Missing Link: Vor 150 Jahren – die Tage der Kommune gehen zu Ende

Vorstellungen, Projekte und Ziele für ein anderes Arbeiten, Leben und Zusammenleben. 7000 Kommunarden bezahlten die 72 Tage der Kommune mit ihrem Leben.

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Pariser Kommunarden 1871 beim Sturz der Colonne Vendôme

(Bild: André Adolphe Eugène Disdéri (1819 - 1889), Public domain, via Wikimedia Commons)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Heute vor 150 Jahren zerstörten die Bürger von Paris das Napoleon-Denkmal auf der Place Vendôme. Die Säule, deren dekorative Ummantelung aus 130 Kanonen der Schlacht von Austerlitz gefertigt war, sollte eigentlich schon am 5. Mai fallen, dem Todestag von Napoleon. Doch die Vorbereitungen der Kommunarden verzögerten sich. So fiel der Fall der Säule mit einem anderen geschichtsträchtigen Datum zusammen: vor 150 Jahren wurde der Frankfurter Frieden zwischen Frankreich und dem jungen deutschen Kaiserreich ratifiziert, der Deutschland reich machte.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

"Kommune! Ein historisch Wort: denn sie war wohl das größte Ereignis des 19. Jahrhunderts. Kommune! Ein schrecklich Wort: denn es erzittern beim Klange deines Namens die Geldsackseelen von der Südspitze Kalabriens bis zum eisigen Norden des Zarenreiches. Kommune! Ein erlösend Wort: das birgt den Stolz und die Hoffnung derer, die da sind und sein werden." So euphorisch erinnerte der Kunstsammler Eduard Fuchs im Jahre 1896 an die 72 Tage der Pariser Kommune.

Ungleich nüchterner, doch nicht ohne Hoffnungen und Sympathie, kommentierte der in London lebende Karl Marx die Aktionen der Pariser Kommune im März 1871: "Sie schafft das Zwischenstadium, in welchem dieser Klassenkampf seine verschiedenen Phasen auf rationale und humane Weise durchlaufen kann." Seine Hoffnung auf eine rationale und humane Weise sollte sich schnell verflüchtigen. Noch nüchterner wird August Bebel später von einem "Vorpostengefecht" sprechen.

150 Jahre später sieht der Blick auf die Kommune etwas anders aus. Noch am deutlichsten kommt er hier zu Tage, wenn es heißt: "Trotz seiner Kürze bleibt das Ereignis im welthistorischen Bewusstsein und als Gegenstand der Forschung bis heute präsent. Vorstellungen, Projekte und Ziele der Kommune für ein anderes Arbeiten, Leben und Zusammenleben haben sich seither generationenübergreifend mit großer Wucht weiterverbreitet."

Die Visionen und Vorhaben der Kommune für eine herrschaftsfreie Gesellschaft scheinen dabei heute nicht nur attraktiver, sondern auch durchführbarer denn je. Mochten auch noch beispielsweise Anfangs des 20. Jahrhunderts kommunitäre Anarchisten wie Gustav Landauer von einer Organisation einzelner kommunitärer Gemeinschaften unter Gleichen träumen, scheinen heute die technischen Entwicklungen (die Produktivkräfte, wie sie Karl Marx nannte) nicht nur kommunitäre Organisationen, sondern auch Befreiung von entfremdeter Arbeit zu ermöglichen. Grundsätzlich betrachtet, ist entfremdete Arbeit technologisch überflüssig geworden.

