New-Food-Expertin Liz Specht: "Business-as-usual ist nicht mehr tragbar"

Die Expertin für neue Lebensmittel spricht im TR-Interview über Fleisch aus dem Labor und anderes neues Essen, das nachhaltiger und klimafreundlicher ist.

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(Bild: Liz Specht)

Lesezeit: 6 Min.

Fleisch kommt künftig aus dem Labor; neue Nahrung soll nachhaltiger und klimafreundlicher werden: Hype oder bald Realität? TR sprach mit Liz Specht, Direktorin für Wissenschaft und Technologie beim Good Food Institute, einem international agierenden Non-Profit-Unternehmen mit Sitz in Washington D.C., das die Lebensmittelproduktion neu denken will.

Technology Review: Frau Specht, glauben Sie, dass wir uns, wenn es um die Art und Weise geht, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren, an einem Wendepunkt befinden?

Liz Specht: Absolut. Es ist klar geworden, dass Business-as-usual-Praktiken nicht tragfähig sind, um die prognostizierte 50- bis 70-prozentige Steigerung der Nachfrage nach Fleisch in den nächsten drei Jahrzehnten zu decken. Wir müssen die Fortschritte in der Lebensmitteltechnologie nutzen, um skalierbare, nahrhafte und erschwingliche Alternativen zur industriellen Tierhaltung zu schaffen, wenn wir auch nur die geringste Hoffnung haben wollen, die globalen Ziele zu erreichen, die Klimaerwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten.

Lange Zeit war die Ernährung der Bedürftigen in den Entwicklungsländern die Priorität Nummer eins. Wie weit sind wir damit, sie auch nachhaltig zu gestalten?

Eine ausreichende Ernährung ist immer noch der Schlüssel, aber Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen erkennen zunehmend, dass Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit der Nahrungsmittelproduktion genauso wichtig für die langfristige Gesundheit der lokalen Ökosysteme und Gemeinden sind. Wie in anderen Technologiebereichen, z. B. der Telekommunikation, können die Entwicklungsländer vom Konzept des "Leapfrogging" bei Nahrungsmitteln profitieren - d. h. dem direkten Übergang zu fortschrittlicheren, umweltverträglichen Produktionsmethoden, anstatt erst eine Ära veralteter, industrialisierter Produktionssysteme durchlaufen zu müssen, die schwerwiegende negative Folgen für die Umwelt und die öffentliche Gesundheit haben.

Die Menschen sind skeptisch gegenüber im Labor hergestellten Lebensmitteln, das sieht man etwa bei der Kontroverse um die grüne Gentechnik. Wie können Menschen Vertrauen in diese neuen Produkte gewinnen?

Alternative Proteinquellen bieten im Vergleich zu den industrialisierten Landwirtschaftssystemen, die sie letztendlich ersetzen werden, einen großen Vorteil, um das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen: Sie bieten nämlich echte Transparenz. Man würde kaum auf die Idee kommen, die Öffentlichkeit zu einer Tour durch einen Schlachthof oder eine Futtermittelfabrik einzuladen, aber Unternehmen für pflanzlich hergestelltes Fleisch oder auch kultiviertes Fleisch können die Verbraucher durch ihre sauberen Produktionsanlagen führen, so wie man Brauereien besichtigt. Dieses Maß an Transparenz und Offenheit, das bereits stattfindet, bevor Produkte wie kultiviertes Fleisch auf dem Markt sind kann viel dazu beitragen, dass die Verbraucher sich mit diesen neueren Technologien anfreunden und sie einfach als die Zukunft der Lebensmittelproduktion ansehen werden. Firmen wie Aleph Farms und Supermeat tun das zum Beispiel schon.

Spielt Gentechnik immer noch eine große Rolle bei der Entwicklung neuer Lebensmittel?

