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Was war. Was wird. Märkte, Murks und Messerschmitts.

Wahlkämpfe sind seltsam. Möglicherweise wachen wir nach der Wahl in einem anderen Land auf, grübelt Hal Faber. Nicht nur wegen einiger Gesetzesinitiativen.

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Draußen nur Kännchen? Oder was sonst? Nach der Pandemie sehnen wir uns vielleicht in die Zeiten zurück, als das Zuhause-Bleiben noch als solidarische Tat galt. "Lass uns rausgehen, lass uns Party machen, lass uns Sackhüpfen." Ach, lasst mich doch alle in Ruhe.

(Bild: antstang / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Ich bin auf den Blumenmarkt gegangen.
Und ich habe Blumen gekauft.
Für Dich, Geliebte.

Ich bin auf den Markt gegangen zum Altmetall.
Und ich habe Ketten gekauft,
schwere Ketten
Für Dich, Geliebte.

*** In Zeiten der Pandemie mag man die Chansons von Jacques Prévert unter der Maske summen und auf dem Markt bei frühlingshaften Temperaturen von sechs Grad schlendern und schlottern. Doch sonst ist alles anders: Altmetall darf nicht angeboten werden, weil es kein Bedarfsgut des täglichen Lebens ist, nicht einmal fesch verpackt in Form von alten Thinkpads oder iBooks.

Eine Ladung Thinkpads ...

Auch das Kaufen von Blumen ist beschwerlich geworden, wegen der Kräuterdeckel. Markthändler in Berlin dürfen nach der Corona-Verordnung der Senatsverwaltung nur dann Schnittblumen verkaufen, wenn sie mehrheitlich Töpfe mit Küchenkräutern anbieten. Der Schnittblumenanteil darf an den Ständen nicht größer als 49 Prozent sein, weil sonst die Inzidenz steigt: Schnittblumen sind halt gefährlich wegen der Tröpfcheninfektion, wenn man an ihnen riecht. Diese Einschränkung gilt nicht für Supermärkte, weil die bekanntlich eine Gemüseabteilung haben und obendrein Toilettenpapier anbieten, das strategisch wichtig ist. Wird es schlimmer, droht eine nächtliche Ausgangssperre für Blumenpflücker und Spargelstecher. Das wäre eine ultraharte Maßnahme, wo doch bisher alles vermieden wurde, was "unsere Wirtschaft" schädigen könnte. Die bange Frage "Was sagen die Märkte?" war nicht die nach dem Chanson von Jacques Prévert.

*** Was ist, wenn CDU/CSU und FDP gegen den Berliner Kräuterdeckel vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, wie es die Parteien der Immobilienbesitzer mit dem Mietendeckel getan haben? Nun, wenigstens ist mit der unfairen Entscheidung des BVG ein ordentliches Wahlkampfthema gefunden, das vom "christlichen" Kampf der Häuptlinge ablenkt. Oder sollte man lieber Di Haibtling‘ raffm‘ s raus sagen, angesichts der Raff-Egos? Mit dem Mietendeckel ist die Frage nach bezahlbarem Wohnraum als soziale Frage dieser Zeit auf dem Tisch, gewissermaßen das Tempo 130 für Hausbesitzer. Lustig ist es schon zu sehen, wie schnell strittige Passagen aus den lobenden Kommentaren verschwinden, weil zu zynisch will man ja nicht sein, so als Mensch und Journalistin: "Dass auf freien Grundstücken fast ausschließlich Eigentumswohnungen im Luxussegment entstehen, ist für den sozialen Zusammenhalt einer Stadtgesellschaft sicherlich nicht ideal. Doch auch in diese Wohnungen ziehen Menschen, die an anderer Stelle eine Mietwohnung aufgeben." Toll, dieser Mechanismus.

*** Der kleine Newsticker, der nunmehr 25 Jahre alt geworden ist, schwieg früher an den Wochenenden. Dieser Stille verdankt diese kleine Wochenschau ihre Existenz. Es war ja auch wenig los in der IT an Sonntagen, früher, als gute Menschen noch mit OS/2 arbeiteten. Nun hat sich die Schlagzahl geändert, nun kommen die Nachrichten auch an den Wochenenden: Man denke nur an den Mann, der am letzten Sonntag das Internet wegsprengen wollte, mit heise online mittendrin, eine grässliche Vorstellung. Jedoch ist es manchmal nötig, gewisse Nachrichten nicht zu verbreiten, weil es "Teile der Bevölkerung verunsichern könnte", wie es ein mächtiger Minister einstmals formulierte. Man spricht dann gemeinhin von der "Schere im Kopf", womit der Kopf eines Ministers wie der Kopf eines Journalisten gemeint sein kann. Beim Lifestyle-Magazin Focus haben sie das Problem elegant gelöst und ab sofort keine konstruktive Schere im Kopf mehr. Stattdessen werden alle Nachrichten unter der Aufsicht eines KI-Tools geschrieben, das die Nützlichkeit von Texten bewertet. Lang lebe der Nutzwert, den die Burda-Gruppe hoch in Ehren hält: Fakten, Fakten, Fakten! Zu den harten Fakten hat sich nun die Rapperin Kerfor mit einem Video zu rappenden Worten gemeldet, dass in der Lifestyle-tageszeitung supergut bewertet wurde, so als Aufbruchvideo in die klassenlose Gesellschaft. "Nachdem die ohnehin nicht siegesgewohnte Linke in der Pandemie eine Niederlage nach der anderen kassiert, manche deshalb über eine handlungsunfähige und sich selbst nicht bewusste Arbeiter- und Prekärenklasse jammern, andere an ihrem quasireligiösen Glauben an ein bald auf messianische Weise erscheinendes revolutionäres Subjekt festhalten – da könnte es vielleicht gut sein, Menschen wie Furtwängler in ihren klassenverräterischen Impulsen zu bestärken – sodass auf ihr gerapptes Unbehagen vielleicht einmal Taten folgen."

