Missing Link: Liebe das Biotop und das Biom - die Zukunft der Landwirtschaft 2

Bis zu 10 Milliarden Menschen wollen auch künftig etwas essen. Wie das gelingt trotz Bodendegradierung, Artensterben und Überkonsum, beschäftigt viele Experten.

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(Bild: Gerhard Leber)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Was bisher geschah: Der vorherige Teil dieser Serie erklärte die Problematik, Milliarden Menschen plus doppelt so viel Biomasse an ihren Haustieren nachhaltig zu ernähren. Er vertröstete für Lösungen auf den Text, der nun folgt. Damit umging der Autor geschickt, gleich in der ersten Folge das Reizwort "Verzicht" zu schreiben, das immer so viele Leser vergrault. Lasst also das Vergraulen beginnen, denn eingangs beschäftigen sich alle Forschenden mit der Frage: "Wie viel braucht der einzelne Mensch denn überhaupt zum Leben?"

Die Zukunft der Landwirtschaft

Wie kann sich eine Weltbevölkerung von bis zu 10 Milliarden Menschen nachhaltig ernähren? Die globale Landwirtschaft sucht nach Lösungen, auch über "Bio"-Bewirtschaftung und Einsatz von IT im "Smart Farming" hinaus.

Noch einmal möchte ich gegen den Defätismus sprechen. Bei Zukunftsproblemen greift ein Äquivalent zu Godwin's Law. Irgendwann sagt stets jemand: "Es gibt einfach zu viele Menschen." Obwohl das stimmen mag: Was soll die Schlussfolgerung aus dieser Aussage sein? Die Hälfte töten? Zwei Drittel? Mehr? Mit wem also anfangen? Ihrer Mutter? Ihrem Bruder? Das ist doch bitte menschenverachtender Stuss. Die Bevölkerungskurve flacht durch Bildung und Urbanisierung ab, und dabei möchte ich es in dieser Diskussion belassen, weil Bildung und Urbanisierung nicht nur willkommener, sondern auch wirksamer sind als Krieg und Massenmord, die noch nie nachhaltig reduzierten.

Ich wollte hier mit dem christlichen Abendland kommen, mit Platon und den Todsünden der Katholiken, aber ich denke, wir wissen alle, worum es geht, auch wenn die Akzeptanz manchmal schwerfällt: Es können auf der Erde nicht bis zu 10 Milliarden Menschen ein Leben wie die Deutschen heute führen, oder noch schlimmer: die Australier, die Saudis oder Kataris. Gleichzeitig können wir (weder moralisch noch physisch) anderen Ländern verbieten, ihren Lebensstandard in unsere Richtung zu erhöhen. Es braucht einen Lebensstandard, der zufrieden macht und dennoch dauerhaft auf dem Planet Erde möglich ist.

Vergleichen wir Deutschland mit Afghanistan oder Gambia, sehen wir bei uns einen mehr als 30-fachen Ausstoß von CO2-Äquivalenten, hauptsächlich aus Ressourcenverbrauch. Die Afghanin oder Gambierin strebt jedoch natürlich an, dass ihre Kinder dereinst ein besseres Leben führen dürfen als ein deutscher Hund, und wer ihr das verbieten will, werfe das erste Wort ins Forum. Der größte Teil am Überkonsum liegt im Segment "sehr viele nutzlose Dinge kaufen und zeitig wegwerfen". Beim Anteil der Ernährung an den CO2-Äquivalenten und der angestrebten Steigerung des Lebensstandards geht es hauptsächlich um den Fleischkonsum – das zweite große Unwort aller Zukunftsdiskussionen.

Der Vorartikel zu diesem riss das Problem an: Aktuell baut die Menschheit große Mengen Futtermittel wie Mais und Soja dazu an, sie andernorts an Schweine oder Hühner zu verfüttern, aus denen wir das billigste tierische Protein herstellen. Das passiert, weil weißes Fleisch in diesem industrialisierten Prozess effizienter herzustellen ist als Fleisch von draußen herumlaufenden Wiederkäuern. Der gesamte Prozess ist jedoch sehr ineffizient. Zudem konkurrieren Huhn und Schwein mit dem Menschen in Sachen Lebensmittel-Anbaufläche: Soja versorgt auch uns mit hochwertigen Nährstoffen.