Das hängt wirklich vom Unternehmen ab, und die Entscheidung jedes Unternehmens, ob es Gen-Editing- oder Gen-Engineering-Technologien einsetzt, wird stark von den lokalen Vorschriften und der Verbraucherwahrnehmung in den Märkten beeinflusst, auf die sie abzielen. Es gibt viele Unternehmen für alternative Proteinquellen, die sich geschworen haben, die Gentechnologie niemals einzusetzen, während andere sie als nützliches Werkzeug sehen, um schnellere Fortschritte bei Aspekten wie Prozesseffizienz, Geschmacksverbesserungen oder sogar der ernährungsphysiologischen Qualität der Produkte zu erzielen.

Vegetarische oder vegane Ernährung waren einst eine Nische. Jetzt sind sie überall. Wird etwas Ähnliches mit alternativen Proteinquellen aus dem Labor passieren?

Die größte Veränderung, die in den letzten Jahren bei den Verbrauchern stattgefunden hat, ist das zunehmende Interesse an alternativen Proteinprodukten (ob wir nun von Fleisch auf Pflanzenbasis oder von kultiviertem Fleisch sprechen, das noch nicht auf dem Markt ist). Das kommt von Verbrauchern, die sich selbst nicht einmal als Vegetarier oder Veganer betrachten. Das so genannte "flexitarische" Verbrauchersegment ist das, was das Wachstum dieser Produkte wirklich vorantreibt: Verbraucher, die nach umweltfreundlicheren oder gesünderen Produkten für bestimmte Mahlzeiten in der Woche suchen, die aber keine Abstriche bei Geschmack, Beschaffenheit der Nahrung oder dem Preis machen wollen. Ich denke, dieser Trend wird sich in einer positiven Feedbackschleife fortsetzen: Je besser die Produkte werden – und je weniger sie kosten –, desto mehr Verbraucher werden sich dafür interessieren, was wiederum weitere Aktivitäten antreibt im Bereich Start-ups und Forschung und Entwicklung, die wiederum die Produktqualität verbessern und die Kosten senken.

Wie weit sind wir damit, den Geschmack von New-Food-Produkten richtig hinzubekommen?

Einige Marken von pflanzlichen Rinderhackfleischprodukten sind schon fast nicht mehr von herkömmlichem Fleisch zu unterscheiden. Impossible Foods zum Beispiel hat in den USA eine Reihe von Werbespots geschaltet, die die schockierten Reaktionen der Menschen zeigen, wenn sie erfahren, dass der Burger, den sie essen, nicht von einer Kuh stammt. Andere Produktkategorien hinken jedoch weiter hinterher: So gibt es zum Beispiel weit weniger überzeugende Alternativen für Hühner- oder Meeresfrüchteprodukte auf dem Markt. Was kultiviertes Fleisch angeht, so sind die ersten Prototypen für verschiedene Produktkategorien aus geschmacklicher Sicht recht überzeugend (schließlich ist kultiviertes Fleisch - im Endeffekt - das gleiche Produkt wie konventionelles Fleisch; es ist tierisches Muskelgewebe, nur eben ohne das Tier gezüchtet), aber das größte Problem ist derzeit, die Kosten zu senken und die Produktionsmenge zu erhöhen.

Wie können wir sicherstellen, dass New Food gesund ist?

Es gibt eine enorme Chance, die ernährungsphysiologischen Eigenschaften von pflanzlichem Fleisch und sogar von kultiviertem Fleisch im Vergleich zu konventionellem Fleisch zu verbessern. Pflanzliches Fleisch hat von Natur aus mehr Ballaststoffe (tierisches Fleisch hat keine) und typischerweise weniger gesättigte Fettsäuren als tierisches Fleisch, und Mikronährstoffe wie Vitamine und Mineralien können hinzugefügt werden, um tatsächlich einen höheren Nährwert zu bieten als bei konventionellem Fleisch. Bei kultiviertem Fleisch können diese Nährstoffe angepasst werden, so dass es denkbar ist, Fleisch aus dem Labor zu produzieren, das ein besseres Nährwertprofil aufweist als konventionell produziertes tierisches Fleisch.

(bsc)