"Wir halten uns an Stanislaw Lem: Arbeiten, die von Maschinen getan werden können, sollten von Maschinen erledigt werden. Viele Berufe wurden automatisiert, denen man heute nicht nachtrauern muss, die zumindest hierzulande auch nicht mehr akzeptiert würden", meinen etwa Frank Rieger und Constanze Kurz zu ihrer Untersuchung der technologischen Veränderung der Arbeitswelt, die nicht umsonst "Arbeitsfrei" heißt. Und Kristin Ross überbeschreibt "die politische Gedankenwelt der Pariser Kommune" mit "Luxus für alle" und rekonstruiert die erstaunliche Modernität der von Marx so genannten "Himmelsstürmer von Paris": die "Idee einer Weltrepublik, das Bemühen, die hierarchische Trennung von Kopf- und Handarbeit ebenso zu überwinden wie die Unterdrückung der Frau und nicht zuletzt die Vorstellung eines luxe communal als eines Luxus für alle".

Technologie ist kein unpolitisch einfach in der Welt existierendes Faktum, sondern ihr Einsatz und ihre Wirkung immer eine politische Entscheidung über die Gesellschaft, in der sie wirkt. Deshalb ist die Kommune aktueller denn je: Als möglicher Hinweisgeber, wie Technologie eine Gesellschaft von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" fördern kann. Hegel formulierte schon zuvor im Angesicht der französischen Revolution etwas pathetisch: "Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit geherrscht, ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt durchschauert, als sei es zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen."

Die Geschichte der Pariser Kommune kann nicht ohne den Deutsch-Französischen Krieg erzählt werden. Er endete mit einer verheerende Niederlage für Frankreich, der Festnahme von Napoleon III und der Gefangenschaft großer Teile der französischen Armee. Nach der Schlacht von Sedan wurde die Dritte Französische Republik ausgerufen, formell eine Demokratie, doch ohne nennenswerte Mitsprache der einfachen Stände. Sie war zuerst eine Notregierung der nationalen Verteidigung und nach den Wahlen vom Februar 1871 eine Beute der konservativen Politiker.

Die Geschichte der Pariser Kommune beginnt am 18. März 1871 mit dem Versuch der neuen Regierung von Adolphe Thiers und ihrer Militärtruppen, der unruhigen Pariser Bevölkerung die Kanonen zu entwenden, die zur Verteidigung der Stadt gegen die deutschen Truppen nach Paris gebracht worden waren und mitten in einem Arbeiterviertel auf dem Montmartre lagerten, bewacht von der Pariser Nationalgarde. Diese Nationalgarde bestand aus Bürgern, die man für die Verteidigung von Paris bewaffnet hatte. Die Regierung flieht nach Versailles, die Nationalgarde proklamiert sich zum "Hauptausschuss des Republikanischen Bundes" und ruft zur Wahl einer kommunalen Regierung für Paris am 22. März auf. Die politischen Häftlinge werden freigelassen.

Während die Vorbereitungen zur Wahl laufen, werden in weiteren 30 Großstädten wie Marseille, Narbonne und Toulouse weitere Kommunen ausgerufen, während die Landbevölkerung stillhält. Auch in Versailles laufen Vorbereitungen für die französischen Kriegsgefangenen, die auf Intervention von Bismarck freigelassen werden, damit sie die Aufständischen von Paris niederschlagen können. Die fangen wiederum an, auf den von ihnen verhassten Boulevards von Paris Barrikaden zu bauen. Noch ist die Hoffnung groß, dass es nicht zu Gefechten kommen wird, sondern die Soldaten mit den Kommunarden fraternisieren: Am 26. März wird gewählt, am 28. die Kommune proklamiert, die mit zahlreichen Dekreten einen völlig neuen Staat bauen will.

Abschaffung des stehende Heeres, allgemeine Volksbewaffnung, Trennung von Kirche und Staat, Anpassung der Beamtengehälter an Arbeiterlöhne, Abschaffung der Nachtarbeit, Enteignung der Mitglieder der Regierung in Versailles, Wiederaufnahme der Arbeit in den Fabriken bei gleichem Lohn für alle, Staatsadoption aller Waisen der im Kampf für die Kommune gefallenen Bürger. Eine besondere Rolle spielten die Frauen der Kommune, die sich in der "Union des femmes pour la défense de Paris" mit Zehntausenden von Kampfgenossinen zusammen fanden.