Vor 40 Jahren: Erstflug des Space Shuttle – die Traummaschine geht in Dienst

Der erste Weltraumflug eines wiederverwendbaren Raumfahrzeugs begann auf den Tag genau vor 40 Jahren – anders als sonst direkt mit einer Crew an Bord.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 193 Kommentare lesen

Am 12. April 1981 um 7 Uhr morgens hebt die Columbia ab.

(Bild: National Aeronautics and Space Administration.)

Lesezeit: 40 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Sonntag, 12. April 1981, kurz vor 7 Uhr morgens Ortszeit am Kennedy Space Center, Cape Canaveral. 2700 Medienvertreter und 700.000 Zuschauer haben sich vor Ort am Cape eingefunden und hunderte Millionen (darunter auch der Autor dieser Zeilen) erwarten gebannt an ihren Bildschirmen den Beginn einer neuen Ära der Raumfahrt: zum ersten Mal soll ein fast komplett wiederverwendbares Raumfahrzeug in die Erdumlaufbahn starten. Auf den Tag genau 20 Jahre nach Juri Gagarins historischem Raumflug. Das Space-Shuttle Columbia steht auf der Startrampe 39A. Im Cockpit sitzen John Young und Robert Crippen. Nebenan von Rampe 39B war zuletzt im Juli 1975 eine amerikanische Besatzung für das Apollo-Sojus-Test-Projekt in die Erdumlaufbahn gestartet, was mir in meiner Jugend als schier endlose Phase ohne die geliebten Apollo-Flüge erschien, mit denen ich aufgewachsen war.

Es ist das erste (und bisher einzige) Mal, dass die NASA ein Raumfahrzeug beim Jungfernflug bereits mit einer Crew startet. Die NASA hatte in den Monaten vor dem Erstflug erwogen, das Shuttle fernsteuerbar zu machen (so, wie es die Sowjets später mit ihrem Buran taten), aber Young und Crippen hatten darauf bestanden, bei der ersten Mission gleich mit an Bord zu sein, weil sie auf diese Weise im Falle von Problemen flexibler reagieren konnten. Es war ein gewagtes Unterfangen, das die NASA als den kühnsten Testflug der Luft- und Raumfahrtgeschichte bezeichnet hat.

Noch nie hatte man ein vergleichbares, aerodynamisch eher suboptimales Konstrukt ins All geschossen: den Shuttle-Stack, bestehend aus einem sperrigen Orbiter mit drei mächtigen Triebwerken, die zusammen 700 Tonnen Schub lieferten, auf den Rücken eines Tanks montiert, aus dem die Triebwerke versorgt wurden; die Gesamtmasse von rund 2000 Tonnen hätte jedoch keinen Zentimeter vom Boden abheben können, wenn sie nicht durch zwei an den Tank montierte Feststoffraketen mit je 1270 Tonnen Schub unterstützt worden wären – die bis dahin größten und stärksten Raketen dieser Art, die wie Feuerwerksraketen einmal gezündet nicht mehr abgestellt werden konnten. Das Shuttle war mit mehr als 30.000 Hitzeschutzkacheln beklebt, und diese mussten die Erschütterungen des Starts und die aerodynamischen Kräfte beim Aufstieg und Wiedereintritt unbeschadet überstehen, um den Orbiter bei der Rückkehr mit Mach 25 vor dem Verglühen zu schützen. 610 Tage lang hatte die Mannschaft in der Orbiter Processing Facility damit gekämpft, die aufgeklebten Kacheln zum Halten zu bringen und damit den Starttermin um mehr als ein Jahr verzögert.