Den offensichtlichsten Ausweg schlugen unter anderem Schader et al 2015 in einer Studie vor, für die bis 2050 prognostizierten knapp 10 Milliarden Menschen: Wenn wir Ackerfrüchte nicht mehr verlustreich über Schweine und Co. leiten, sondern direkt essen, kann das allein die globale Kalorien- und Proteinversorgung stabil auf einem ausreichenden Niveau halten. Schrader berücksichtigt hier sogar UN-Wunsch-konform einen leichten Rückgang der Ackerflächen. Dabei verbesserten sich viele andere Parameter wie Klimagasausstoß, Stickstoffüberschuss, Energieverbrauch, Pestizidmenge, Wasserverbrauch und Bodenerosion. Und jetzt kommt die Pille, die dir der Veganer reicht: Tierisches Protein in der Ernährung reduzierte sich um 71 Prozent.

Extensive Weidetierhaltung bei uns (Sie sehen im Hintergrund u. a. mein Haus). Diese Tiere fressen ausschließlich Grünpflanzen von Weiden, im Winter getrocknet (Heu). Das braucht mehr Platz, als die meisten Menschen denken und das Fleisch kostet deutlich mehr. Dafür schmeckt es besonders gut und enthält mehr gesunde Nährstoffe.

(Bild: Gerhard Leber)

Warum waren es nicht 100 Prozent? Weil es weltweit viel Weideland gibt, das sich nicht zum Ackerbau eignet, aber zur Beweidung mit Rindern, Schafen und Ziegen genutzt werden kann. Man muss hier sehr vorsichtig sein, denn manches zur Viehzucht genutzte Grünland ließe sich anderweitig besser zur Erdkühlung verwenden, zum Beispiel Grünland auf trockengelegten Mooren. Auch ein extensiverer (das Gegenteil von "intensiverer") Anbau genügsamerer Feldfrüchte (für Menschen) statt Grünfutter (für Rinder) käme auf manchen Standorten in Frage. Dennoch bleibt einiges Grünland über, auf dem Rinderzucht sogar insgesamt CO2-negativ betrieben werden kann. Das jedoch stets ebenfalls mit dem Adjektiv "extensiv": Damit das Grünland die CO2-Emissionen ausgleichen kann, muss der Besatz unter einer mittleren Kuh pro Hektar liegen. Das ist zum Beispiel in Bayern bereits der Fall (Schnitt 0,9). In einem ersten Schritt diskutierte das deutsche Landwirtschaftsministerium unlängst ein bundesweites gesetzliches Maximum von 2,5 Stück Großvieh pro Hektar.

Weideland speichert schon heute CO2 aus der Luft, unter anderem, weil die Tiere Pflanzenmaterial in den Boden treten, auf dem sie grasen. Weidetierkot ist dabei ein wertvoller Dünger für umliegende intensiv bewirtschaftete Felder. Das Rind kann also in einer integrierten Lösung dazu beitragen, dass Landwirtschaft mehr Kohlenstoff bunkert. Wirklich rein von der Weide ernährtes Rind kostet allerdings mehr: ab etwa 15 Euro / kg für Hackfleisch, ab etwa 35 Euro / kg für Stücke zum Kurzbraten. Wir müssten also so essen, wie es die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) seit vielen Jahren empfiehlt: Wenig Fleisch, dafür gutes Fleisch (Weidetierfleisch enthält mehr gesunde Beistoffe wie Omega-3-Fettsäuren als Stallfleisch). Schweine- und Hühnerfleisch müsste idealerweise auf das Niveau zurückkehren, auf dem diese Tiere früher gehalten wurden: eine Veredelung biologischen Abfalls letztlich. Die Fütterung mit Essensresten ist jedoch seit der Maul- und Klauenseuche 2003 in der EU verboten. Dass dies wie so viele EU-Vorgaben übers Ziel hinausschießt, zeigt Asien: Japan erhitzt seitdem Essensreste vor der Verfütterung, um Keime zu töten.

In Strategies for feeding the world more sustainably with organic agriculture untersuchten Forscher 2017 Szenarien zum weltweiten Bio-Anbau inklusive Weidetierhaltung. Ein Szenario mit bis zu 60 Prozent Bioanteil, nur der Hälfte der heute weggeworfenen Lebensmittel und ebenfalls keinem mit Menschennahrung konkurrierendem Viehfutteranbau sah vielversprechend aus, obwohl schon das Modell viele Schwächen in der Nährstoffversorgung der Pflanzen sah, vor allem mit Stickstoff und Phosphor. Klar bleibt: In den nächsten 100 Jahren muss der Fleischkonsum sich auf einen Bruchteil des heutigen Niveaus reduzieren. Angesichts der Fortschritte in der Lebensmittelchemie einerseits (Kunstfleisch aus Pflanzen) und den ethischen Aspekten intensiver Tierhaltung wahrscheinlich zusätzlich sogar ein gesellschaftlicher Fortschritt. Doch kommen wir zu interessanten Ideen vom Rand.