Delta-Variante des Coronavirus: Warum die vierte Welle nicht zwangsläufig ist

Die Inzidenzen sinken täglich, die Durchimpfung macht Fortschritte. Es scheint das Ende der Pandemie in Sicht. Täuscht das und die vierte Welle kommt doch noch?

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Junge Menschen mit Maske.

(Bild: Rido/Shutterstock.com)

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Der Sommer gewinnt gerade an Leichtigkeit: Die Inzidenzzahlen sinken, die Eiskaffees öffnen, bald endet die Homeoffice-Pflicht. Es fühlt sich fast an, als wäre „Corona“ bald vorbei. Vor zu viel Leichtigkeit warnen jedoch jetzt bereits Infektiologen. Darüber, dass wir nach dem Sommer eine vierte Welle durchlaufen, sind sich die Experten weitgehend einig. Es ist nur die Frage, wie heftig diese Welle ausfällt und wie wir sie flach halten können.

Hauptprotagonist der Herbstwelle wird vermutlich die Delta-Variante B.1.617.2 sein. Sie wurde zum ersten Mal im indischen Bundesstaat Maharashtra gefunden und verbreitet sich dort stark. Sie wurde inzwischen in 40 anderen Ländern nachgewiesen. In Großbritannien beherrscht sie das Infektionsgeschehen und auch hierzulande nimmt Delta langsam fahrt auf. Das RKI meldete bis zum 16. Juni 2021 insgesamt 552 Infektionen mit der Delta-Variante in Deutschland. Noch ist der Anteil mit 6,2 Prozent gering, aber ihr Anteil stieg laut RKI in den letzten Wochen zügig.

Sie weist gleich drei Mutationen in der für das Immunsystem zentralen Struktur auf: Das Spike-Protein enthält drei andere Aminosäuren als das Ursprungsvirus. Das ist eine Herausforderung für das Immunsystem und vorläufige Ergebnisse aus Großbritannien weisen darauf hin, dass Delta noch leichter übertragbar ist als die britische Alpha-Variante.

Die gute Nachricht: Ihre Ausbreitung bei uns fällt in den Sommer und nährt die Hoffnung, dass eine saisonale Abschwächung die Welle bremst. Denn bisher verbreitet sich die Delta-Variante nur in Großbritannien schnell – die anderen europäischen Länder blieben bislang weitgehend verschont.

Woran das liegt? Auch die Experten können derzeit nur raten. Eine Vermutung ist der eintretende Sommer. Der saisonale Effekt, der sich auch im vergangenen Jahr gezeigt hat, ist jedoch ein Cocktail aus unterschiedlichen Faktoren, die sich nur schwierig vorhersagen lassen. Ob es eine saisonale Abschwächung gegeben haben wird, werden wir erst wissen, wenn die Sommersaison vorbei ist. Die Faktoren sind ein bunter Mix aus viralen, menschlichen und meteorologischen Effekten. Scheint die Sonne, schädigt die UV-Strahlung das Erbgut der Viren und die höheren Temperaturen destabilisieren ihre Lipidhülle. Das inaktiviert freie Viren. Bei schönem Wetter halten wir uns vermehrt an der frischen Luft auf, virushaltige Aerosole sammeln sich nicht in geschlossenen Räumen, werden vom Wind verdünnt und im Sommer ist unser Immunsystem fitter als im Winter. Je sommerlicher das Wetter ist, desto stärker greifen diese Effekte.

Eine andere Theorie ist, dass in Großbritannien niedrige Fallzahlen und die damit verbundenen Öffnungen auf eine nur einfach geimpfte Bevölkerung getroffen sind. Delta ist infektiöser als Alpha und gleichzeitig bietet die erste Impfung nur wenig Schutz. The Lancet hat kürzlich Daten veröffentlicht, nach denen die Erstimpfung mit den Impfstoffen von Biontech/Pfizer und AstraZeneca lediglich zu 33 Prozent gegen das Delta-Virus schützt. Die Schutzwirkung gegenüber Alpha liegt nach der ersten Spritze bereits bei 50 Prozent. Nach der Zweitimpfung steigt die Schutzwirkung jedoch stark an.

Auf diese Umstände trifft die Delta-Variante – Sommer hin oder her – nun allerdings auch in Deutschland. Wir feiern den Sommer und unsere neu gewonnene Freiheit, aber erst 28,8 Prozent sind durchgeimpft, 49,6 Prozent hatten eine erste Impfung (Stand 17. Juni 2021).

Allerdings scheint sich die Delta-Variante gleichzeitig ihrer großen Verwandtschaft, den Corona-Viren, die einfache Erkältungskrankheiten verursachen, anzunähern. Die "Zoe Covid Symptoms"-Studie des King’s College London erfasst, dass sich die Symptome der Erkrankung langsam ändern. Zwar gehöre Fieber immer noch zu den typischen Symptomen, aber der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, der bislang als typisches Corona-Symptom galt, sei weniger gängig und auch Schnupfen kann inzwischen ein Indiz für eine Infektion mit SARS-CoV-2 sein. Zeitlich passe dies mit der Verbreitung der Delta-Variante zusammen. Für einige jüngere Menschen könne sich COVID-19 somit stärker wie eine einfache Erkältung anfühlen, sagte Studienleiter Tim Spector am Montag gegenüber der BBC. Auch hat sich die Sorge, dass die Welle wieder viele Schwerkranke und Tote mit sich reißt, in Großbritannien bisher nicht bestätigt. Der in Indien beobachtete dramatische Verlauf der Delta-Welle lag vor allem daran, dass die Versorgung der Krankenhäuser mit Sauerstoff aufgrund einer schlecht funktionierenden Lieferkette zusammenbrach.

Wie heftig die Welle in Herbst wird, steht und fällt mit der Geschwindigkeit, mit der die Bevölkerung den vollen Impfschutz erhält. So hat Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité im NDR-Info Podcast Coronavirus-Update betont, wie wichtig eine hohe Impfquote unter den Erwachsenen sei. Bis Mitte September könnten 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Und er warnt gleichzeitig vor Impfmüdigkeit bei der Zweitimpfung.

Aber unabhängig davon, wie stark die vierte Welle ausfällt – Torsten Bauer, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), hat beim Jahreskongress der Pneumologen prognostiziert, dass COVID-19 sich in die Reihe der saisonalen Infektionskrankheiten einfügen werde. Ähnlich wie mit der jährlich wiederkehrende Influenza werden wir uns mit COVID-19-Wellen und Auffrischungsimpfungen anfreunden müssen. Das wäre dann keine Pandemie mehr, sondern – ebenfalls wie bei der Influenza – eine endemische Verbreitung, die ihren Schrecken verliert. Und vielleicht hat uns das Virus sogar gelehrt, bewusster mit Erregern umzugehen – was spricht dagegen, die Masken, die wir alle besitzen, auch künftig zu tragen, wenn wir merken: „Mich hat es erwischt…“? Den Influenzaviren hat es letzte Saison definitiv geschadet – nur 519 bestätigte Fälle hat das RKI für die Grippesaison 2020/21 gemeldet mit nur 13 Toten. Im Vorjahr waren es noch 185.893 Fälle mit fast 500 Gestorbenen. (jsc)