Für den 43-jährigen Robert Crippen (* 11. September 1937) würde es der erste Raumflug werden. Als Navy-Pilot ausgebildet und auf dem Flugzeugträger USS Independence im Mittelmeer stationiert, bewarb er sich zunächst bei der Air Force in Edwards, Kalifornien, für eine Ausbildung als Testpilot, und er wurde später selbst zum Ausbilder. In den 1960ern betrieb die Air Force noch ein eigenes Raumfahrtprogramm und Crippen bewarb sich 1966 erfolgreich für das Manned Orbiting Laboratory Programm (MOL), eine geplante astronautische Raumstation der US Air Force, versorgt durch Gemini-Raumschiffe, die zur Aufklärung des sowjetischen Territoriums dienen sollte. Als das Projekt 1969 gestrichen wurde, übernahm die NASA diejenige Hälfte der 14 MOL-Astronauten, die nicht älter als 35 Jahre waren, als 7. Astronauten-Rekrutierungsgruppe, darunter auch Crippen. Im Skylab-Programm und bei der Apollo-Sojus-Mission wurde er Mitglied des Unterstützungsteams, das unter anderem die Capsule Communicators (Capcoms) stellte, also die Kontaktpersonen in Houston beim Funkverkehr mit den Astronauten.

Die Crew der ersten Shuttle-Mission: Kommandant John Young (links) und Shuttle-Pilot Robert Crippen

(Bild: National Aeronautics and Space Administration)

In einem Interview verriet Crippen, dass man ihm als Neuling nahelegte, sich „freiwillig“ für den Skylab Medical Experiment Altitude Test (SMEAT) zu melden, bei dem er 56 Tage lang 70 Prozent Sauerstoffgemisch bei 1/3 Atmosphärendruck atmen musste – so wie die Astronauten es auf der Skylab-Raumstation tun würden. Außerdem wurden kleinere medizinische und zahnmedizinische Prozeduren geübt, die später auch Skylab-Astronauten möglicherweise durchführen mussten. Eine Aufgabe, die er „gerne“ übernahm. Im Shuttle-Testprogramm betreute Crippen zuerst die Familienangehörigen der Piloten, während diese mit dem Shuttle Enterprise Anflugtests durchführten und später flog er der Enterprise bei ebendiesen Tests im T-38-Jet Geleit.

John Young, 50 Jahre (* 24. September 1930, † 5. Januar 2018), war der erfahrenste Astronaut, der zu jener Zeit in NASA-Diensten weilte, weswegen er zum Kommandanten des ersten Shuttle-Flugs auserkoren wurde, obwohl er bereits eine Lesebrille benötigte – früher undenkbar für einen Astronauten. Im Rahmen der zweiten Rekrutierungsgruppe war der ausgebildete Navy-Testpilot bereits 1962 zur NASA gestoßen. Zusammen mit Kommandant Gus Grissom führte er als Pilot im März 1965 den ersten astronautischen Gemini-Flug, Gemini-3, durch und flog als Kommandant im Juli 1966 noch einmal mit Michael Collins die Gemini-10-Mission. Im Apollo-Programm flog er zweimal zum Mond: Im Mai 1969 war er Pilot des Apollo-10-Raumschiffs bei der Generalprobe für die Mondlandung, bei der er im Apollo-Raumschiff den Mond umkreiste.

Die Space Shuttle (8 Bilder)

Der letzte Start eines Space Shuttles – die Atlantis am 8. Juli 2011
(Bild: NASA)

Im März 1971 kehrte Young als Kommandant der Apollo-16-Mission zum Mond zurück und betrat ihn als neunter Mensch. Er fuhr mit dem Mondauto Lunar Rover 26 km über die Mondoberfläche und hält bis heute den Geschwindigkeitsrekord für Fahrzeuge auf anderen Himmelskörpern, sowie für den schnellsten Wiedereintritt in die Erdatmosphäre (11,083 km/s = 39897 km/h mit Apollo 10). Im Shuttle-Programm wurde er Leiter des Astronautenbüros und sorgte dafür, dass die Astronauten ein Mitspracherecht bei der Entwicklung des Shuttles bekamen. Er war als stets humorvoll bekannt. Darauf angesprochen, ob er nicht Angst vor der gefährlichen ersten Shuttle-Mission gehabt habe, meinte er trocken, dass er nicht wusste, ob die Mission gefährlich war, er hätte damals keine Daten gehabt die belegten, dass der Flug gefährlich sein könnte.