Missing Link: Spaß am Gerät - Hackerkultur in der DDR und der BRD

Hacker werden als "schillernde Vorreiter des Informationszeitalters" idealisiert. In der DDR und BRD wurden sie in gewisser Weise vom Kapitalismus geschlagen.

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(Bild: Grzegorz Czapski / Shutterstock.com)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Der Aufstieg der Figur des Hackers war Lang und beschwerlich. Heute kennt ihn jeder Mensch, wenn sie oder er im Online-Duden nachschlägt: Das Wort ist maskulin und bezeichnet schlicht und lakonisch "jemanden, der hackt". Das war 1977 ganz anders. Im Duden findet sich die Eintragung: "1.) Arbeiter im Weinberg, der Boden lockert 2.) grob unfairer, rücksichtsloser Spieler einer Dorfmannschaft". Erst im Duden von 1986 wurde es besser: "jmd., der ständig neue Computerprogramme ausarbeitet oder ausprobiert oder sich mit seinem Heimcomputer Zugang zu fremden Computersystemen zu verschaffen versucht".

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Wahlweise kann man den Chaos Computer Club mit seinem Btx-Hack oder den Film "War Games" für diesen Bedeutungswandel verantwortlich machen. Nun ist ein Buch erschienen, dass sich mit den Hackerkulturen in der BRD und der DDR befasst. Es wirft die Frage auf, ob es in der DDR Hacker gab, abseits des Fleischhackers, den das DDR-Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache aufführte.

Unter dem Titel Avantgarde der Computernutzung. Hackerkulturen der Bundesrepublik und der DDR führt die Dissertation von Julia Gül Erdogan aus, dass es in beiden deutschen Teilstaaten Hacker gab, die sich der "sub- und gegenkulturellen Computernutzung" hingaben. Die jungen Männer – Haecksen kamen erst später zum Zug – werden als "schillernde Vorreiter des Informationszeitalters" idealisiert. Schon das Titelbild des Buches parallelisiert die Computernutzung drüben wie hüben. Oben sieht man Reinhard Schrutzki, Wau Holland und den telefonierenden Steffen Wernéry, die Gründungs- und ersten Vorstandsmitglieder des Chaos Computer Clubs, aufgenommen zur Zeit des legendären NASA-Hacks anno 1987. Unten sieht man Stefan Paubel, der in den achtziger Jahren den Computerklub im 1986 eröffneten "Haus der jungen Talente" in Berlin leitete, umringt von einer Horde Jungmänner, die interessiert zwei Monitore betrachten, auf denen offenbar Computerspiele laufen.

Auch die Buchwerbung betont die Gemeinsamkeiten: "Hacker und Haecksen zählen zur Avantgarde der Computerisierung. Seit den späten 1970er-Jahren bildeten sie sich in der Bundesrepublik und in der DDR zu eigensinnigen Computernutzer:Innen mit einschlägigem Wissen heraus. Sie eigneten sich das Medium spielerisch an, schufen Kontakträume und brachten sich so aktiv in den Prozess der Computerisierung ein. Durch ihre Grenzüberschreitungen zeigten sie dabei Chancen und Risiken der Digitalisierung auf."

Ganz sicher verstanden sich die Mitglieder des CCC als kritische Computernutzer. Unmittelbar nach dem Btx-Hack reflektierten sie in einem in der Hackerbibel abgedruckten Interview über "List und Lust der Hacker" ihre Rolle als Aufklärer so: "Das als unsere Chance und Aufgabe haben wir aber erst in letzter Zeit begriffen: diesen Dunstschleier, der vor der ganzen Computerszene und vor der ganzen Computerwelt an sich steht, einfach wegzuwischen und reinzutreten manchmal, wenn's mal sein muß. Das ist jetzt schon die Formulierung dessen, was wir tun können oder könnten – soweit wir's eben schaffen, soweit es uns gelingt – als 'ne positive Chance. Eben nicht nur wie kleine Kinder mit einem neuen, schönen Spielzeug rumzuspielen, sondern auch zu überlegen, was das für Folgen hat und welche Möglichkeiten man da hat, das aufzuzeigen, möglichst exemplarisch, Möglichst plastisch und verständlich."

