Forscher enträtseln späte Thrombose nach Corona-Impfung

Professor Rolf Marschalek von der Uni Frankfurt spricht im TR-Interview über unerwünschte Impfreaktionen auf AstraZeneca und Co.

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(Bild: M-Foto/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.

Nach der Gabe von COVID-19-Impfstoffen, die auf Vektorviren basieren, kann es zu frühen, aber auch zu späten Thrombosen kommen. Für die frühen Ereignisse, die sogenannte Vakzin-induzierte immunthrombotische Thrombozytopenie (VITT), gibt es bereits Erklärungsansätze, für die späten nicht. Professor Dr. Rolf Marschalek vom Institut für pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main hat mit seiner Gruppe nun eine mögliche Lösung präsentiert: Offenbar kann sich das Spike-Protein, das die Vektorviren erzeugen, im Blut lösen und hier ähnliche Reaktionen auslösen wie bei COVID-19 selbst. Zum Glück gibt es biotechnische Verfahren, dies zu beheben – und zumindest einer der Anbieter soll auch darauf geachtet haben. Im Interview erklärt Marschalek die Details.

Professor Marschalek, Sie haben einen möglichen Auslöser für die Thrombosegefahr von Vektorvirus-Impfstoffen gegen COVID-19 entdeckt. Aufgrund von unkontrollierten Spleiß-Vorgängen im Zellkern kann es dazu kommen, dass die vom Vektorvirus angeregte Spike-Protein-Produktion fehlerhaft erfolgt und frei lösliche Spike-Proteine entstehen, die im Blutkreislauf umherschwimmen, statt wie gewünscht an der Zellwand zu ankern. Der Körper reagiert schlimmstenfalls mit Blutgerinseln. Wie kamen Sie zu dieser Hypothese und wie gut ist sie bereits belegt?

(Bild: Uni Frankfurt)

Wir hatten im letzten Jahr in einer Kooperation mit der Frankfurter Virologie alle Gene des SARS-CoV-2 kloniert und diese auch in menschlichen Zellen exprimiert. Unsere Vektoren, die wir dafür verwendet hatten, gehen auch in den Zellkern und integrieren dort in die Chromosomen. Die gezielte Herstellung der verschiedenen viralen Proteine erfolgte dann durch die Zugabe eines Induktors, eines kleinen Medikaments. Nur konnten wir in den seltensten Fällen das gewünschte Protein nachweisen, weil auch dort durch Spleißen der RNA die gewünschte Information zerstört wurde. Im SARS-CoV-2-Virus findet man rein statistisch alle 250 Nukleotide eine unerwünschte Spleißstelle.

Warum treten Thrombosereaktionen vergleichsweise selten auf?

Wir vermuten, dass mindestens vier verschiedene Ereignisse zusammen kommen müssen: Autoantikörper gegen PF4, die eine sogenannte Thrombozytopenie auslösen können (laut der Arbeitsgruppe Greinacher an der Uni Greifswald), Verunreinigungen im Impfpräparat, die zu einer Entzündungsreaktion führen können (laut Arbeitsgruppe Kochanek, Uni Ulm) und die Spleißvarianten, die lösliche Varianten des Spike-Antigens herstellen (laut meiner Arbeitsgruppe). Als Viertes haben wir nur eine Vermutung: das Fehlen von neutralisierenden Antikörpern; das kann es aufgrund bestimmter Haupthistokompatibilitätskomplex-Kombination geben, allerdings ist es sehr selten.

War das Spleiß-Problem in irgendeiner Form bei der Entwicklung absehbar?

Firmen mit Erfahrung auf diesem Gebiet haben das mit einkalkuliert.

Sie nennen das Problem in Ihrer Preprint-Studie eine Impfstoff-induzierte COVID-19-Mimikry. Das müssen Sie erläutern.

COVID-19-Patienten zeigen in der Regel eine Hyperinflammation und versterben sehr häufig an multiplen, thromboembolischen Ereignissen. Ausgelöst wird dies durch das Spike-Protein (auf der Oberfläche der im Blut vorhanden Viren). Es führt zu einer Regulation von ACE2, zur Gewebe-Inflammation, zur Zellzerstörung und so weiter. Das alles führt zu einer massiven Entzündung. Wir wissen derzeit zwar nicht, wieviel lösliches Spike wirklich im Blutserum nachzuweisen ist, aber wir wollten die Analogie zu einer SARS-CoV-Infektion im Titel aufzeigen.

Wo ist die Thrombosegefahr größer, bei AstraZeneca oder bei Johnson & Johnson?

Aus den derzeitigen Zahlen durch Impfungen wissen wir, dass die Wahrscheinlichkeit bei AstraZeneca bei ca. 1:112.000 liegt, bei Johnson & Johnson bei ca. 1:1 Million; allein daran kann man erkennen, dass dieses Problem bei AstraZeneca ca. 10 Mal höher ist. Die Johnson & Johnson-Tochter Janssen hat beim Design ihres Impfantigens auf Spleißstellen geachtet, AstraZeneca leider nicht. Das Risiko bei Johnson & Johnson entspricht fast dem Risiko ungeimpfter Personen.

