrhein-Westfalen gewählt. Lustig ist es, wie die Leser im "Stimmritzenverschlusslaut-Milieu" auf das Buch in den Kommentaren reagieren.

Nun gibt es nicht nur eine rückwärtsgewandte Sehnsuscht, sondern auch den tapferen Blick nach vorn. Wie sieht die Welt 2040 aus. Einige Antworten hat John Naisbitt mit seinen China-Büchern gegeben, eine weitere kommt jetzt vom National Intelligence Council der USA. Die Geheimdienste von CIA bis NSA versuchen sich alle vier Jahre an einer Prognose. Das klappt nicht unbedingt, wie in einem Kapitel über die Folgen der Corona-Pandemie selbstkritisch zu lesen ist. Dabei lag die Prognose richtig! In den 2017 veröffentlichten Global Trends ist von einer Pandemie im Jahre 2023 die Rede, die das Reisen erheblich behindern wird und die zum Absturz von Fluglinien usw. führen könne. Für die Zeit bis 2040 sind die Prognosen düster: politische Systeme werden volatiler, weil das Vertrauen der Menschen in die Politiker schwinde. Häupling Wirdsonix Laschet ist da kein Einzelfall: "This mismatch between governments' abilities and publics' expectations is likely to expand and lead to more political volatility, including growing polarisation and populism within political systems, waves of activism and protest movements, and, in the most extreme cases, violence, internal conflict, or even state collapse." ("Diese Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten der Regierungen und den Erwartungen der Öffentlichkeit wird sich wahrscheinlich ausweiten und zu mehr politischer Unbeständigkeit führen, einschließlich zunehmender Polarisierung und Populismus innerhalb der politischen Systeme, Wellen von Aktivismus und Protestbewegungen, und in den extremsten Fällen zu Gewalt, internen Konflikten oder sogar zum Zusammenbruch von Staaten.")

Kosmonauten des Realsozialismus (untergegangen): links Alexei Leonow, der am 18. März 1965 als erster Mensch einen Weltraumspaziergang absolvierte; rechts der Sandmann des DDR-Kinderfernsehens.

(Bild: Stiftung Deutsches Technik Museum)

Bekanntlich ist der real existierende Sozialismus als erster zusammengebrochen. Welche Faszination er dennoch in Gestalt des sowjetischen Raumfahrtprogramms ausübte, sollte eine Ausstellung zur kosmischen Kultur zeigen, die morgen zum Jubiläum des Weltraumfluges von Juri Gagarin starten sollte. Daraus wird vorerst nichts. Aber die Bilder sind schön von einer Zeit, die an die Zukunft glaubte. Ganz ohne Z-Ministerium.

(tiw)