Für die DDR sieht das etwas anders aus. Der Begriff Hacker war zwar bekannt, aber weniger mit dem Btx-Hack verbunden. Am 7. Dezember 1986 lief im Westfernsehen der Film "War Games", der viel zur Popularisierung des Hackers beigetragen hat. Den Fummlern und Bastlern, die mit dem Ostblock-Nachbau U880, einem Klon des Z80 und CP/A, einem Klon von CP/M arbeiteten, begegnete der Begriff durch den herumgereichten Anleitungstext Sliding into BDOS von Michael J. Karas, der in der Einleitung schrieb: "The process of putting on disks and bringing up CP/M lights the torch for computer usability. In this case the hacker experiences an elated feeling now "NOW I CAN DO SOMETHING!" Ob diese Erwähnung des typischen Microcomputer-Hackers allerdings ausreichte, um sich selbst als solchen zu sehen, mag bezweifelt werden.

In dem für die c't Retro 2019 geschriebenen Text über die Freaks im Osten beschreibt René Meyer, wie in der DDR zahlreiche Computervereine gegründet wurden, aber unter die staatlicher Kontrolle standen. Dazu gab es zahlreiche Auszeichnungen auf Jugendcomputerolympiaden zu gewinnen, die in Computerkabinetten (Rechnerräume) stattfanden. Parallel zu den Klubs mit DDR-Rechnern gab es Gruppierungen, die sich auf Westrechner konzentrierten. Der Staat zeigte sich offen für solche Vereinigungen; vielleicht weil ihm klar war, dass die DDR nicht genug Computer fertigen konnte, um alle Haushalte auszustatten: Während allein vom C64 in der Bundesrepublik drei Millionen Stück verkauft wurden, lag die Gesamtproduktion aller DDR-Kleincomputer bei lediglich mehreren zehntausend Geräten. Sie gingen in Schulen, Betriebe und Freizeiteinrichtungen und gelangten kaum in den freien Handel.

In diesem Rahmen entwickelte sich der 1986 gegründete Computerclub im Haus der jungen Talente, der von Hunderten junger Freaks besucht wurde. "Die Besonderheit: Der Klub war nicht mit den typischen Kleincomputern aus der DDR ausgerüstet, Leiter Stefan Paubel setzte auf Geräte aus dem Westen – er wollte den aktuellen Stand der Technik demonstrieren. Programme wurden unter der Hand getauscht. /../ Was im Westen schon damals Abmahnanwälte auf den Plan brachte, interessierte in der DDR höchstens das Finanzamt; 'Raubkopien' gab es nicht." Immerhin war die Stasi daran interessiert, was im Computerklub so gespielt wurde. Sie legte eine Liste der erlaubten und indizierten Spiele mit teils abenteuerlichen Übersetzungen an: Aus Superbowl wurde Riesenschüssel, aus Samantha Fox Strip Poker machten die Staatssicherer den Samantha Fuchs-Entkleidungspoker.

Julia Gül Erdogan schreibt dazu, die Tauschpraxis in Ost und West vergleichend: "Beidseitig der Mauer gab es eine Praktik unter Jugendlichen, verfügbare Spiele zu knacken und diese zu verbreiten, wobei eine finanzielle Bereicherung dabei unerwünscht war. Die Duldung des Staates war in Bezug auf diese Praxis jedoch sehr verschieden, da in der Bundesrepublik Cracker von der Polizei und Justiz auf das Schärfste verfolgt wurden, während sich die DDR lediglich gegen die Gefahren von Viren wehrten, die durch nicht lizensierte Programme in Umlauf gebracht werden konnten." Die Informatik-Abteilung der Zentralen Arbeitsgruppe Geheimnisschutz beim Ministerrat warnte 1988 vor den Viren, die die Planwirtschaft schädigen konnten.

Bleibt die Frage nach der spezifischen ostdeutschen Hackerkultur. Am ehesten wird sie fassbar, wenn man sich die ersten 14 Minuten dieses Podcasts mit Frank Rieger anhört, der heute einer der Sprecher des CCC ist. Frank kam über eine der vielen Arbeitsgemeinschaften zum Computer, in seinem Fall die AG Computer und Astronomie. Gleichzeitig half er der aufkeimenden DDR-Opposition, ihre Infrastruktur zu verbessern, etwa der Umwelt-Bibliothek, wo er Nadeldrucker so einstellte, dass sie die Wachsmatrizen bedrucken konnten und so die Auflage des "Telegraph" deutlich erhöht werden konnte. Das war ein kleiner, doch ebenso wichtiger Hack wie der Einbruch in ein großes Computersystem.