Diese zwei Forscher sagen Produktivitätsboom dank KI voraus

Smarte Techniken haben bislang erstaunlich wenig zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Aber das könnte sich bald ändern, meinen zwei Stanford-Wissenschaftler.

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Hafenbetrieb.

(Bild: zhangyang13576997233 / Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Erik Brynjolfsson
  • Georgios Petropoulos
Inhaltsverzeichnis

Erik Brynjolfsson ist Professor in Stanford und Direktor des Stanford Digital Economy Lab. Georgios Petropoulos ist Post-Doc am MIT, Research Fellow bei Bruegel und Digital Fellow am Stanford Digital Economy Lab.

Über viele Jahre wurde den Menschen versprochen, dass die Digitalisierung und die zunehmende Durchsetzung von Systemen der Künstlichen Intelligenz (KI) ein großes Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum schaffen würden. In den Vereinigten Staaten von Amerika war das jedoch in den letzten 15 Jahren nicht der Fall.

Doch jetzt gibt es ermutigende Anzeichen für eine Trendwende, die die Vorhersagen untermauern könnten. Das Produktivitätswachstum, eine wichtige Triebkraft für einen höheren Lebensstandard, betrug seit 2006 im Durchschnitt nur 1,3 Prozent, noch nicht einmal halb so viel wie im vorangegangenen Jahrzehnt. Doch am 3. Juni meldete die Statistikbehörde US Bureau of Labor Statistics, dass die Arbeitsproduktivität in den USA im ersten Quartal 2021 um 5,4 Prozent gestiegen sei. Mehr noch: Es gibt Grund zu der Annahme, dass dies keine Eintagsfliege ist, sondern ein Vorbote besserer Zeiten – ein Produktivitätsschub, der die Boomzeiten der 1990er Jahre erreichen oder sogar übertreffen könnte.

Petropoulos und Brynjolfsson.

Dieser Optimismus basiert auf unseren Untersuchungen, die zeigen, dass die meisten OECD-Länder gerade den tiefsten Punkt einer sogenannten J-Kurve der Produktiviät durchschreiten. Angetrieben von Fortschritten in der digitalen Technik wie der Künstlichen Intelligenz ist das Produktivitätswachstum jedoch nun auf dem Weg nach oben.

Eine J-Kurve der Produktivität beschreibt das historische Muster eines anfänglich langsamen Produktivitätswachstums nach Einführung einer bahnbrechenden Technik, gefolgt von einem steilen Aufschwung Jahre später. Unsere und andere Forschungen haben ergeben, dass Technik allein kaum ausreicht, um signifikante wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Erst in Kombination mit größeren Investitionen in neue Geschäftsprozesse, Fertigkeiten der Mitarbeiter und anderen Arten von immateriellem Kapital steigern revolutionäre Durchbrüche – von der Dampfmaschine bis zur KI – letztlich auch die Produktivität.

Beispielsweise stagnierte die Produktivität für mehr als zwei Jahrzehnte, nachdem die Elektrizität in amerikanischen Fabriken eingeführt worden war. Sie stieg erst dann sprunghaft an, als die Firmenchefs die Produktionsabläufe veränderten und die Arbeit auf mehrere räumlich voneinander getrennte Maschinen verteilten. Dank der Elektrizität war das nun möglich – zu Zeiten des Dampfantriebs waren viele Maschinen dagegen an Kurbelwelle und Transmissionsriemen gebunden.

Drei Gründe sprechen dafür, dass die Produktivitäts-J-Kurve dieses Mal eher und steiler anwachsen wird als in früheren Zeiten. Und das macht Mut:

Der erste Grund ist technologischer Natur: In dem vergangenen Jahrzehnt gab es erstaunlich viele technologische Durchbrüche – die wichtigsten kommen aus der KI-Branche. Dank der Entwicklung von Algorithmen für maschinelles Lernen in Kombination mit dem starken Preisverfall bei der Datenspeicherung und der Verbesserung der Rechenleistung konnten Unternehmen zunehmend herausfordernde Aufgaben angehen – von der Entwicklung von Sprach- und Bildverarbeitungssystemen bis hin zu Vorhersage- und Diagnoseprogrammen. Der schnell wachsende Cloud-Computing-Markt hat diese Innovationen auch für kleinere Firmen zugänglich gemacht.

Auch in den Bereichen Biomedizin und Energie gab es bedeutende Innovationen. Mithilfe neuer Verfahren konnten Wissenschaftler das Design neuer Medikamente optimieren und etwa die 3D-Strukturen von Proteinen simulieren. Ein revolutionärer Ansatz etwa ist die Entwicklung von Impfstoffen, die auf Boten-RNA basieren. Neben COVID-19 könnten sich damit auch viele andere Krankheiten wirksam bekämpfen lassen.

Darüber hinaus haben entscheidende Innovationen dazu geführt, dass der Preis für Solarenergie stark gesunken ist, der Wirkungsgrad bei der Energieumwandlung hingegen stark stieg – was sich nicht nur für den Energiesektor, sondern auch für die Umwelt als positiv erweist.

Die sozialen wie wirtschaftlichen Folgen von COVID-19 sind in vielen Bereichen schlimm. Es gibt jedoch Ausnahmen: Die Pandemie hat den digitalen Fortschritt in Bereichen wie der Telearbeit, der sonst wohl ein Jahrzehnt gedauert hätte, auf weniger als ein Jahr komprimiert. Vieles deutet darauf hin, dass auch nach der Pandemie ein signifikanter Anteil der Arbeit aus der Ferne erledigt werden wird. Währenddessen bildet sich eine neue Klasse von hochqualifizierten Dienstleistungsanbietern – sogenannten digitalen Nomaden.

Längerfristig werden sich diese Veränderungen durch die Pandemie auf die Produktivität auswirken. Selbst Technologieskeptiker wie Robert Gordon sind dieses Mal optimistischer. Die Digitalisierung und Reorganisation der Arbeit haben uns an einen Wendepunkt in der J-Kurve der Produktivität gebracht.

Der dritte Grund für unseren Optimismus basiert auf der aggressiven Steuer- und Geldpolitik in den USA. Das jüngste COVID-19-Entlastungspaket wird die Arbeitslosenquote wahrscheinlich von 5,8 Prozent (im Mai 2021) auf das historisch niedrige Niveau vor Corona von um die 4 Prozent senken. Herrscht Vollbeschäftigung in der Wirtschaft, wird die Produktivität schneller wachsen.

Niedrige Arbeitslosenzahlen führen zu höheren Löhnen. Das bedeutet, dass Unternehmen mehr Anreize haben, die potenziellen Vorteile von Technik zu nutzen und so die Produktivität weiter zu steigern.

Nimmt man diese drei Faktoren zusammen – die Fülle technologischer Fortschritte, eine deutlich raschere Umstrukturierung aufgrund von COVID-19 und eine Wirtschaft, die endlich mit voller Kapazität läuft – dann ist die Basis für einen baldigen Produktivitätsboom gegeben, nicht nur in den USA. Das wird nicht nur den Lebensstandard erhöhen, sondern die Politik kann sich auch wieder ehrgeizigeren Zielen widmen. (bsc)