*** Huch, das war zwar nur ein Satz, aber einer mit 454 Zeichen, die demnächst dank der "Schrankenbestimmungen" so nicht mehr erlaubt sind, weil die staatlich definierte Schnippselgröße von 160 überschritten wurde. Denn es wird ernst, die Uploadfilter kommen, gegen die vor zwei Jahren Zehntausende protestierten. Dazu gibt es natürlich auch einen Rap, den von Danger Dan "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt". Prompt musste das kommentierende Video des Rechtsanwaltes Christian Solmecke nach einer Drohung der Plattenfirma Warner Brothers wegen angeblicher Verletzung des Urheberrechtes gelöscht werden. Doch hey, die Antilopengang ist eine Gang von Ehrenmännern und so ist das Video wieder da, geflaggt als eben das, was Kunstfreiheit ausmacht: Kunstfreiheit. Aufhorchen lässt der Passus: "Die Fundamentalgegnerschaft zu den Uploadfiltern hat auch die Opposition inzwischen weitgehend aufgegeben, nur die AfD ist der Ansicht, die Bundesregierung wolle über das Urheberrecht die Meinungsfreiheit 'abschaffen', wie die Digitalpolitikerin Joana Cotar sich ausdrückte." (241 Zeichen) Echt jetzt? Die Zehntausende, die vor zwei Jahren gegen die Filter demonstrierten, die waren alle Parteigänger der Alternativdeppen? Es dürfte interessant sein, was ACAB da zu sagen hat, die Annalena Charlotte Alma Baerbock.

In den C-Parteien spielt sich etwas ab, das einige Journalisten als "stilles Ringen" bezeichnen, ältere Journalisten mit dem Schachzug eines Helmut Kohls vergleichen, der zur Bundestagswahl 1979 dem Kanzleraspiranten Franz-Josef Strauß den Vortritt ließ. Blöd nur, dass weit und breit kein C-Politiker zu sehen ist, der hinter dem ganzen Geschachere ein Ziel ansteuern könnte. Ein Kandidat wie der Wiedergänger Friedrich Merz, der ein Hähnchen-Innenfilet als Beispiel für den Gender-Schwachsinn wählt, ist es sicher nicht. In jedem Fall hat der Wahlkampf begonnen und man muss achtsam werden: Das ist genau die Zeit, in der Gesetze huschhuschhusch verschärft und schnell verabschiedet werden. Das gilt nicht nur für Uploadfilter und Urheberrechtsreformen. Zu den noch vor der Sommerpause eiligst zu beschließenden Maßnahmen gehört das Gesetz über die neuen Rechtsgrundlagen der Bundespolizei, die Erweiterung der Zugriffs- und Anordnungsbefugnisse des Bundesamtes für Sicherheit informationstechnischer Systeme, der TKÜ-Zugriff der Verfassungsschutzbehörden auf Messenger-Dienste und die niedlich verharmloste "gemeinsame Datenführung" von Polizei- und Geheimdiensten. Mit all diesen Verschärfungen im Namen und auf Rechnung der stets betonten Sicherheit, werden so viele bürgerliche Grundrechte angekratzt, dass man nach der Wahl im September in einem anderen Staat aufwachen könnte, einem, der einem Sklavenstaat ähnelt, wie es die verschrobenen Diskussionen über die Notbremse namens Ausgangssperre zeigen. Draußen nur Jogging?

In der Zeit nach ausreichender Impfung gegen Corona wäre es einer wie in der Zeit des Wirtschaftswunders, als man bescheiden schaffte und politisch duckste und mäuserte. So etwas lässt sich auch unter dem Vorzeichen des Klimawandels wiederholen, daran erinnern jetzt die Messerschmitts und Besserschmitts.

Ach ja, dunnemals ...

Sicher wird auch die Isetta folgen. Wer will da schon einen komisch aussehenden Mercedes, der in dieser Woche die Leser beschäftigte?

Et puis je suis allé au marché aux esclaves
et je t’ai cherchée,
mais je ne t’ai pas trouvée,
mon amour.

(jk)