Was muss am Impfstoff konkret verändert werden?

Man kann diese wenigen, aber wichtigen Spleißstellen durch gezielte Punktmutationen eliminieren. Das ist ein trivialer Vorgang für ein molekularbiologisches Labor und man nennt diesen Prozess „point-directed mutagenesis“.

Gab es schon Rückmeldungen von AstraZeneca?

Es hat einen ersten Kontakt zu AZ gegeben, und sie wollen unsere weiteren Arbeiten unterstützen, indem sie uns Patientenseren besorgen – und uns Kontakte zu anderen Arbeitsgruppen vermitteln, die uns helfen können, unsere Hypothesen zu verifizieren oder zu falsifizieren.

Wird man als Impfling erfahren, ob man das verbessert codierte Spike-Protein mit geringerer Thrombosegefahr bekommt oder fließt das einfach in die normale Produktion ein und man weiß es nicht?

Wenn die Impfstoffe geändert werden, müssen sie neu zugelassen werden. Deshalb wird AstraZeneca diese Änderungen sicherlich in ihrem neuen Impfpräparat verwenden, das für die mutierten Formen von SARS-CoV-2 auf den Markt gebracht werden soll. Für diese kleinen Änderungen an der RBD-Domäne, die man auch in den Mutanten Alpha bis Delta findet, müssen ebenfalls einige Basen der Sequenz ausgetauscht werden. Da ist es sinnvoll, die jetzt entdeckten Spleißstellen gleich mit zu ändern.

Sie hatten es kurz erwähnt: Forscher an der Uni Ulm haben kürzlich eine größere Menge an eigentlich unerwünschten Proteinverunreinigungen im Impfstoff von AstraZeneca entdeckt, darunter auch sogenannte Hitzeschockproteine. Könnten diese mit Thrombosen in Verbindung stehen beziehungsweise für andere Probleme sorgen?

Diese Verunreinigungen entstehen durch den Herstellungsprozess in menschlichen HEK-Zellen. Und ja, sie sind möglicherweise Teil des Mechanismus – durch die inflammatorische Reaktion, die daraufhin erfolgt. Solche Verunreinigungen sind eine der Ursachen für die sofortigen Impfnebenwirkungen, die viele Impflinge direkt nach der Impfung erfahren. Ob sie auch für die thrombotischen Ereignisse von Bedeutung sind, die vier bis sechzehn Tage danach auftreten, ist derzeit nicht klar.

Wie lassen sich solche Verunreinigungen vermeiden?

Man kann durch weitere Reinigungsverfahren eine höhere Reinheit erzielen.

mRNA-Impfstoffe, also Moderna und Pfizer/Biontech, haben das Spleiß-Problem biologisch nicht, aber es gab unter anderem Berichte über seltene Herzmuskelentzündungen. Ist zu erwarten, dass hier noch unerwünschte Impfreaktionen oder Spätfolgen auftauchen, die wir noch nicht kennen? Die Technik ist bekanntermaßen sehr neu.

Ja, das ist ein neues Phänomen, das jetzt in den Impfstudien aufgetaucht ist. Bislang kannte man so etwas von Coxsackie-Viren oder bestimmten Streptokokken, die eine Herzmuskelentzündung oder -zerstörung auslösen können. Dies wird durch kreuzreaktive T-Zellen in den genannten Situationen ausgelöst. Wie es nach Impfung gegen SARS-CoV-2 dazu kommt, und ob die Impfung wirklich der Auslöser ist, muss noch herausgefunden werden.

Vektorviren-basierte Impfstoffe sind schon etwas länger im Einsatz als die mRNA-Technik, aber auch noch nicht alt. Kamen Sie vielleicht zu schnell auf den Markt?

Das kann ich wirklich nicht beurteilen. An der mRNA-Technologie wird bereits seit mehr als 20 Jahren gearbeitet, an Adenoviren ebenso lang. Ich denke nicht, dass dies wirklich ein Problem darstellt. Beide Systeme sind hervorragende dazu geeignet, Impfpräparate herzustellen.

Es gibt Mediziner, die lieber auf traditionelle Impfstoffe auf Proteinbasis gewartet hätten; diese befinden sich auch in Entwicklung. Werden sie schlechter wirken?

Das Herstellen eines rekombinanten Proteins, ein sogenanntes Spaltvakzin, hat ebenfalls Vor- und Nachteile. Es ist zwar definiert, aber je nach Produktion (E. coli oder CHO-Zellen) fehlen möglicherweise wichtige Zuckermoleküle am Protein. Zudem müssen solche Spaltvakzine in der Regel adjuvantiert werden. Adjuvantien sollen eine lokale Inflammation auslösen, um das Immunsystem „aufzuwecken“, damit es seine Arbeit aufnimmt. Bestimmte Adjuvantien haben in der Vergangenheit ebenfalls zu Diskussionen geführt, ob sie für Impfreaktionen verantwortlich sind. In den derzeitigen Impfpräparaten sind solche Zusatzstoffe nicht vorhanden.

(bsc)